Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.VII. Betrachtung. chen Abgaben zum Tempel zu entrichten. Er sahe mitäußerstem Mißfallen, wie sehr durch diesen Unfug die gottesdienstlichen Verrichtungen gestört wurden, und obgleich die Priesterschaft diese Unordnung duldete, so konnte er doch bey dieser schändlichen Entweihung des Tempels nicht schweigen, zumal da er sich kurz vorher für den Meßias, für den Sohn Gottes hatte ausru- fen lassen.*) Er handelte hier aber nicht etwa aus Entrüstung und aus unüberlegter Hitze, sondern nach dem Ansehn, welches er als Gottes Sohn, als Mes- sias, als Herr des Tempels hatte. So sehr es nun für uns Pflicht ist, allen schädlichen Mißbräuchen ent- gegen zu arbeiten; so dürfen wir das doch nicht auf eine gewaltsame Art thun, und es würde thöricht seyn, wenn wir uns in einem solchen Falle auf das Beyspiel Jesu berufen und unsre Gewaltthätigkeiten damit ent- schuldigen wollten. Wenn Jesus ferner die Pharisäer wegen ihrer Heucheley öffentlich bestraft, wenn er mit großer Freymüthigkeit das Schändliche in ihrem Be- tragen aufdeckt; so thut er das freylich in einem har- ten Tone,**) aber nicht aus Privathaß, sondern als Sohn Gottes durchschauete er das Jnnerste ihres Herzens, als der von Gott gesandte Lehrer that ers, der das Ansehen der Menschen nicht achten durfte. Es wäre also sehr unschicklich, wenn wir uns auf dieses Beyspiel berufen, und uns zu Richtern über die Fehler Anderer aufwerfen wollten, wo wir gar keinen Beruf dazu *) Luc. 19, 38-40. **) Matth. 23. C 3
VII. Betrachtung. chen Abgaben zum Tempel zu entrichten. Er ſahe mitäußerſtem Mißfallen, wie ſehr durch dieſen Unfug die gottesdienſtlichen Verrichtungen geſtört wurden, und obgleich die Prieſterſchaft dieſe Unordnung duldete, ſo konnte er doch bey dieſer ſchändlichen Entweihung des Tempels nicht ſchweigen, zumal da er ſich kurz vorher für den Meßias, für den Sohn Gottes hatte ausru- fen laſſen.*) Er handelte hier aber nicht etwa aus Entrüſtung und aus unüberlegter Hitze, ſondern nach dem Anſehn, welches er als Gottes Sohn, als Meſ- ſias, als Herr des Tempels hatte. So ſehr es nun für uns Pflicht iſt, allen ſchädlichen Mißbräuchen ent- gegen zu arbeiten; ſo dürfen wir das doch nicht auf eine gewaltſame Art thun, und es würde thöricht ſeyn, wenn wir uns in einem ſolchen Falle auf das Beyſpiel Jeſu berufen und unſre Gewaltthätigkeiten damit ent- ſchuldigen wollten. Wenn Jeſus ferner die Phariſäer wegen ihrer Heucheley öffentlich beſtraft, wenn er mit großer Freymüthigkeit das Schändliche in ihrem Be- tragen aufdeckt; ſo thut er das freylich in einem har- ten Tone,**) aber nicht aus Privathaß, ſondern als Sohn Gottes durchſchauete er das Jnnerſte ihres Herzens, als der von Gott geſandte Lehrer that ers, der das Anſehen der Menſchen nicht achten durfte. Es wäre alſo ſehr unſchicklich, wenn wir uns auf dieſes Beyſpiel berufen, und uns zu Richtern über die Fehler Anderer aufwerfen wollten, wo wir gar keinen Beruf dazu *) Luc. 19, 38-40. **) Matth. 23. C 3
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VII. Betrachtung.
chen Abgaben zum Tempel zu entrichten. Er ſahe mit
äußerſtem Mißfallen, wie ſehr durch dieſen Unfug die
gottesdienſtlichen Verrichtungen geſtört wurden, und
obgleich die Prieſterſchaft dieſe Unordnung duldete, ſo
konnte er doch bey dieſer ſchändlichen Entweihung des
Tempels nicht ſchweigen, zumal da er ſich kurz vorher
für den Meßias, für den Sohn Gottes hatte ausru-
fen laſſen. *) Er handelte hier aber nicht etwa aus
Entrüſtung und aus unüberlegter Hitze, ſondern nach
dem Anſehn, welches er als Gottes Sohn, als Meſ-
ſias, als Herr des Tempels hatte. So ſehr es nun
für uns Pflicht iſt, allen ſchädlichen Mißbräuchen ent-
gegen zu arbeiten; ſo dürfen wir das doch nicht auf
eine gewaltſame Art thun, und es würde thöricht ſeyn,
wenn wir uns in einem ſolchen Falle auf das Beyſpiel
Jeſu berufen und unſre Gewaltthätigkeiten damit ent-
ſchuldigen wollten. Wenn Jeſus ferner die Phariſäer
wegen ihrer Heucheley öffentlich beſtraft, wenn er mit
großer Freymüthigkeit das Schändliche in ihrem Be-
tragen aufdeckt; ſo thut er das freylich in einem har-
ten Tone, **) aber nicht aus Privathaß, ſondern als
Sohn Gottes durchſchauete er das Jnnerſte ihres
Herzens, als der von Gott geſandte Lehrer that ers,
der das Anſehen der Menſchen nicht achten durfte. Es
wäre alſo ſehr unſchicklich, wenn wir uns auf dieſes
Beyſpiel berufen, und uns zu Richtern über die Fehler
Anderer aufwerfen wollten, wo wir gar keinen Beruf
dazu
*) Luc. 19, 38-40.
**) Matth. 23.
C 3
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