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Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

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fernt, und mich zu einem weit edlern und vor-
trefflichern Wesen macht. Die Erkenntnisse,
mit denen mich Aufmerksamkeit, Erfahrung,
Nachdenken und Betrachtung bereichern, sind
der Adel, der mich über alles erhebt, was ich
um mich her erblicke, und zugleich öffnen sie mir
tausend Quellen eines eben so mannichfaltigen als
reinen Vergnügens. Wenn meine Seele eine
leere und unbeschriebne Tafel wäre: Wodurch
wäre ich von den übrigen Lebendigen unterschie-
den? Sollte ich mich freuen, unter ihre Zahl zu
gehören, weil ich, wie sie, meine Speise suchen
und finden könnte, um wie sie zu sterben; aber
mit dem schrecklichen Unterschiede, daß ich den
Tod immer fürchten müßte, den sie weder vor-
aussehen noch erwarten? Die Vernunft, und
zwar eine Vernunft, die ich zu ihrem Endzwecke
gebrauche, ists alleine, wodurch ich ein Mensch
bin; sie ists, die mich tausend nützliche und wich-
tige Erkenntnisse lehrt, denen ich unzählbare
Vortheile zu danken habe. Aber was sind sie
alle, wenn ihnen, so zu sagen, die Seele und
ihr höchster Werth, die Erkenntniß Gottes, fehlt?
Durch sie ist alles Licht, und wenn sie nicht von
ihrem Glanze erleuchtet werden, wird die Weis-
heit Thorheit, und jede sonst noch so helle Wissen-
schaft, eine mehr als mitternächtliche Finsterniß.

Was
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fernt, und mich zu einem weit edlern und vor-
trefflichern Weſen macht. Die Erkenntniſſe,
mit denen mich Aufmerkſamkeit, Erfahrung,
Nachdenken und Betrachtung bereichern, ſind
der Adel, der mich über alles erhebt, was ich
um mich her erblicke, und zugleich öffnen ſie mir
tauſend Quellen eines eben ſo mannichfaltigen als
reinen Vergnügens. Wenn meine Seele eine
leere und unbeſchriebne Tafel wäre: Wodurch
wäre ich von den übrigen Lebendigen unterſchie-
den? Sollte ich mich freuen, unter ihre Zahl zu
gehören, weil ich, wie ſie, meine Speiſe ſuchen
und finden könnte, um wie ſie zu ſterben; aber
mit dem ſchrecklichen Unterſchiede, daß ich den
Tod immer fürchten müßte, den ſie weder vor-
ausſehen noch erwarten? Die Vernunft, und
zwar eine Vernunft, die ich zu ihrem Endzwecke
gebrauche, iſts alleine, wodurch ich ein Menſch
bin; ſie iſts, die mich tauſend nützliche und wich-
tige Erkenntniſſe lehrt, denen ich unzählbare
Vortheile zu danken habe. Aber was ſind ſie
alle, wenn ihnen, ſo zu ſagen, die Seele und
ihr höchſter Werth, die Erkenntniß Gottes, fehlt?
Durch ſie iſt alles Licht, und wenn ſie nicht von
ihrem Glanze erleuchtet werden, wird die Weis-
heit Thorheit, und jede ſonſt noch ſo helle Wiſſen-
ſchaft, eine mehr als mitternächtliche Finſterniß.

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B 4
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[23/0037] fernt, und mich zu einem weit edlern und vor- trefflichern Weſen macht. Die Erkenntniſſe, mit denen mich Aufmerkſamkeit, Erfahrung, Nachdenken und Betrachtung bereichern, ſind der Adel, der mich über alles erhebt, was ich um mich her erblicke, und zugleich öffnen ſie mir tauſend Quellen eines eben ſo mannichfaltigen als reinen Vergnügens. Wenn meine Seele eine leere und unbeſchriebne Tafel wäre: Wodurch wäre ich von den übrigen Lebendigen unterſchie- den? Sollte ich mich freuen, unter ihre Zahl zu gehören, weil ich, wie ſie, meine Speiſe ſuchen und finden könnte, um wie ſie zu ſterben; aber mit dem ſchrecklichen Unterſchiede, daß ich den Tod immer fürchten müßte, den ſie weder vor- ausſehen noch erwarten? Die Vernunft, und zwar eine Vernunft, die ich zu ihrem Endzwecke gebrauche, iſts alleine, wodurch ich ein Menſch bin; ſie iſts, die mich tauſend nützliche und wich- tige Erkenntniſſe lehrt, denen ich unzählbare Vortheile zu danken habe. Aber was ſind ſie alle, wenn ihnen, ſo zu ſagen, die Seele und ihr höchſter Werth, die Erkenntniß Gottes, fehlt? Durch ſie iſt alles Licht, und wenn ſie nicht von ihrem Glanze erleuchtet werden, wird die Weis- heit Thorheit, und jede ſonſt noch ſo helle Wiſſen- ſchaft, eine mehr als mitternächtliche Finſterniß. Was B 4

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/37>, abgerufen am 21.11.2024.