Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.
Die Kunst der Hellenen. äußeren Formen dieser Geschichte -- entweder spartanischeStarrheit, welche das bewegte Leben in eiserne Fesseln schla¬ gen wollte, oder eine fessellose Volksbewegung, wie in Athen, wo sich wie im zehrenden Fieber die menschlichen Kräfte auf¬ rieben! Diese Gegensätze, im engen Lande schroff gegen ein¬ ander ausgebildet, zerrissen so früh das Band der Einigkeit und zerstörten so schnell die griechische Unabhängigkeit, daß selbst die glänzendste Zeit der Nationalmacht, die der Perser¬ kriege, nur wie eine Pause der Bürgerfehden erscheint, welche der griechischen Freiheit das Grab gruben. Die hellenischen Staaten sind zu Grunde gegangen im Mutterlande wie in den Colonien, entweder von rohen Siegern zertrümmert oder in allmählichem Siechthume absterbend; nachdem der Genius des Lebens von ihnen gewichen, waren alle Anstrengungen ihrer nachgeborenen Helden, eines Demosthenes und Philopoimen, nicht im Stande, die Geschichte des Volks wiederherzustellen -- ihre Kunst aber verließ das sieche Vaterland und, dem Siegerschritte Alexander's folgend, durchdrang sie den Orient, der nun, aus seiner Lethargie aufgerüttelt, zum ersten Male von den westlichen Ländern Sprache, Sitte und Religion, Wissenschaft und Kunst empfing. Mit Staunen sahen wir in den letzten Jahrzehnten griechische Städte in den entlegensten Bergwinkeln Vorderasiens auftauchen mit Marmortempeln und Markthallen, mit Gymnasien, Theatern und Stadien und was im Mutterlande die Kunst an Großartigkeit nicht zu verwirk¬ lichen vermocht hatte, das gelingt ihr in Pergamus und An¬ tiochien. So war das Ende der griechischen Geschichte für die griechische Kunst der Anfang ihres Weltganges, der sie von Syrien nach Rom führte, auf daß sie mit ihrem Schmucke die Hauptstadt Italiens als Weltbeherrscherin kröne. Mit Rom sank die hellenische Kunstwelt in Schutt und Die Kunſt der Hellenen. äußeren Formen dieſer Geſchichte — entweder ſpartaniſcheStarrheit, welche das bewegte Leben in eiſerne Feſſeln ſchla¬ gen wollte, oder eine feſſelloſe Volksbewegung, wie in Athen, wo ſich wie im zehrenden Fieber die menſchlichen Kräfte auf¬ rieben! Dieſe Gegenſätze, im engen Lande ſchroff gegen ein¬ ander ausgebildet, zerriſſen ſo früh das Band der Einigkeit und zerſtörten ſo ſchnell die griechiſche Unabhängigkeit, daß ſelbſt die glänzendſte Zeit der Nationalmacht, die der Perſer¬ kriege, nur wie eine Pauſe der Bürgerfehden erſcheint, welche der griechiſchen Freiheit das Grab gruben. Die helleniſchen Staaten ſind zu Grunde gegangen im Mutterlande wie in den Colonien, entweder von rohen Siegern zertrümmert oder in allmählichem Siechthume abſterbend; nachdem der Genius des Lebens von ihnen gewichen, waren alle Anſtrengungen ihrer nachgeborenen Helden, eines Demoſthenes und Philopoimen, nicht im Stande, die Geſchichte des Volks wiederherzuſtellen — ihre Kunſt aber verließ das ſieche Vaterland und, dem Siegerſchritte Alexander's folgend, durchdrang ſie den Orient, der nun, aus ſeiner Lethargie aufgerüttelt, zum erſten Male von den weſtlichen Ländern Sprache, Sitte und Religion, Wiſſenſchaft und Kunſt empfing. Mit Staunen ſahen wir in den letzten Jahrzehnten griechiſche Städte in den entlegenſten Bergwinkeln Vorderaſiens auftauchen mit Marmortempeln und Markthallen, mit Gymnaſien, Theatern und Stadien und was im Mutterlande die Kunſt an Großartigkeit nicht zu verwirk¬ lichen vermocht hatte, das gelingt ihr in Pergamus und An¬ tiochien. So war das Ende der griechiſchen Geſchichte für die griechiſche Kunſt der Anfang ihres Weltganges, der ſie von Syrien nach Rom führte, auf daß ſie mit ihrem Schmucke die Hauptſtadt Italiens als Weltbeherrſcherin kröne. Mit Rom ſank die helleniſche Kunſtwelt in Schutt und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0104" n="88"/><fw place="top" type="header">Die Kunſt der Hellenen.