Dreyunddreyßigste Betrachtung. Jesu Verhalten bey ungerechten Urtheilen und unverdientem Tadel.
1 Petr. 3, 9.
Vergeltet nicht Böses mit Bösem, oder Scheltworte mit Scheltworten, sondern dagegen segnet.
Groß und vielfach waren die Verdienste Jesu um seine Zeitgenossen, allein sie wurden leider nur von wenigen erkannt und geschätzt, von den meisten hingegen verkannt und übersehen. Was von jeher das Schicksal der verdienstvollsten, edelsten Men- schen war, das war auch sein Loos, und er konnte daher mit Recht auch von sich sagen: Kein Pro- phet ist angenehm in seinem Vaterlande. Auch er entgieng nicht dem unverdienten Tadel seiner Lands- leute; auch über ihn fällte man sehr häufig die unge- rechtesten Urtheile. Brachte man einen Gichtbrüchi- gen zu ihm, um ihn gesund zu machen, und sahe der Erlöser, daß dieser Leidende zugleich über seine Sün- den, als über die Ursache seiner Krankheit beküm- mert war, und sprach er zu ihm: Sey getrost, dir sind deine Sünden vergeben! so hieß es gleich: die- ser lästert Gott!*) Stets sprach er mit Hochach- tung von der Religion, und doch gaben ihm die rohen
Men-
*) Matth. 9, 3.
Dreyunddreyßigſte Betrachtung. Jeſu Verhalten bey ungerechten Urtheilen und unverdientem Tadel.
1 Petr. 3, 9.
Vergeltet nicht Böſes mit Böſem, oder Scheltworte mit Scheltworten, ſondern dagegen ſegnet.
Groß und vielfach waren die Verdienſte Jeſu um ſeine Zeitgenoſſen, allein ſie wurden leider nur von wenigen erkannt und geſchätzt, von den meiſten hingegen verkannt und überſehen. Was von jeher das Schickſal der verdienſtvollſten, edelſten Men- ſchen war, das war auch ſein Loos, und er konnte daher mit Recht auch von ſich ſagen: Kein Pro- phet iſt angenehm in ſeinem Vaterlande. Auch er entgieng nicht dem unverdienten Tadel ſeiner Lands- leute; auch über ihn fällte man ſehr häufig die unge- rechteſten Urtheile. Brachte man einen Gichtbrüchi- gen zu ihm, um ihn geſund zu machen, und ſahe der Erlöſer, daß dieſer Leidende zugleich über ſeine Sün- den, als über die Urſache ſeiner Krankheit beküm- mert war, und ſprach er zu ihm: Sey getroſt, dir ſind deine Sünden vergeben! ſo hieß es gleich: die- ſer läſtert Gott!*) Stets ſprach er mit Hochach- tung von der Religion, und doch gaben ihm die rohen
Men-
*) Matth. 9, 3.
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Dreyunddreyßigſte Betrachtung.
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1 Petr. 3, 9.
Vergeltet nicht Böſes mit Böſem, oder Scheltworte mit
Scheltworten, ſondern dagegen ſegnet.
Groß und vielfach waren die Verdienſte Jeſu um
ſeine Zeitgenoſſen, allein ſie wurden leider nur
von wenigen erkannt und geſchätzt, von den meiſten
hingegen verkannt und überſehen. Was von jeher
das Schickſal der verdienſtvollſten, edelſten Men-
ſchen war, das war auch ſein Loos, und er konnte
daher mit Recht auch von ſich ſagen: Kein Pro-
phet iſt angenehm in ſeinem Vaterlande. Auch er
entgieng nicht dem unverdienten Tadel ſeiner Lands-
leute; auch über ihn fällte man ſehr häufig die unge-
rechteſten Urtheile. Brachte man einen Gichtbrüchi-
gen zu ihm, um ihn geſund zu machen, und ſahe der
Erlöſer, daß dieſer Leidende zugleich über ſeine Sün-
den, als über die Urſache ſeiner Krankheit beküm-
mert war, und ſprach er zu ihm: Sey getroſt, dir
ſind deine Sünden vergeben! ſo hieß es gleich: die-
ſer läſtert Gott! *) Stets ſprach er mit Hochach-
tung von der Religion, und doch gaben ihm die rohen
Men-
*) Matth. 9, 3.
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Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/240>, abgerufen am 22.11.2024.
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