Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

XXIII. Betrachtung.
ten und Unglücklichen! Höre sie theilnehmend an,
wenn sie ihre Sorgen und Bekümmernisse in deinen
Schoos ausschütten: schäme dich nicht, deine Thrä-
nen mit den ihrigen zu vermischen; nimm ihr Unglück
zu Herzen; laß dichs jammern und sey nicht gleich-
gültig und unempfindlich, wenn sie unter der Last des
Elends und unter dem Drucke langwieriger Leiden
seufzen. Hast du Balsam für ihre verwundeten
Herzen, so reiche ihnen denselben willig dar; habe
Nachsicht mit ihnen, wenn auch bisweilen der Aus-
druck ihres Schmerzes zu heftig seyn sollte. Doch
laß es nicht blos bey mitleidsvollen Worten und theil-
nehmenden Tröstungen bewenden, sondern sey, wie
Jesus, auf eine thätige Art mitleidig, und thue we-
nigstens so viel, als in deiner Gewalt stehet. Kannst
du die Ursachen des Kummers, der an ihren Herzen
nagt, wegräumen, kannst du zum Ersatz ihres Ver-
lusts, zur Vergütung ihres erlittenen Unrechts et-
was beytragen; kannst du das Elend Anderer ver-
mindern, so thue es gerne und ungeheißen. Denn
wenn du dem leidenden Bruder die Thränen abtrock-
nest, wenn du sein Herz von Kummer und Gram be-
freyest, wenn du seinen niedergeschlagenen Muth auf-
richtest; dann handelst du göttlich, dann näherst du
dich der Aehnlichkeit mit Jesu, der noch jetzo ein mit-
leidiger barmherziger Hoherpriester ist. Dann zeigst
du das wahre, christlich gute Herz, das Gott so
wohlgefällig ist.

Herr

XXIII. Betrachtung.
ten und Unglücklichen! Höre ſie theilnehmend an,
wenn ſie ihre Sorgen und Bekümmerniſſe in deinen
Schoos ausſchütten: ſchäme dich nicht, deine Thrä-
nen mit den ihrigen zu vermiſchen; nimm ihr Unglück
zu Herzen; laß dichs jammern und ſey nicht gleich-
gültig und unempfindlich, wenn ſie unter der Laſt des
Elends und unter dem Drucke langwieriger Leiden
ſeufzen. Haſt du Balſam für ihre verwundeten
Herzen, ſo reiche ihnen denſelben willig dar; habe
Nachſicht mit ihnen, wenn auch bisweilen der Aus-
druck ihres Schmerzes zu heftig ſeyn ſollte. Doch
laß es nicht blos bey mitleidsvollen Worten und theil-
nehmenden Tröſtungen bewenden, ſondern ſey, wie
Jeſus, auf eine thätige Art mitleidig, und thue we-
nigſtens ſo viel, als in deiner Gewalt ſtehet. Kannſt
du die Urſachen des Kummers, der an ihren Herzen
nagt, wegräumen, kannſt du zum Erſatz ihres Ver-
luſts, zur Vergütung ihres erlittenen Unrechts et-
was beytragen; kannſt du das Elend Anderer ver-
mindern, ſo thue es gerne und ungeheißen. Denn
wenn du dem leidenden Bruder die Thränen abtrock-
neſt, wenn du ſein Herz von Kummer und Gram be-
freyeſt, wenn du ſeinen niedergeſchlagenen Muth auf-
richteſt; dann handelſt du göttlich, dann näherſt du
dich der Aehnlichkeit mit Jeſu, der noch jetzo ein mit-
leidiger barmherziger Hoherprieſter iſt. Dann zeigſt
du das wahre, chriſtlich gute Herz, das Gott ſo
wohlgefällig iſt.

