Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

XXXVI. Betrachtung.
Guten untüchtig machen wollte. Nein, das sey fer-
ne von mir. Mit Freuden will ich so lange leben,
als es Gott gefällt, der mit Weisheit und Güte mir
selbst das Ziel gesteckt hat, das ich erreichen kann.
Gerne will ich Gutes thun, meine Kräfte und Fähig-
keiten auf die beste Art anwenden, und mich zum
Uebergang in jene Welt vorbereiten. Komme ich
in solche Umstände, wo es mir mein Beruf oder
die Menschenliebe zur Pflicht machen, mein Leben
für andere der Gefahr auszusetzen, so will ichs voll
Vertrauen auf Gott thun, und dabey immer an je-
nen Ausspruch denken: Niemand hat größere Liebe
denn die, daß er sein Leben lässet für seine Freunde,
*)
so wie Jesus das für uns alle gethan hat. Gott mag
mich alsdann frühe oder späte aus diesem Leben abru-
fen; ich will ihm nichts vorschreiben, weil es doch
am Ende nicht darauf ankommt, wie lange, son-
dern wie gut ich gelebt habe. Habe ich nur mein
Tagewerk vollendet, das mir Gott auftrug; dann
kann ich stets bereit seyn, mein Leben zu beschließen, so
bald er es gebietet, oder so bald es mein Beruf for-
dert. Bey empfindlichen Leiden, bey fehlgeschla-
genen Hofnungen und harten Unglücksfällen, die
mich treffen, will ich nie aus Ungeduld und aus Ue-
berdruß des Lebens das Ende desselben herbey wün-
schen; ich will vielmehr Gott durch Geduld ehren,

alle
*) Joh. 15, 13.

XXXVI. Betrachtung.
Guten untüchtig machen wollte. Nein, das ſey fer-
ne von mir. Mit Freuden will ich ſo lange leben,
als es Gott gefällt, der mit Weisheit und Güte mir
ſelbſt das Ziel geſteckt hat, das ich erreichen kann.
Gerne will ich Gutes thun, meine Kräfte und Fähig-
keiten auf die beſte Art anwenden, und mich zum
Uebergang in jene Welt vorbereiten. Komme ich
in ſolche Umſtände, wo es mir mein Beruf oder
die Menſchenliebe zur Pflicht machen, mein Leben
für andere der Gefahr auszuſetzen, ſo will ichs voll
Vertrauen auf Gott thun, und dabey immer an je-
nen Ausſpruch denken: Niemand hat größere Liebe
denn die, daß er ſein Leben läſſet für ſeine Freunde,
*)
ſo wie Jeſus das für uns alle gethan hat. Gott mag
mich alsdann frühe oder ſpäte aus dieſem Leben abru-
fen; ich will ihm nichts vorſchreiben, weil es doch
am Ende nicht darauf ankommt, wie lange, ſon-
dern wie gut ich gelebt habe. Habe ich nur mein
Tagewerk vollendet, das mir Gott auftrug; dann
kann ich ſtets bereit ſeyn, mein Leben zu beſchließen, ſo
bald er es gebietet, oder ſo bald es mein Beruf for-
dert. Bey empfindlichen Leiden, bey fehlgeſchla-
genen Hofnungen und harten Unglücksfällen, die
mich treffen, will ich nie aus Ungeduld und aus Ue-
berdruß des Lebens das Ende deſſelben herbey wün-
ſchen; ich will vielmehr Gott durch Geduld ehren,

