Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.LVII. Betrachtung. Schutz, Hülfe und Beystand sucht. Jmmer willich denken, auch der Geringste ist Gottes Kind, ist zur seligen Unsterblichkeit geschaffen, ist ein Erlöster Jesu, des Heilands der Welt; und es kommt eine Zeit, wo aller äußerer Unterschied, der jetzo zum Be- sten der menschlichen Gesellschaft so nöthig ist, ganz wegfällt, wo mir meine Hoheit nichts mehr hilft, und ihm seine Niedrigkeit nichts mehr schadet. Menschen- freundlich will ich also, wie Jesus! mich der Armen und Geringen annehmen, ich will für ihre Beleh- rung, Besserung sorgen, wo ich weis und kann, wenn es mir gleich Mühe macht, wenn ich gleich keine Ver- geltung von ihnen hoffen darf. Nie soll der Gerin- ge über meine Härte klagen, nie der Arme über mei- ne Lieblosigkeit seufzen; nie der Leidende und Verlas- sene mich vergeblich um Hülfe anflehen. Wohl dir, wenn du solche Gesinnungen hegst, und solche feste Vorsätze fassest, dann wirst du gewiß wie der gött- liche Menschenfreund handeln, die Armen und Ge- ringen werden in dir sein Bild wahrnehmen, und sich freuen, daß die Zahl seiner ächten Verehrer noch nicht ausgestorben ist. Entziehst du dich nicht ganz dem Umgange mit Armen und Geringen, so wirst du ih- re traurige Lage oft recht kennen lernen, und ihnen gerne unter die Arme greifen; du wirst mit Freuden jede Anstalt befördern, die ihnen die Beschwerden des Lebens erleichtern kann. Lebst du aber selbst im nie- drigen
LVII. Betrachtung. Schutz, Hülfe und Beyſtand ſucht. Jmmer willich denken, auch der Geringſte iſt Gottes Kind, iſt zur ſeligen Unſterblichkeit geſchaffen, iſt ein Erlöſter Jeſu, des Heilands der Welt; und es kommt eine Zeit, wo aller äußerer Unterſchied, der jetzo zum Be- ſten der menſchlichen Geſellſchaft ſo nöthig iſt, ganz wegfällt, wo mir meine Hoheit nichts mehr hilft, und ihm ſeine Niedrigkeit nichts mehr ſchadet. Menſchen- freundlich will ich alſo, wie Jeſus! mich der Armen und Geringen annehmen, ich will für ihre Beleh- rung, Beſſerung ſorgen, wo ich weis und kann, wenn es mir gleich Mühe macht, wenn ich gleich keine Ver- geltung von ihnen hoffen darf. Nie ſoll der Gerin- ge über meine Härte klagen, nie der Arme über mei- ne Liebloſigkeit ſeufzen; nie der Leidende und Verlaſ- ſene mich vergeblich um Hülfe anflehen. Wohl dir, wenn du ſolche Geſinnungen hegſt, und ſolche feſte Vorſätze faſſeſt, dann wirſt du gewiß wie der gött- liche Menſchenfreund handeln, die Armen und Ge- ringen werden in dir ſein Bild wahrnehmen, und ſich freuen, daß die Zahl ſeiner ächten Verehrer noch nicht ausgeſtorben iſt. Entziehſt du dich nicht ganz dem Umgange mit Armen und Geringen, ſo wirſt du ih- re traurige Lage oft recht kennen lernen, und ihnen gerne unter die Arme greifen; du wirſt mit Freuden jede Anſtalt befördern, die ihnen die Beſchwerden des Lebens erleichtern kann. Lebſt du aber ſelbſt im nie- drigen
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LVII. Betrachtung.
Schutz, Hülfe und Beyſtand ſucht. Jmmer will
ich denken, auch der Geringſte iſt Gottes Kind, iſt
zur ſeligen Unſterblichkeit geſchaffen, iſt ein Erlöſter
Jeſu, des Heilands der Welt; und es kommt eine
Zeit, wo aller äußerer Unterſchied, der jetzo zum Be-
ſten der menſchlichen Geſellſchaft ſo nöthig iſt, ganz
wegfällt, wo mir meine Hoheit nichts mehr hilft, und
ihm ſeine Niedrigkeit nichts mehr ſchadet. Menſchen-
freundlich will ich alſo, wie Jeſus! mich der Armen
und Geringen annehmen, ich will für ihre Beleh-
rung, Beſſerung ſorgen, wo ich weis und kann, wenn
es mir gleich Mühe macht, wenn ich gleich keine Ver-
geltung von ihnen hoffen darf. Nie ſoll der Gerin-
ge über meine Härte klagen, nie der Arme über mei-
ne Liebloſigkeit ſeufzen; nie der Leidende und Verlaſ-
ſene mich vergeblich um Hülfe anflehen. Wohl dir,
wenn du ſolche Geſinnungen hegſt, und ſolche feſte
Vorſätze faſſeſt, dann wirſt du gewiß wie der gött-
liche Menſchenfreund handeln, die Armen und Ge-
ringen werden in dir ſein Bild wahrnehmen, und ſich
freuen, daß die Zahl ſeiner ächten Verehrer noch nicht
ausgeſtorben iſt. Entziehſt du dich nicht ganz dem
Umgange mit Armen und Geringen, ſo wirſt du ih-
re traurige Lage oft recht kennen lernen, und ihnen
gerne unter die Arme greifen; du wirſt mit Freuden
jede Anſtalt befördern, die ihnen die Beſchwerden des
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