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Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

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die Tugenden, sondern auch alle menschlichen Un-
vollkommenheiten und Gebrechen; selbst die La-
ster, hatten ihre Altäre. Unter den mannich falti-
gen Gottheiten, welche die Heiden anbeteten, re-
deten sie freylich viel von einem höchsten Gotte,
einem Jupiter, welcher der Vater ihrer andern
Götter seyn und über alle herrschen sollte. Aber
auch von diesem höchsten Gott hatten sie keine
Begriffe, die nur ein Schatten von den Vorstel-
lungen wären, welche die Jsraeliten von ihrem
Jehova aus seiner unmittelbaren Offenbarung
hatten. Es giebt überdieß nicht ein einziges Volk,
welches sich rühmte, seine Erkenntniß der Be-
trachtung der Natur und den Untersuchungen ih-
rer Weisen zu danken zu haben.

Die Abgötterey ist so alt auf der Erde, daß
man ungeachtet aller mühsamen Nachforschungen
der Gelehrten darüber, nicht einmal die Art ihres
Ursprunges mit Zuverläßigkeit entdeckt hat. Man
leite sie aus Ursachen her, aus welchen man will,
aus der Sinnlichkeit der Menschen, aus ihren
Leidenschaften, aus dem groben Misverstande
sinnbildlicher und hieroglyphischer Vorstellungen
von Gott und seinen Eigenschaften: so bleibt das
eine unwidersprechliche Wahrheit, daß nicht die
Betrachtung der Natur, ihrer Einrichtung, ih-

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die Tugenden, ſondern auch alle menſchlichen Un-
vollkommenheiten und Gebrechen; ſelbſt die La-
ſter, hatten ihre Altäre. Unter den mannich falti-
gen Gottheiten, welche die Heiden anbeteten, re-
deten ſie freylich viel von einem höchſten Gotte,
einem Jupiter, welcher der Vater ihrer andern
Götter ſeyn und über alle herrſchen ſollte. Aber
auch von dieſem höchſten Gott hatten ſie keine
Begriffe, die nur ein Schatten von den Vorſtel-
lungen wären, welche die Jſraeliten von ihrem
Jehova aus ſeiner unmittelbaren Offenbarung
hatten. Es giebt überdieß nicht ein einziges Volk,
welches ſich rühmte, ſeine Erkenntniß der Be-
trachtung der Natur und den Unterſuchungen ih-
rer Weiſen zu danken zu haben.

Die Abgötterey iſt ſo alt auf der Erde, daß
man ungeachtet aller mühſamen Nachforſchungen
der Gelehrten darüber, nicht einmal die Art ihres
Urſprunges mit Zuverläßigkeit entdeckt hat. Man
leite ſie aus Urſachen her, aus welchen man will,
aus der Sinnlichkeit der Menſchen, aus ihren
Leidenſchaften, aus dem groben Misverſtande
ſinnbildlicher und hieroglyphiſcher Vorſtellungen
von Gott und ſeinen Eigenſchaften: ſo bleibt das
eine unwiderſprechliche Wahrheit, daß nicht die
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[118/0132] die Tugenden, ſondern auch alle menſchlichen Un- vollkommenheiten und Gebrechen; ſelbſt die La- ſter, hatten ihre Altäre. Unter den mannich falti- gen Gottheiten, welche die Heiden anbeteten, re- deten ſie freylich viel von einem höchſten Gotte, einem Jupiter, welcher der Vater ihrer andern Götter ſeyn und über alle herrſchen ſollte. Aber auch von dieſem höchſten Gott hatten ſie keine Begriffe, die nur ein Schatten von den Vorſtel- lungen wären, welche die Jſraeliten von ihrem Jehova aus ſeiner unmittelbaren Offenbarung hatten. Es giebt überdieß nicht ein einziges Volk, welches ſich rühmte, ſeine Erkenntniß der Be- trachtung der Natur und den Unterſuchungen ih- rer Weiſen zu danken zu haben. Die Abgötterey iſt ſo alt auf der Erde, daß man ungeachtet aller mühſamen Nachforſchungen der Gelehrten darüber, nicht einmal die Art ihres Urſprunges mit Zuverläßigkeit entdeckt hat. Man leite ſie aus Urſachen her, aus welchen man will, aus der Sinnlichkeit der Menſchen, aus ihren Leidenſchaften, aus dem groben Misverſtande ſinnbildlicher und hieroglyphiſcher Vorſtellungen von Gott und ſeinen Eigenſchaften: ſo bleibt das eine unwiderſprechliche Wahrheit, daß nicht die Betrachtung der Natur, ihrer Einrichtung, ih- res

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/132>, abgerufen am 28.09.2024.