alle
*) Joh. 15, 13.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0266" n="240"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XXXVI.</hi> Betrachtung.</fw><lb/>
Guten untüchtig machen wollte. Nein, das &#x017F;ey fer-<lb/>
ne von mir. Mit Freuden will ich &#x017F;o lange leben,<lb/>
als es Gott gefällt, der mit Weisheit und Güte mir<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t das Ziel ge&#x017F;teckt hat, das ich erreichen kann.<lb/>
Gerne will ich Gutes thun, meine Kräfte und Fähig-<lb/>
keiten auf die be&#x017F;te Art anwenden, und mich zum<lb/>
Uebergang in jene Welt vorbereiten. Komme ich<lb/>
in &#x017F;olche Um&#x017F;tände, wo es mir mein Beruf oder<lb/>
die Men&#x017F;chenliebe zur Pflicht machen, mein Leben<lb/>
für andere der Gefahr auszu&#x017F;etzen, &#x017F;o will ichs voll<lb/>
Vertrauen auf Gott thun, und dabey immer an je-<lb/>
nen Aus&#x017F;pruch denken: <hi rendition="#fr">Niemand hat größere Liebe<lb/>
denn die, daß er &#x017F;ein Leben lä&#x017F;&#x017F;et für &#x017F;eine Freunde,</hi><note place="foot" n="*)">Joh. 15, 13.</note><lb/>
&#x017F;o wie Je&#x017F;us das für uns alle gethan hat. Gott mag<lb/>
mich alsdann frühe oder &#x017F;päte aus die&#x017F;em Leben abru-<lb/>
fen; ich will ihm nichts vor&#x017F;chreiben, weil es doch<lb/>
am Ende nicht darauf ankommt, wie lange, &#x017F;on-<lb/>
dern wie gut ich gelebt habe. Habe ich nur mein<lb/>
Tagewerk vollendet, das mir Gott auftrug; dann<lb/>
kann ich &#x017F;tets bereit &#x017F;eyn, mein Leben zu be&#x017F;chließen, &#x017F;o<lb/>
bald er es gebietet, oder &#x017F;o bald es mein Beruf for-<lb/>
dert. Bey empfindlichen Leiden, bey fehlge&#x017F;chla-<lb/>
genen Hofnungen und harten Unglücksfällen, die<lb/>
mich treffen, will ich nie aus Ungeduld und aus Ue-<lb/>
berdruß des Lebens das Ende de&#x017F;&#x017F;elben herbey wün-<lb/>
&#x017F;chen; ich will vielmehr Gott durch Geduld ehren,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">alle</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[240/0266] XXXVI. Betrachtung. Guten untüchtig machen wollte. Nein, das ſey fer- ne von mir. Mit Freuden will ich ſo lange leben, als es Gott gefällt, der mit Weisheit und Güte mir ſelbſt das Ziel geſteckt hat, das ich erreichen kann. Gerne will ich Gutes thun, meine Kräfte und Fähig- keiten auf die beſte Art anwenden, und mich zum Uebergang in jene Welt vorbereiten. Komme ich in ſolche Umſtände, wo es mir mein Beruf oder die Menſchenliebe zur Pflicht machen, mein Leben für andere der Gefahr auszuſetzen, ſo will ichs voll Vertrauen auf Gott thun, und dabey immer an je- nen Ausſpruch denken: Niemand hat größere Liebe denn die, daß er ſein Leben läſſet für ſeine Freunde, *) ſo wie Jeſus das für uns alle gethan hat. Gott mag mich alsdann frühe oder ſpäte aus dieſem Leben abru- fen; ich will ihm nichts vorſchreiben, weil es doch am Ende nicht darauf ankommt, wie lange, ſon- dern wie gut ich gelebt habe. Habe ich nur mein Tagewerk vollendet, das mir Gott auftrug; dann kann ich ſtets bereit ſeyn, mein Leben zu beſchließen, ſo bald er es gebietet, oder ſo bald es mein Beruf for- dert. Bey empfindlichen Leiden, bey fehlgeſchla- genen Hofnungen und harten Unglücksfällen, die mich treffen, will ich nie aus Ungeduld und aus Ue- berdruß des Lebens das Ende deſſelben herbey wün- ſchen; ich will vielmehr Gott durch Geduld ehren, alle *) Joh. 15, 13.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/266
Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/266>, abgerufen am 16.07.2024.