Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>


keit vergönnet ist; er ist ein Gut, das mein Gut,
meine Ehre und die immer wirksame Ursache mei-
ner Freude und Glückseeligkeit ist; er ist mein
Gott. Wenn irgend eine Traurigkeit meine
Seele überfällt, und ich überwältige die Empfin-
dung derselben nicht; wenn ich mich beklage, daß
ich keine Freude habe, weil diese oder jene Wün-
sche meines Herzens nicht befriedigt werden: Bin
ich zu bedauern? Habe ich es nicht mir zuzu-
schreiben, daß meine Seele finster ist? Wenn sich
auch die ganze Welt in eine freudenleere Einöde für
mich verwandelte; wenn für mich der Himmel kei-
ne Pracht, die Sonne kein Licht, die Natur keine
Güter hätte! Gäbe es darum kein Vergnügen für
mich? Stehet mir nicht immer die reichste Quelle
desselben offen? Kenne ich Gott nicht, und ist
nicht Gott, das vollkommenste, beste und herr-
lichste Wesen, mein Gott?

Hochachtung, Ehrerbietung, Bewunde-
rung, Liebe, Zärtlichkeit, Vertrauen und Hoff-
nung sind die angenehmsten Bewegungen, wel-
cher ein vernünftiges Wesen fähig ist. Das
Vergnügen, welches sie der Seele geben, ist
zwar von einer ruhigern und sanftern Art, als
das Vergnügen der Sinne; aber wenn es nicht,
wie dieses berauscht, so verschwindet es auch nicht

so


keit vergönnet iſt; er iſt ein Gut, das mein Gut,
meine Ehre und die immer wirkſame Urſache mei-
ner Freude und Glückſeeligkeit iſt; er iſt mein
Gott. Wenn irgend eine Traurigkeit meine
Seele überfällt, und ich überwältige die Empfin-
dung derſelben nicht; wenn ich mich beklage, daß
ich keine Freude habe, weil dieſe oder jene Wün-
ſche meines Herzens nicht befriedigt werden: Bin
ich zu bedauern? Habe ich es nicht mir zuzu-
ſchreiben, daß meine Seele finſter iſt? Wenn ſich
auch die ganze Welt in eine freudenleere Einöde für
mich verwandelte; wenn für mich der Himmel kei-
ne Pracht, die Sonne kein Licht, die Natur keine
Güter hätte! Gäbe es darum kein Vergnügen für
mich? Stehet mir nicht immer die reichſte Quelle
deſſelben offen? Kenne ich Gott nicht, und iſt
nicht Gott, das vollkommenſte, beſte und herr-
lichſte Weſen, mein Gott?

Hochachtung, Ehrerbietung, Bewunde-
rung, Liebe, Zärtlichkeit, Vertrauen und Hoff-
nung ſind die angenehmſten Bewegungen, wel-
cher ein vernünftiges Weſen fähig iſt. Das
Vergnügen, welches ſie der Seele geben, iſt
zwar von einer ruhigern und ſanftern Art, als
das Vergnügen der Sinne; aber wenn es nicht,
wie dieſes berauſcht, ſo verſchwindet es auch nicht

ſo
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0066" n="52"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
keit vergönnet i&#x017F;t; er i&#x017F;t ein Gut, das mein Gut,<lb/>
meine Ehre und die immer wirk&#x017F;ame Ur&#x017F;ache mei-<lb/>
ner Freude und Glück&#x017F;eeligkeit i&#x017F;t; er i&#x017F;t mein<lb/>
Gott. Wenn irgend eine Traurigkeit meine<lb/>
Seele überfällt, und ich überwältige die Empfin-<lb/>
dung der&#x017F;elben nicht; wenn ich mich beklage, daß<lb/>
ich keine Freude habe, weil die&#x017F;e oder jene Wün-<lb/>
&#x017F;che meines Herzens nicht befriedigt werden: Bin<lb/>
ich zu bedauern? Habe ich es nicht mir zuzu-<lb/>
&#x017F;chreiben, daß meine Seele fin&#x017F;ter i&#x017F;t? Wenn &#x017F;ich<lb/>
auch die ganze Welt in eine freudenleere Einöde für<lb/>
mich verwandelte; wenn für mich der Himmel kei-<lb/>
ne Pracht, die Sonne kein Licht, die Natur keine<lb/>
Güter hätte! Gäbe es darum kein Vergnügen für<lb/>
mich? Stehet mir nicht immer die reich&#x017F;te Quelle<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben offen? Kenne ich Gott nicht, und i&#x017F;t<lb/>
nicht Gott, das vollkommen&#x017F;te, be&#x017F;te und herr-<lb/>
lich&#x017F;te We&#x017F;en, mein Gott?</p><lb/>
        <p>Hochachtung, Ehrerbietung, Bewunde-<lb/>
rung, Liebe, Zärtlichkeit, Vertrauen und Hoff-<lb/>
nung &#x017F;ind die angenehm&#x017F;ten Bewegungen, wel-<lb/>
cher ein vernünftiges We&#x017F;en fähig i&#x017F;t. Das<lb/>
Vergnügen, welches &#x017F;ie der Seele geben, i&#x017F;t<lb/>
zwar von einer ruhigern und &#x017F;anftern Art, als<lb/>
das Vergnügen der Sinne; aber wenn es nicht,<lb/>
wie die&#x017F;es berau&#x017F;cht, &#x017F;o ver&#x017F;chwindet es auch nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;o</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0066] keit vergönnet iſt; er iſt ein Gut, das mein Gut, meine Ehre und die immer wirkſame Urſache mei- ner Freude und Glückſeeligkeit iſt; er iſt mein Gott. Wenn irgend eine Traurigkeit meine Seele überfällt, und ich überwältige die Empfin- dung derſelben nicht; wenn ich mich beklage, daß ich keine Freude habe, weil dieſe oder jene Wün- ſche meines Herzens nicht befriedigt werden: Bin ich zu bedauern? Habe ich es nicht mir zuzu- ſchreiben, daß meine Seele finſter iſt? Wenn ſich auch die ganze Welt in eine freudenleere Einöde für mich verwandelte; wenn für mich der Himmel kei- ne Pracht, die Sonne kein Licht, die Natur keine Güter hätte! Gäbe es darum kein Vergnügen für mich? Stehet mir nicht immer die reichſte Quelle deſſelben offen? Kenne ich Gott nicht, und iſt nicht Gott, das vollkommenſte, beſte und herr- lichſte Weſen, mein Gott? Hochachtung, Ehrerbietung, Bewunde- rung, Liebe, Zärtlichkeit, Vertrauen und Hoff- nung ſind die angenehmſten Bewegungen, wel- cher ein vernünftiges Weſen fähig iſt. Das Vergnügen, welches ſie der Seele geben, iſt zwar von einer ruhigern und ſanftern Art, als das Vergnügen der Sinne; aber wenn es nicht, wie dieſes berauſcht, ſo verſchwindet es auch nicht ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/66
Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/66>, abgerufen am 24.08.2024.