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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

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LVII. Betrachtung.
brauchbare Werkzeuge in der Hand der Vorsehung
wurden. Er selbst, Jesus, lebte in Armuth und im
niedrigen Stande; fühlte selbst die Beschwerden, die
damit verknüpft waren, und suchte sie, durch dieses
Gefühl durchdrungen, nun andern auf alle mögliche
Art zu erleichtern; aber nie schämte er sich seiner
Dürftigkeit und seines niedrigen Standes; nie äußer-
te er darüber Unzufriedenheit und Mißvergnügen,
sondern zeigte an seinem Exempel, daß Mangel an
äußern Vorzügen den Werth eines Menschen nicht
bestimmen, und ihn an dem Genusse wahrer Glück-
seligkeit nicht hindern können.

Möchten doch diejenigen Christen, die Gott über
andere durch Ueberfluß und Ansehn erhoben hat, an
Jesu Beyspiel lernen: daß auch Arme und Geringe
ihre Aufmerksamkeit und Achtung verdienen, und daß
es ihnen gar keine Schande ist, wenn sie sich zu ihnen
herab lassen, und sie auf eine theilnehmende und men-
schenfreundliche Art behandeln. Denn nichts ist
schändlicher, nichts entehrt den Christen so sehr, als
wenn er die Menschen blos nach ihren äußern Vor-
zügen schätzt, aber nicht darnach fragt, ob sie auch
verständige gute Menschen sind. Nichts ist schänd-
licher, als wenn Reiche und Vornehme dem ärmern
und geringern Theile ihrer Mitbrüder bey jeder Ge-
legenheit verächtlich begegnen, gleichsam als wenn sie
blos deswegen da wären, um sich von ihnen mißhan-

deln

LVII. Betrachtung.
brauchbare Werkzeuge in der Hand der Vorſehung
wurden. Er ſelbſt, Jeſus, lebte in Armuth und im
niedrigen Stande; fühlte ſelbſt die Beſchwerden, die
damit verknüpft waren, und ſuchte ſie, durch dieſes
Gefühl durchdrungen, nun andern auf alle mögliche
Art zu erleichtern; aber nie ſchämte er ſich ſeiner
Dürftigkeit und ſeines niedrigen Standes; nie äußer-
te er darüber Unzufriedenheit und Mißvergnügen,
ſondern zeigte an ſeinem Exempel, daß Mangel an
äußern Vorzügen den Werth eines Menſchen nicht
beſtimmen, und ihn an dem Genuſſe wahrer Glück-
ſeligkeit nicht hindern können.

Möchten doch diejenigen Chriſten, die Gott über
andere durch Ueberfluß und Anſehn erhoben hat, an
Jeſu Beyſpiel lernen: daß auch Arme und Geringe
ihre Aufmerkſamkeit und Achtung verdienen, und daß
es ihnen gar keine Schande iſt, wenn ſie ſich zu ihnen
herab laſſen, und ſie auf eine theilnehmende und men-
ſchenfreundliche Art behandeln. Denn nichts iſt
ſchändlicher, nichts entehrt den Chriſten ſo ſehr, als
wenn er die Menſchen blos nach ihren äußern Vor-
zügen ſchätzt, aber nicht darnach fragt, ob ſie auch
verſtändige gute Menſchen ſind. Nichts iſt ſchänd-
licher, als wenn Reiche und Vornehme dem ärmern
und geringern Theile ihrer Mitbrüder bey jeder Ge-
legenheit verächtlich begegnen, gleichſam als wenn ſie
blos deswegen da wären, um ſich von ihnen mißhan-

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[379/0405] LVII. Betrachtung. brauchbare Werkzeuge in der Hand der Vorſehung wurden. Er ſelbſt, Jeſus, lebte in Armuth und im niedrigen Stande; fühlte ſelbſt die Beſchwerden, die damit verknüpft waren, und ſuchte ſie, durch dieſes Gefühl durchdrungen, nun andern auf alle mögliche Art zu erleichtern; aber nie ſchämte er ſich ſeiner Dürftigkeit und ſeines niedrigen Standes; nie äußer- te er darüber Unzufriedenheit und Mißvergnügen, ſondern zeigte an ſeinem Exempel, daß Mangel an äußern Vorzügen den Werth eines Menſchen nicht beſtimmen, und ihn an dem Genuſſe wahrer Glück- ſeligkeit nicht hindern können. Möchten doch diejenigen Chriſten, die Gott über andere durch Ueberfluß und Anſehn erhoben hat, an Jeſu Beyſpiel lernen: daß auch Arme und Geringe ihre Aufmerkſamkeit und Achtung verdienen, und daß es ihnen gar keine Schande iſt, wenn ſie ſich zu ihnen herab laſſen, und ſie auf eine theilnehmende und men- ſchenfreundliche Art behandeln. Denn nichts iſt ſchändlicher, nichts entehrt den Chriſten ſo ſehr, als wenn er die Menſchen blos nach ihren äußern Vor- zügen ſchätzt, aber nicht darnach fragt, ob ſie auch verſtändige gute Menſchen ſind. Nichts iſt ſchänd- licher, als wenn Reiche und Vornehme dem ärmern und geringern Theile ihrer Mitbrüder bey jeder Ge- legenheit verächtlich begegnen, gleichſam als wenn ſie blos deswegen da wären, um ſich von ihnen mißhan- deln

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/405>, abgerufen am 24.11.2024.