<lb/></fw>äußeren Formen dieſer Geſchichte — entweder ſpartaniſche<lb/> Starrheit, welche das bewegte Leben in eiſerne Feſſeln ſchla¬<lb/> gen wollte, oder eine feſſelloſe Volksbewegung, wie in Athen,<lb/> wo ſich wie im zehrenden Fieber die menſchlichen Kräfte auf¬<lb/> rieben! Dieſe Gegenſätze, im engen Lande ſchroff gegen ein¬<lb/> ander ausgebildet, zerriſſen ſo früh das Band der Einigkeit<lb/> und zerſtörten ſo ſchnell die griechiſche Unabhängigkeit, daß<lb/> ſelbſt die glänzendſte Zeit der Nationalmacht, die der Perſer¬<lb/> kriege, nur wie eine Pauſe der Bürgerfehden erſcheint, welche<lb/> der griechiſchen Freiheit das Grab gruben. Die helleniſchen<lb/> Staaten ſind zu Grunde gegangen im Mutterlande wie in den<lb/> Colonien, entweder von rohen Siegern zertrümmert oder in<lb/> allmählichem Siechthume abſterbend; nachdem der Genius des<lb/> Lebens von ihnen gewichen, waren alle Anſtrengungen ihrer<lb/> nachgeborenen Helden, eines Demoſthenes und Philopoimen,<lb/> nicht im Stande, die Geſchichte des Volks wiederherzuſtellen<lb/> — ihre Kunſt aber verließ das ſieche Vaterland und, dem<lb/> Siegerſchritte Alexander's folgend, durchdrang ſie den Orient,<lb/> der nun, aus ſeiner Lethargie aufgerüttelt, zum erſten Male<lb/> von den weſtlichen Ländern Sprache, Sitte und Religion,<lb/> Wiſſenſchaft und Kunſt empfing. Mit Staunen ſahen wir in<lb/> den letzten Jahrzehnten griechiſche Städte in den entlegenſten<lb/> Bergwinkeln Vorderaſiens auftauchen mit Marmortempeln und<lb/> Markthallen, mit Gymnaſien, Theatern und Stadien und was<lb/> im Mutterlande die Kunſt an Großartigkeit nicht zu verwirk¬<lb/> lichen vermocht hatte, das gelingt ihr in Pergamus und An¬<lb/> tiochien. So war das Ende der griechiſchen Geſchichte für<lb/> die griechiſche Kunſt der Anfang ihres Weltganges, der ſie<lb/> von Syrien nach Rom führte, auf daß ſie mit ihrem Schmucke<lb/> die Hauptſtadt Italiens als Weltbeherrſcherin kröne.</p><lb/> <p>Mit Rom ſank die helleniſche Kunſtwelt in Schutt und<lb/> Vergeſſenheit; nun ſchien es, als wenn in der That die Miſſion<lb/> der alten Welt eine erfüllte und abgeſchloſſene wäre. Völker<lb/> roher Kraft, welche von der Geſchichte der klaſſiſchen Länder,<lb/> die ſie unterjochten, nichts wiſſen wollten, erfüllten die von<lb/> anderen Gedanken bewegte Welt und an den Reſten der Ver¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [88/0104]
Die Kunſt der Hellenen.
äußeren Formen dieſer Geſchichte — entweder ſpartaniſche
Starrheit, welche das bewegte Leben in eiſerne Feſſeln ſchla¬
gen wollte, oder eine feſſelloſe Volksbewegung, wie in Athen,
wo ſich wie im zehrenden Fieber die menſchlichen Kräfte auf¬
rieben! Dieſe Gegenſätze, im engen Lande ſchroff gegen ein¬
ander ausgebildet, zerriſſen ſo früh das Band der Einigkeit
und zerſtörten ſo ſchnell die griechiſche Unabhängigkeit, daß
ſelbſt die glänzendſte Zeit der Nationalmacht, die der Perſer¬
kriege, nur wie eine Pauſe der Bürgerfehden erſcheint, welche
der griechiſchen Freiheit das Grab gruben. Die helleniſchen
Staaten ſind zu Grunde gegangen im Mutterlande wie in den
Colonien, entweder von rohen Siegern zertrümmert oder in
allmählichem Siechthume abſterbend; nachdem der Genius des
Lebens von ihnen gewichen, waren alle Anſtrengungen ihrer
nachgeborenen Helden, eines Demoſthenes und Philopoimen,
nicht im Stande, die Geſchichte des Volks wiederherzuſtellen
— ihre Kunſt aber verließ das ſieche Vaterland und, dem
Siegerſchritte Alexander's folgend, durchdrang ſie den Orient,
der nun, aus ſeiner Lethargie aufgerüttelt, zum erſten Male
von den weſtlichen Ländern Sprache, Sitte und Religion,
Wiſſenſchaft und Kunſt empfing. Mit Staunen ſahen wir in
den letzten Jahrzehnten griechiſche Städte in den entlegenſten
Bergwinkeln Vorderaſiens auftauchen mit Marmortempeln und
Markthallen, mit Gymnaſien, Theatern und Stadien und was
im Mutterlande die Kunſt an Großartigkeit nicht zu verwirk¬
lichen vermocht hatte, das gelingt ihr in Pergamus und An¬
tiochien. So war das Ende der griechiſchen Geſchichte für
die griechiſche Kunſt der Anfang ihres Weltganges, der ſie
von Syrien nach Rom führte, auf daß ſie mit ihrem Schmucke
die Hauptſtadt Italiens als Weltbeherrſcherin kröne.
Mit Rom ſank die helleniſche Kunſtwelt in Schutt und
Vergeſſenheit; nun ſchien es, als wenn in der That die Miſſion
der alten Welt eine erfüllte und abgeſchloſſene wäre. Völker
roher Kraft, welche von der Geſchichte der klaſſiſchen Länder,
die ſie unterjochten, nichts wiſſen wollten, erfüllten die von
anderen Gedanken bewegte Welt und an den Reſten der Ver¬
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/104 |
| Zitationshilfe: | Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/104>, abgerufen am 18.05.2024. |
