Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

LXVI. Betrachtung.
Hofnung siegte er über die Qualen seines Todes und
rufte triumphirend aus: Vater! ich befehle meinen
Geist in deine Hände.
*) O möchte doch mein En-
de seyn, wie sein Ende war, dann ist es gewiß schön,
dann ist es selig!

Oft will ich mir diesen musterhaften Tod recht
lebhaft vorstellen und Gott bitten, daß er den mei-
nigen demselben ähnlich werden lasse, daß ich auch
mit solcher Stille von hinnen scheiden und versichert
seyn könne, meine Seele bleibe in Gottes Hand, und
keine Qual rühre sie an. Um aber auch im Sterben
Jesu ähnlich werden zu können, so will ich schon jetzo
bey Lebzeiten in meinem Sinn und Wandel ihm ähn-
lich werden. Denn er übergab sich seinem himmli-
schen Vater nicht erst in den letzten Augenblicken sei-
nes Lebens, sondern sein ganzer Wandel war fromm,
war eine sich stets gleich bleibende Gottergebenheit.
Jch will daher, wie er, unveränderlich und unermü-
det seyn im Gutesthun, in Ausbreitung der Ehre
Gottes, und in Beförderung des Glücks meiner Brü-
der; ich will meine Besserung eifrig fortsetzen, und
den Beruf, den mir Gott angewiesen hat, treu und
unverdrossen abwarten, damit ich auch einst mit
Wahrheit die Worte ihm nachsprechen darf: es ist
vollbracht!
Jch habe das Meinige redlich gethan, ich
habe mein Tagewerk auf Erden nach meinem besten
Vermögen zu Stande gebracht, und itzt soll ich ein-

gehen
*) Luc. 23, 46.
E e 2

LXVI. Betrachtung.
Hofnung ſiegte er über die Qualen ſeines Todes und
rufte triumphirend aus: Vater! ich befehle meinen
Geiſt in deine Hände.
*) O möchte doch mein En-
de ſeyn, wie ſein Ende war, dann iſt es gewiß ſchön,
dann iſt es ſelig!

Oft will ich mir dieſen muſterhaften Tod recht
lebhaft vorſtellen und Gott bitten, daß er den mei-
nigen demſelben ähnlich werden laſſe, daß ich auch
mit ſolcher Stille von hinnen ſcheiden und verſichert
ſeyn könne, meine Seele bleibe in Gottes Hand, und
keine Qual rühre ſie an. Um aber auch im Sterben
Jeſu ähnlich werden zu können, ſo will ich ſchon jetzo
bey Lebzeiten in meinem Sinn und Wandel ihm ähn-
lich werden. Denn er übergab ſich ſeinem himmli-
ſchen Vater nicht erſt in den letzten Augenblicken ſei-
nes Lebens, ſondern ſein ganzer Wandel war fromm,
war eine ſich ſtets gleich bleibende Gottergebenheit.
Jch will daher, wie er, unveränderlich und unermü-
det ſeyn im Gutesthun, in Ausbreitung der Ehre
Gottes, und in Beförderung des Glücks meiner Brü-
der; ich will meine Beſſerung eifrig fortſetzen, und
den Beruf, den mir Gott angewieſen hat, treu und
unverdroſſen abwarten, damit ich auch einſt mit
Wahrheit die Worte ihm nachſprechen darf: es iſt
vollbracht!
Jch habe das Meinige redlich gethan, ich
habe mein Tagewerk auf Erden nach meinem beſten
Vermögen zu Stande gebracht, und itzt ſoll ich ein-

