Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

X. Betrachtung.
nicht da seine Demüthigung vor dem Herrn des Him-
mels und der Erde, von dessen Größe er ganz belebt
war.*) Selbst seine Mienen und Gebehrden offen-
barten sein ehrfurchtsvolles Herz gegen Gott, ob er
gleich von aller pharisäischen Heucheley weit entfernt
war.

Machte sichs aber Jesus zur Pflicht, nie ohne
die Empfindungen der Ehrfurcht gegen Gott zu den-
ken, zu reden und zu handeln: wie vielmehr ist es für
dich, o Mensch, Schuldigkeit, da der Abstand zwi-
schen dem erhabenen Gott und dir, seinem schwachen
Geschöpfe, so groß ist und so sichtbar in die Augen
fällt. Denn wenn du auch nur eine sehr geringe und
mittelmäßige Kenntniß von der Größe Gottes hast:
so wirst du doch gewiß schon seine Herrlichkeit be-
wundern, und dich gedrungen fühlen, auszurufen:
Herr! dir ist niemand gleich, du bist groß und dein
Name ist groß, du kannst es mit der That beweisen.
Wer sollte dich nicht fürchten, du König aller Hei-
den?**) Diese Ehrfurcht gegen Gott kannst du am
besten in dir erwecken und erhalten, wenn du dir ihn
oft als den Allmächtigen, Allwissenden und Allge-
genwärtigen vorstellst, wenn du oft die erhabenen Be-
schreibungen von Gott im Hiob, in den Psalmen,
und in den Propheten liesest, und wenn du alle gros-
se und feyerliche Gegenstände in der Natur dazu be-

nutzest.
*) Matth. 26, 39.
**) Jerem. 10, 6.

X. Betrachtung.
nicht da ſeine Demüthigung vor dem Herrn des Him-
mels und der Erde, von deſſen Größe er ganz belebt
war.*) Selbſt ſeine Mienen und Gebehrden offen-
barten ſein ehrfurchtsvolles Herz gegen Gott, ob er
gleich von aller phariſäiſchen Heucheley weit entfernt
war.

Machte ſichs aber Jeſus zur Pflicht, nie ohne
die Empfindungen der Ehrfurcht gegen Gott zu den-
ken, zu reden und zu handeln: wie vielmehr iſt es für
dich, o Menſch, Schuldigkeit, da der Abſtand zwi-
ſchen dem erhabenen Gott und dir, ſeinem ſchwachen
Geſchöpfe, ſo groß iſt und ſo ſichtbar in die Augen
fällt. Denn wenn du auch nur eine ſehr geringe und
mittelmäßige Kenntniß von der Größe Gottes haſt:
ſo wirſt du doch gewiß ſchon ſeine Herrlichkeit be-
wundern, und dich gedrungen fühlen, auszurufen:
Herr! dir iſt niemand gleich, du biſt groß und dein
Name iſt groß, du kannſt es mit der That beweiſen.
Wer ſollte dich nicht fürchten, du König aller Hei-
den?**) Dieſe Ehrfurcht gegen Gott kannſt du am
beſten in dir erwecken und erhalten, wenn du dir ihn
oft als den Allmächtigen, Allwiſſenden und Allge-
genwärtigen vorſtellſt, wenn du oft die erhabenen Be-
ſchreibungen von Gott im Hiob, in den Pſalmen,
und in den Propheten lieſeſt, und wenn du alle groſ-
ſe und feyerliche Gegenſtände in der Natur dazu be-

