Wenn nun aber Jesus seinen Feinden theils ihre Un- gerechtigkeit, theils seine Unschuld so nachdrücklich vorstellte; so war er das der Rettung seiner Ehre und Unschuld schuldig, und man würde ihn für einen fühllosen Schwärmer gehalten haben, wenn er gänz- lich und durchgängig geschwiegen hätte. Nur alsdann beobachtete er ein weises Stillschweigen, wo er sahe, daß die Wuth und Erbitterung seiner Feinde so groß war, daß sie auf keine Vorstellungen mehr achteten, und jede Vertheidigung fruchtlos gewesen seyn würde. Auch äußerte Jesus dadurch Gefühl für wahre Ehre, indem er bey seinem feyerlichen Einzuge nach Jerusa- lem alle die Ehrenbezeugungen annahm, die seine Schüler und Verehrer ihm da erwiesen, damit alles Volk nun wissen und erfahren möchte, daß er Chri- stus, der erhabene Sohn Gottes sey.
Wenn also unsere Ehre von andern angegriffen und gekränkt wird; so brauchen wir als Christen nicht fühllos, nicht unempfindlich zu seyn, denn Je- sus, unser Herr, war es auch nicht. Und sein Bei- spiel rechtfertiget auf keine Weise diejenigen Men- schen, die so ganz ohne Edelmuth sind, daß sie for- dern, ein Christ müsse sich alles gefallen lassen, man möge mit ihm machen, was man wolle. Wiederfäh- ret uns, statt der verdienten Ehre und Belohnung, Undank und Verachtung von unsern Mitmenschen; so ist es uns zu verzeihen, wenn uns das schmerzt,
und
XXXIX. Betrachtung.
Wenn nun aber Jeſus ſeinen Feinden theils ihre Un- gerechtigkeit, theils ſeine Unſchuld ſo nachdrücklich vorſtellte; ſo war er das der Rettung ſeiner Ehre und Unſchuld ſchuldig, und man würde ihn für einen fühlloſen Schwärmer gehalten haben, wenn er gänz- lich und durchgängig geſchwiegen hätte. Nur alsdann beobachtete er ein weiſes Stillſchweigen, wo er ſahe, daß die Wuth und Erbitterung ſeiner Feinde ſo groß war, daß ſie auf keine Vorſtellungen mehr achteten, und jede Vertheidigung fruchtlos geweſen ſeyn würde. Auch äußerte Jeſus dadurch Gefühl für wahre Ehre, indem er bey ſeinem feyerlichen Einzuge nach Jeruſa- lem alle die Ehrenbezeugungen annahm, die ſeine Schüler und Verehrer ihm da erwieſen, damit alles Volk nun wiſſen und erfahren möchte, daß er Chri- ſtus, der erhabene Sohn Gottes ſey.
Wenn alſo unſere Ehre von andern angegriffen und gekränkt wird; ſo brauchen wir als Chriſten nicht fühllos, nicht unempfindlich zu ſeyn, denn Je- ſus, unſer Herr, war es auch nicht. Und ſein Bei- ſpiel rechtfertiget auf keine Weiſe diejenigen Men- ſchen, die ſo ganz ohne Edelmuth ſind, daß ſie for- dern, ein Chriſt müſſe ſich alles gefallen laſſen, man möge mit ihm machen, was man wolle. Wiederfäh- ret uns, ſtatt der verdienten Ehre und Belohnung, Undank und Verachtung von unſern Mitmenſchen; ſo iſt es uns zu verzeihen, wenn uns das ſchmerzt,
und
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XXXIX. Betrachtung.
Wenn nun aber Jeſus ſeinen Feinden theils ihre Un-
gerechtigkeit, theils ſeine Unſchuld ſo nachdrücklich
vorſtellte; ſo war er das der Rettung ſeiner Ehre und
Unſchuld ſchuldig, und man würde ihn für einen
fühlloſen Schwärmer gehalten haben, wenn er gänz-
lich und durchgängig geſchwiegen hätte. Nur alsdann
beobachtete er ein weiſes Stillſchweigen, wo er ſahe,
daß die Wuth und Erbitterung ſeiner Feinde ſo groß
war, daß ſie auf keine Vorſtellungen mehr achteten,
und jede Vertheidigung fruchtlos geweſen ſeyn würde.
Auch äußerte Jeſus dadurch Gefühl für wahre Ehre,
indem er bey ſeinem feyerlichen Einzuge nach Jeruſa-
lem alle die Ehrenbezeugungen annahm, die ſeine
Schüler und Verehrer ihm da erwieſen, damit alles
Volk nun wiſſen und erfahren möchte, daß er Chri-
ſtus, der erhabene Sohn Gottes ſey.
Wenn alſo unſere Ehre von andern angegriffen
und gekränkt wird; ſo brauchen wir als Chriſten
nicht fühllos, nicht unempfindlich zu ſeyn, denn Je-
ſus, unſer Herr, war es auch nicht. Und ſein Bei-
ſpiel rechtfertiget auf keine Weiſe diejenigen Men-
ſchen, die ſo ganz ohne Edelmuth ſind, daß ſie for-
dern, ein Chriſt müſſe ſich alles gefallen laſſen, man
möge mit ihm machen, was man wolle. Wiederfäh-
ret uns, ſtatt der verdienten Ehre und Belohnung,
Undank und Verachtung von unſern Mitmenſchen;
ſo iſt es uns zu verzeihen, wenn uns das ſchmerzt,
und
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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/284>, abgerufen am 16.07.2024.
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