Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.genug, das Erstaunen ganzer Jahre zu beschäff- tigen! Gleichwohl wird ihr, je weiter sich die Be- trachtung ausbreitet, die Schöpfung desto un- endlicher. Es ist eine bestimmte Menge von We- sen und sie kann doch mit allen ihren Bemühungen die Zahl nicht finden, durch die sie ausgesprochen werden kann. Die Mannichfaltigkeit derselben hat ihre Schranken; aber wenn auch alle Men- schen alle Kräfte ihres Geistes vereinigten, so wäre ihnen doch unmöglich, diese Schranken zu finden. Die ungeheuerste Größe der furchtbaren Massen von feurigen und dunkeln Körpern, die in einer unbegreiflichen Ferne über uns aufgehängt sind, ist doch nur eine endliche Größe: Aber wer kann sie messen? Verbiete ich meiner Seele den Flug aus einer Welt voll Wunder in die andre, und will mich mit meiner Aufmerksamkeit nur bey die- sem oder jenem einzelnen Geschöpfe verweilen, nur ein kleines selten bemerktes Jnsect, nur eine gemeine Blume, die auf den Wiesen unbewun- dert aufblüht und verwelkt, nur eins von den Blättern betrachten, die bey Millionen von ei- nem Jahre zum andern unter meinen Füßen ver- modern: Werde ich darum weniger zu erstaunen Ursache haben? Es ist nicht mehr der unermeß- liche Raum des Weltbaues, der mich mit Ver- wunderung erfüllt; aber die fast unzählbaren nur einem
genug, das Erſtaunen ganzer Jahre zu beſchäff- tigen! Gleichwohl wird ihr, je weiter ſich die Be- trachtung ausbreitet, die Schöpfung deſto un- endlicher. Es iſt eine beſtimmte Menge von We- ſen und ſie kann doch mit allen ihren Bemühungen die Zahl nicht finden, durch die ſie ausgeſprochen werden kann. Die Mannichfaltigkeit derſelben hat ihre Schranken; aber wenn auch alle Men- ſchen alle Kräfte ihres Geiſtes vereinigten, ſo wäre ihnen doch unmöglich, dieſe Schranken zu finden. Die ungeheuerſte Größe der furchtbaren Maſſen von feurigen und dunkeln Körpern, die in einer unbegreiflichen Ferne über uns aufgehängt ſind, iſt doch nur eine endliche Größe: Aber wer kann ſie meſſen? Verbiete ich meiner Seele den Flug aus einer Welt voll Wunder in die andre, und will mich mit meiner Aufmerkſamkeit nur bey die- ſem oder jenem einzelnen Geſchöpfe verweilen, nur ein kleines ſelten bemerktes Jnſect, nur eine gemeine Blume, die auf den Wieſen unbewun- dert aufblüht und verwelkt, nur eins von den Blättern betrachten, die bey Millionen von ei- nem Jahre zum andern unter meinen Füßen ver- modern: Werde ich darum weniger zu erſtaunen Urſache haben? Es iſt nicht mehr der unermeß- liche Raum des Weltbaues, der mich mit Ver- wunderung erfüllt; aber die faſt unzählbaren nur einem
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genug, das Erſtaunen ganzer Jahre zu beſchäff-
tigen! Gleichwohl wird ihr, je weiter ſich die Be-
trachtung ausbreitet, die Schöpfung deſto un-
endlicher. Es iſt eine beſtimmte Menge von We-
ſen und ſie kann doch mit allen ihren Bemühungen
die Zahl nicht finden, durch die ſie ausgeſprochen
werden kann. Die Mannichfaltigkeit derſelben
hat ihre Schranken; aber wenn auch alle Men-
ſchen alle Kräfte ihres Geiſtes vereinigten, ſo wäre
ihnen doch unmöglich, dieſe Schranken zu finden.
Die ungeheuerſte Größe der furchtbaren Maſſen
von feurigen und dunkeln Körpern, die in einer
unbegreiflichen Ferne über uns aufgehängt ſind,
iſt doch nur eine endliche Größe: Aber wer kann
ſie meſſen? Verbiete ich meiner Seele den Flug
aus einer Welt voll Wunder in die andre, und
will mich mit meiner Aufmerkſamkeit nur bey die-
ſem oder jenem einzelnen Geſchöpfe verweilen,
nur ein kleines ſelten bemerktes Jnſect, nur eine
gemeine Blume, die auf den Wieſen unbewun-
dert aufblüht und verwelkt, nur eins von den
Blättern betrachten, die bey Millionen von ei-
nem Jahre zum andern unter meinen Füßen ver-
modern: Werde ich darum weniger zu erſtaunen
Urſache haben? Es iſt nicht mehr der unermeß-
liche Raum des Weltbaues, der mich mit Ver-
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