nutzeſt.
*) Matth. 26, 39.
**) Jerem. 10, 6.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0085" n="59"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">X.</hi> Betrachtung.</fw><lb/>
nicht da &#x017F;eine Demüthigung vor dem Herrn des Him-<lb/>
mels und der Erde, von de&#x017F;&#x017F;en Größe er ganz belebt<lb/>
war.<note place="foot" n="*)">Matth. 26, 39.</note> Selb&#x017F;t &#x017F;eine Mienen und Gebehrden offen-<lb/>
barten &#x017F;ein ehrfurchtsvolles Herz gegen Gott, ob er<lb/>
gleich von aller phari&#x017F;äi&#x017F;chen Heucheley weit entfernt<lb/>
war.</p><lb/>
          <p>Machte &#x017F;ichs aber Je&#x017F;us zur Pflicht, nie ohne<lb/>
die Empfindungen der Ehrfurcht gegen Gott zu den-<lb/>
ken, zu reden und zu handeln: wie vielmehr i&#x017F;t es für<lb/>
dich, o Men&#x017F;ch, Schuldigkeit, da der Ab&#x017F;tand zwi-<lb/>
&#x017F;chen dem erhabenen Gott und dir, &#x017F;einem &#x017F;chwachen<lb/>
Ge&#x017F;chöpfe, &#x017F;o groß i&#x017F;t und &#x017F;o &#x017F;ichtbar in die Augen<lb/>
fällt. Denn wenn du auch nur eine &#x017F;ehr geringe und<lb/>
mittelmäßige Kenntniß von der Größe Gottes ha&#x017F;t:<lb/>
&#x017F;o wir&#x017F;t du doch gewiß &#x017F;chon &#x017F;eine Herrlichkeit be-<lb/>
wundern, und dich gedrungen fühlen, auszurufen:<lb/><hi rendition="#fr">Herr! dir i&#x017F;t niemand gleich, du bi&#x017F;t groß und dein<lb/>
Name i&#x017F;t groß, du kann&#x017F;t es mit der That bewei&#x017F;en.<lb/>
Wer &#x017F;ollte dich nicht fürchten, du König aller Hei-<lb/>
den?</hi><note place="foot" n="**)">Jerem. 10, 6.</note> Die&#x017F;e Ehrfurcht gegen Gott kann&#x017F;t du am<lb/>
be&#x017F;ten in dir erwecken und erhalten, wenn du dir ihn<lb/>
oft als den Allmächtigen, Allwi&#x017F;&#x017F;enden und Allge-<lb/>
genwärtigen vor&#x017F;tell&#x017F;t, wenn du oft die erhabenen Be-<lb/>
&#x017F;chreibungen von Gott im Hiob, in den P&#x017F;almen,<lb/>
und in den Propheten lie&#x017F;e&#x017F;t, und wenn du alle gro&#x017F;-<lb/>
&#x017F;e und feyerliche Gegen&#x017F;tände in der Natur dazu be-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nutze&#x017F;t.</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0085] X. Betrachtung. nicht da ſeine Demüthigung vor dem Herrn des Him- mels und der Erde, von deſſen Größe er ganz belebt war. *) Selbſt ſeine Mienen und Gebehrden offen- barten ſein ehrfurchtsvolles Herz gegen Gott, ob er gleich von aller phariſäiſchen Heucheley weit entfernt war. Machte ſichs aber Jeſus zur Pflicht, nie ohne die Empfindungen der Ehrfurcht gegen Gott zu den- ken, zu reden und zu handeln: wie vielmehr iſt es für dich, o Menſch, Schuldigkeit, da der Abſtand zwi- ſchen dem erhabenen Gott und dir, ſeinem ſchwachen Geſchöpfe, ſo groß iſt und ſo ſichtbar in die Augen fällt. Denn wenn du auch nur eine ſehr geringe und mittelmäßige Kenntniß von der Größe Gottes haſt: ſo wirſt du doch gewiß ſchon ſeine Herrlichkeit be- wundern, und dich gedrungen fühlen, auszurufen: Herr! dir iſt niemand gleich, du biſt groß und dein Name iſt groß, du kannſt es mit der That beweiſen. Wer ſollte dich nicht fürchten, du König aller Hei- den? **) Dieſe Ehrfurcht gegen Gott kannſt du am beſten in dir erwecken und erhalten, wenn du dir ihn oft als den Allmächtigen, Allwiſſenden und Allge- genwärtigen vorſtellſt, wenn du oft die erhabenen Be- ſchreibungen von Gott im Hiob, in den Pſalmen, und in den Propheten lieſeſt, und wenn du alle groſ- ſe und feyerliche Gegenſtände in der Natur dazu be- nutzeſt. *) Matth. 26, 39. **) Jerem. 10, 6.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/85
Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/85>, abgerufen am 16.02.2025.