ermahnet wurden. So verhielt sich Jesus, so zeigte er Großmuth und Bereitwilligkeit zum Verzeihen, so überwand er das Böse mit Gutem. Jhm, ja ihm haben wir alle unsere Rettung und Seligkeit zu danken. Denn wie unglückselig würden wir seyn, wenn er uns nicht durch sein verdienstvolles Leiden und Sterben Begnadigung bey Gott ausge- wirkt hätte!
Heißt es nun: vergebet euch unter einander, so wie Gott euch vergeben hat in Christo Jesu; so kann uns wohl nichts stärker zum Verzeihen und Vergeben erwecken, als die Großmuth Jesu gegen seine Beleidiger. Sprich hier nicht, o Christ, der du gern deine Rachsucht und feindseligen Gesinnun- gen entschuldigen willst, sprich nicht, "ich bin ein Mensch, Jesus aber war der Sohn Gottes; wer kann von mir verlangen, daß ich so heilig und unta- delhaft leben soll, wie er?" dies ist ein thörichter Vorwand. Laß es seyn, daß du es in der Ausübung dieser schweren Tugend nicht zu dem hohen Grade von Vollkommenheit bringen kannst, wie Jesus; willst du ihm denn gar nicht ähnlich werden? Du bist auch bey weitem nicht so großen Beleidigungen ausgesetzt, wie er, und alle Kränkungen, die du von andern er- dulden mußt, sind nur Kleinigkeiten gegen das, was er gelitten hat. Willst du also zu den Schülern Je- su gehören, willst du dich nicht blos nach seinem Na-
men
XLVI. Betrachtung.
ermahnet wurden. So verhielt ſich Jeſus, ſo zeigte er Großmuth und Bereitwilligkeit zum Verzeihen, ſo überwand er das Böſe mit Gutem. Jhm, ja ihm haben wir alle unſere Rettung und Seligkeit zu danken. Denn wie unglückſelig würden wir ſeyn, wenn er uns nicht durch ſein verdienſtvolles Leiden und Sterben Begnadigung bey Gott ausge- wirkt hätte!
Heißt es nun: vergebet euch unter einander, ſo wie Gott euch vergeben hat in Chriſto Jeſu; ſo kann uns wohl nichts ſtärker zum Verzeihen und Vergeben erwecken, als die Großmuth Jeſu gegen ſeine Beleidiger. Sprich hier nicht, o Chriſt, der du gern deine Rachſucht und feindſeligen Geſinnun- gen entſchuldigen willſt, ſprich nicht, „ich bin ein Menſch, Jeſus aber war der Sohn Gottes; wer kann von mir verlangen, daß ich ſo heilig und unta- delhaft leben ſoll, wie er?“ dies iſt ein thörichter Vorwand. Laß es ſeyn, daß du es in der Ausübung dieſer ſchweren Tugend nicht zu dem hohen Grade von Vollkommenheit bringen kannſt, wie Jeſus; willſt du ihm denn gar nicht ähnlich werden? Du biſt auch bey weitem nicht ſo großen Beleidigungen ausgeſetzt, wie er, und alle Kränkungen, die du von andern er- dulden mußt, ſind nur Kleinigkeiten gegen das, was er gelitten hat. Willſt du alſo zu den Schülern Je- ſu gehören, willſt du dich nicht blos nach ſeinem Na-
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XLVI. Betrachtung.
ermahnet wurden. So verhielt ſich Jeſus, ſo zeigte
er Großmuth und Bereitwilligkeit zum Verzeihen,
ſo überwand er das Böſe mit Gutem. Jhm, ja
ihm haben wir alle unſere Rettung und Seligkeit zu
danken. Denn wie unglückſelig würden wir ſeyn,
wenn er uns nicht durch ſein verdienſtvolles Leiden
und Sterben Begnadigung bey Gott ausge-
wirkt hätte!
Heißt es nun: vergebet euch unter einander,
ſo wie Gott euch vergeben hat in Chriſto Jeſu; ſo
kann uns wohl nichts ſtärker zum Verzeihen und
Vergeben erwecken, als die Großmuth Jeſu gegen
ſeine Beleidiger. Sprich hier nicht, o Chriſt, der
du gern deine Rachſucht und feindſeligen Geſinnun-
gen entſchuldigen willſt, ſprich nicht, „ich bin ein
Menſch, Jeſus aber war der Sohn Gottes; wer
kann von mir verlangen, daß ich ſo heilig und unta-
delhaft leben ſoll, wie er?“ dies iſt ein thörichter
Vorwand. Laß es ſeyn, daß du es in der Ausübung
dieſer ſchweren Tugend nicht zu dem hohen Grade
von Vollkommenheit bringen kannſt, wie Jeſus; willſt
du ihm denn gar nicht ähnlich werden? Du biſt auch
bey weitem nicht ſo großen Beleidigungen ausgeſetzt,
wie er, und alle Kränkungen, die du von andern er-
dulden mußt, ſind nur Kleinigkeiten gegen das, was
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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/327>, abgerufen am 16.07.2024.
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