gehen
*) Luc. 23, 46.
E e 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0461" n="435"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">LXVI.</hi> Betrachtung.</fw><lb/>
Hofnung &#x017F;iegte er über die Qualen &#x017F;eines Todes und<lb/>
rufte triumphirend aus: <hi rendition="#fr">Vater! ich befehle meinen<lb/>
Gei&#x017F;t in deine Hände.</hi><note place="foot" n="*)">Luc. 23, 46.</note> O möchte doch mein En-<lb/>
de &#x017F;eyn, wie &#x017F;ein Ende war, dann i&#x017F;t es gewiß &#x017F;chön,<lb/>
dann i&#x017F;t es &#x017F;elig!</p><lb/>
          <p>Oft will ich mir die&#x017F;en mu&#x017F;terhaften Tod recht<lb/>
lebhaft vor&#x017F;tellen und Gott bitten, daß er den mei-<lb/>
nigen dem&#x017F;elben ähnlich werden la&#x017F;&#x017F;e, daß ich auch<lb/>
mit &#x017F;olcher Stille von hinnen &#x017F;cheiden und ver&#x017F;ichert<lb/>
&#x017F;eyn könne, meine Seele bleibe in Gottes Hand, und<lb/>
keine Qual rühre &#x017F;ie an. Um aber auch im Sterben<lb/>
Je&#x017F;u ähnlich werden zu können, &#x017F;o will ich &#x017F;chon jetzo<lb/>
bey Lebzeiten in meinem Sinn und Wandel ihm ähn-<lb/>
lich werden. Denn er übergab &#x017F;ich &#x017F;einem himmli-<lb/>
&#x017F;chen Vater nicht er&#x017F;t in den letzten Augenblicken &#x017F;ei-<lb/>
nes Lebens, &#x017F;ondern &#x017F;ein ganzer Wandel war fromm,<lb/>
war eine &#x017F;ich &#x017F;tets gleich bleibende Gottergebenheit.<lb/>
Jch will daher, wie er, unveränderlich und unermü-<lb/>
det &#x017F;eyn im Gutesthun, in Ausbreitung der Ehre<lb/>
Gottes, und in Beförderung des Glücks meiner Brü-<lb/>
der; ich will meine Be&#x017F;&#x017F;erung eifrig fort&#x017F;etzen, und<lb/>
den Beruf, den mir Gott angewie&#x017F;en hat, treu und<lb/>
unverdro&#x017F;&#x017F;en abwarten, damit ich auch ein&#x017F;t mit<lb/>
Wahrheit die Worte ihm nach&#x017F;prechen darf: <hi rendition="#fr">es i&#x017F;t<lb/>
vollbracht!</hi> Jch habe das Meinige redlich gethan, ich<lb/>
habe mein Tagewerk auf Erden nach meinem be&#x017F;ten<lb/>
Vermögen zu Stande gebracht, und itzt &#x017F;oll ich ein-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E e 2</fw><fw place="bottom" type="catch">gehen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[435/0461] LXVI. Betrachtung. Hofnung ſiegte er über die Qualen ſeines Todes und rufte triumphirend aus: Vater! ich befehle meinen Geiſt in deine Hände. *) O möchte doch mein En- de ſeyn, wie ſein Ende war, dann iſt es gewiß ſchön, dann iſt es ſelig! Oft will ich mir dieſen muſterhaften Tod recht lebhaft vorſtellen und Gott bitten, daß er den mei- nigen demſelben ähnlich werden laſſe, daß ich auch mit ſolcher Stille von hinnen ſcheiden und verſichert ſeyn könne, meine Seele bleibe in Gottes Hand, und keine Qual rühre ſie an. Um aber auch im Sterben Jeſu ähnlich werden zu können, ſo will ich ſchon jetzo bey Lebzeiten in meinem Sinn und Wandel ihm ähn- lich werden. Denn er übergab ſich ſeinem himmli- ſchen Vater nicht erſt in den letzten Augenblicken ſei- nes Lebens, ſondern ſein ganzer Wandel war fromm, war eine ſich ſtets gleich bleibende Gottergebenheit. Jch will daher, wie er, unveränderlich und unermü- det ſeyn im Gutesthun, in Ausbreitung der Ehre Gottes, und in Beförderung des Glücks meiner Brü- der; ich will meine Beſſerung eifrig fortſetzen, und den Beruf, den mir Gott angewieſen hat, treu und unverdroſſen abwarten, damit ich auch einſt mit Wahrheit die Worte ihm nachſprechen darf: es iſt vollbracht! Jch habe das Meinige redlich gethan, ich habe mein Tagewerk auf Erden nach meinem beſten Vermögen zu Stande gebracht, und itzt ſoll ich ein- gehen *) Luc. 23, 46. E e 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/461
Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/461>, abgerufen am 17.09.2024.