Herr
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0178" n="152"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XXIII.</hi> Betrachtung.</fw><lb/>
ten und Unglücklichen! Höre &#x017F;ie theilnehmend an,<lb/>
wenn &#x017F;ie ihre Sorgen und Bekümmerni&#x017F;&#x017F;e in deinen<lb/>
Schoos aus&#x017F;chütten: &#x017F;chäme dich nicht, deine Thrä-<lb/>
nen mit den ihrigen zu vermi&#x017F;chen; nimm ihr Unglück<lb/>
zu Herzen; laß dichs jammern und &#x017F;ey nicht gleich-<lb/>
gültig und unempfindlich, wenn &#x017F;ie unter der La&#x017F;t des<lb/>
Elends und unter dem Drucke langwieriger Leiden<lb/>
&#x017F;eufzen. Ha&#x017F;t du Bal&#x017F;am für ihre verwundeten<lb/>
Herzen, &#x017F;o reiche ihnen den&#x017F;elben willig dar; habe<lb/>
Nach&#x017F;icht mit ihnen, wenn auch bisweilen der Aus-<lb/>
druck ihres Schmerzes zu heftig &#x017F;eyn &#x017F;ollte. Doch<lb/>
laß es nicht blos bey mitleidsvollen Worten und theil-<lb/>
nehmenden Trö&#x017F;tungen bewenden, &#x017F;ondern &#x017F;ey, wie<lb/>
Je&#x017F;us, auf eine thätige Art mitleidig, und thue we-<lb/>
nig&#x017F;tens &#x017F;o viel, als in deiner Gewalt &#x017F;tehet. Kann&#x017F;t<lb/>
du die Ur&#x017F;achen des Kummers, der an ihren Herzen<lb/>
nagt, wegräumen, kann&#x017F;t du zum Er&#x017F;atz ihres Ver-<lb/>
lu&#x017F;ts, zur Vergütung ihres erlittenen Unrechts et-<lb/>
was beytragen; kann&#x017F;t du das Elend Anderer ver-<lb/>
mindern, &#x017F;o thue es gerne und ungeheißen. Denn<lb/>
wenn du dem leidenden Bruder die Thränen abtrock-<lb/>
ne&#x017F;t, wenn du &#x017F;ein Herz von Kummer und Gram be-<lb/>
freye&#x017F;t, wenn du &#x017F;einen niederge&#x017F;chlagenen Muth auf-<lb/>
richte&#x017F;t; dann handel&#x017F;t du göttlich, dann näher&#x017F;t du<lb/>
dich der Aehnlichkeit mit Je&#x017F;u, der noch jetzo ein mit-<lb/>
leidiger barmherziger Hoherprie&#x017F;ter i&#x017F;t. Dann zeig&#x017F;t<lb/>
du das wahre, chri&#x017F;tlich gute Herz, das Gott &#x017F;o<lb/>
wohlgefällig i&#x017F;t.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Herr</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0178] XXIII. Betrachtung. ten und Unglücklichen! Höre ſie theilnehmend an, wenn ſie ihre Sorgen und Bekümmerniſſe in deinen Schoos ausſchütten: ſchäme dich nicht, deine Thrä- nen mit den ihrigen zu vermiſchen; nimm ihr Unglück zu Herzen; laß dichs jammern und ſey nicht gleich- gültig und unempfindlich, wenn ſie unter der Laſt des Elends und unter dem Drucke langwieriger Leiden ſeufzen. Haſt du Balſam für ihre verwundeten Herzen, ſo reiche ihnen denſelben willig dar; habe Nachſicht mit ihnen, wenn auch bisweilen der Aus- druck ihres Schmerzes zu heftig ſeyn ſollte. Doch laß es nicht blos bey mitleidsvollen Worten und theil- nehmenden Tröſtungen bewenden, ſondern ſey, wie Jeſus, auf eine thätige Art mitleidig, und thue we- nigſtens ſo viel, als in deiner Gewalt ſtehet. Kannſt du die Urſachen des Kummers, der an ihren Herzen nagt, wegräumen, kannſt du zum Erſatz ihres Ver- luſts, zur Vergütung ihres erlittenen Unrechts et- was beytragen; kannſt du das Elend Anderer ver- mindern, ſo thue es gerne und ungeheißen. Denn wenn du dem leidenden Bruder die Thränen abtrock- neſt, wenn du ſein Herz von Kummer und Gram be- freyeſt, wenn du ſeinen niedergeſchlagenen Muth auf- richteſt; dann handelſt du göttlich, dann näherſt du dich der Aehnlichkeit mit Jeſu, der noch jetzo ein mit- leidiger barmherziger Hoherprieſter iſt. Dann zeigſt du das wahre, chriſtlich gute Herz, das Gott ſo wohlgefällig iſt. Herr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/178
Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/178>, abgerufen am 16.07.2024.