Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XLI. Betrachtung. tröstete, unterrichtete er sie noch mit der ganzen Zärt-lichkeit eines Vaters, der seine geliebten Kinder mit voller Gegenwart des Geistes und mit männlichem Muthe über die bevorstehende Trennung zu beruhi- gen sucht. Und wenn wir ihn in diesen bedenklichen Umständen sehen, mit welchem gesetzten ruhigen We- sen er seinen Feinden entgegengeht, wie er da seinen Verräther ohne Heftigkeit beschämt, mit welcher Schonung er da seine Jünger behandelt und für ihre Sicherheit sorgt, wenn wir sehen, wie er diese ruhige Gemüthsverfassung durch alle Auftritte seines Lei- dens und Schmerzens beybehält, sich durch nichts aufbringen läßt: so müssen wir gestehen, daß er auch unter den heftigsten Leiden sich noch immer gleich blieb, ohne von seinen Grundsätzen im geringsten ab- zuweichen. Aber wie auffallend groß und sichtbar ist nicht heim-
XLI. Betrachtung. tröſtete, unterrichtete er ſie noch mit der ganzen Zärt-lichkeit eines Vaters, der ſeine geliebten Kinder mit voller Gegenwart des Geiſtes und mit männlichem Muthe über die bevorſtehende Trennung zu beruhi- gen ſucht. Und wenn wir ihn in dieſen bedenklichen Umſtänden ſehen, mit welchem geſetzten ruhigen We- ſen er ſeinen Feinden entgegengeht, wie er da ſeinen Verräther ohne Heftigkeit beſchämt, mit welcher Schonung er da ſeine Jünger behandelt und für ihre Sicherheit ſorgt, wenn wir ſehen, wie er dieſe ruhige Gemüthsverfaſſung durch alle Auftritte ſeines Lei- dens und Schmerzens beybehält, ſich durch nichts aufbringen läßt: ſo müſſen wir geſtehen, daß er auch unter den heftigſten Leiden ſich noch immer gleich blieb, ohne von ſeinen Grundſätzen im geringſten ab- zuweichen. Aber wie auffallend groß und ſichtbar iſt nicht heim-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0296" n="270"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XLI.</hi> Betrachtung.</fw><lb/> tröſtete, unterrichtete er ſie noch mit der ganzen Zärt-<lb/> lichkeit eines Vaters, der ſeine geliebten Kinder mit<lb/> voller Gegenwart des Geiſtes und mit männlichem<lb/> Muthe über die bevorſtehende Trennung zu beruhi-<lb/> gen ſucht. Und wenn wir ihn in dieſen bedenklichen<lb/> Umſtänden ſehen, mit welchem geſetzten ruhigen We-<lb/> ſen er ſeinen Feinden entgegengeht, wie er da ſeinen<lb/> Verräther ohne Heftigkeit beſchämt, mit welcher<lb/> Schonung er da ſeine Jünger behandelt und für ihre<lb/> Sicherheit ſorgt, wenn wir ſehen, wie er dieſe ruhige<lb/> Gemüthsverfaſſung durch alle Auftritte ſeines Lei-<lb/> dens und Schmerzens beybehält, ſich durch nichts<lb/> aufbringen läßt: ſo müſſen wir geſtehen, daß er auch<lb/> unter den heftigſten Leiden ſich noch immer gleich<lb/> blieb, ohne von ſeinen Grundſätzen im geringſten ab-<lb/> zuweichen.</p><lb/> <p>Aber wie auffallend groß und ſichtbar iſt nicht<lb/> hier die Unähnlichkeit der meiſten Chriſten mit Jeſu<lb/> ihrem Muſter und Vorgänger! die meiſten laſſen<lb/> ſich von heftigen Leidenſchaften lenken und irre füh-<lb/> ren, ſo daß ſie heute ganz anders denken und handeln,<lb/> als morgen. Den einen plagt der Durſt nach eitler<lb/> Ehre, die ihm zu ſeinem großen Verdruße von an-<lb/> dern ſtreitig gemacht oder erſchwert wird; den an-<lb/> dern quält die Sucht nach Reichthum, indem er im-<lb/> mer mehr wünſcht, als er ſchon beſitzt, und als er zu<lb/> genieſſen fähig iſt; noch einen andern verzehrt der<lb/> <fw place="bottom" type="catch">heim-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [270/0296]
XLI. Betrachtung.
tröſtete, unterrichtete er ſie noch mit der ganzen Zärt-
lichkeit eines Vaters, der ſeine geliebten Kinder mit
voller Gegenwart des Geiſtes und mit männlichem
Muthe über die bevorſtehende Trennung zu beruhi-
gen ſucht. Und wenn wir ihn in dieſen bedenklichen
Umſtänden ſehen, mit welchem geſetzten ruhigen We-
ſen er ſeinen Feinden entgegengeht, wie er da ſeinen
Verräther ohne Heftigkeit beſchämt, mit welcher
Schonung er da ſeine Jünger behandelt und für ihre
Sicherheit ſorgt, wenn wir ſehen, wie er dieſe ruhige
Gemüthsverfaſſung durch alle Auftritte ſeines Lei-
dens und Schmerzens beybehält, ſich durch nichts
aufbringen läßt: ſo müſſen wir geſtehen, daß er auch
unter den heftigſten Leiden ſich noch immer gleich
blieb, ohne von ſeinen Grundſätzen im geringſten ab-
zuweichen.
Aber wie auffallend groß und ſichtbar iſt nicht
hier die Unähnlichkeit der meiſten Chriſten mit Jeſu
ihrem Muſter und Vorgänger! die meiſten laſſen
ſich von heftigen Leidenſchaften lenken und irre füh-
ren, ſo daß ſie heute ganz anders denken und handeln,
als morgen. Den einen plagt der Durſt nach eitler
Ehre, die ihm zu ſeinem großen Verdruße von an-
dern ſtreitig gemacht oder erſchwert wird; den an-
dern quält die Sucht nach Reichthum, indem er im-
mer mehr wünſcht, als er ſchon beſitzt, und als er zu
genieſſen fähig iſt; noch einen andern verzehrt der
heim-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern:
Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |