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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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Täuschung. Er schlich sich über den Fahrdamm,
leise, ganz leise, als ob ihn Keiner hören sollte ...
auch jener Unbekannte nicht, der da oben hinter den
blaßerleuchteten Scheiben saß, auch jener unbekannte
Gast nicht ... und schaute noch einmal empor.
Aber der matte falbe Lichtschein blieb, er blieb, in
derselben discreten Stärke, in derselben monotonen
Gleichmäßigkeit, er blieb und blieb ... und blieb ...
und kein Schatten lief dort oben hinter den Scheiben
vorbei ...

Adam athmete tief auf. Er fürchtete sich wohl
noch? War er denn ein Mann oder ein schlottriger
Bube? Mochte ihn doch dort oben erwarten, wer
wollte, wer Lust dazu hatte -- ha! er fürchtete sich
nicht, gewiß nicht ... er würde jetzt hinaufgehen
und sich mit eigenen Augen überzeugen ... und
dem Eindringling entgegentreten ... und sich ihm
zum Kampfe stellen, wenn's sein mußte -- ja! --
wenn's sein mußte --

Adams Hände zitterten doch stark, als er das
Schlüsselloch suchte. Nun ging er die Treppen in
die Höhe, langsam, schwer athmend, immer langsamer,
er schleppte sich hinauf, es lag eine dumpfe, schwere,
unabwälzbare Furcht auf ihm. Die Heimchen zirpten,
auf den Stufen winselten blauschwarze, schwindsüchtige
Mondscheinschatten.

Nun stand er auf dem Corridor, dicht vor seiner
Thür. Er horchte. Es war Alles still, Alles todten-
still hinter dieser Thür. Nichts regte sich, bewegte
sich. Adam athmete schwer. Ein eingekrallter Druck

Conradi, Adam Mensch. 27

Täuſchung. Er ſchlich ſich über den Fahrdamm,
leiſe, ganz leiſe, als ob ihn Keiner hören ſollte ...
auch jener Unbekannte nicht, der da oben hinter den
blaßerleuchteten Scheiben ſaß, auch jener unbekannte
Gaſt nicht ... und ſchaute noch einmal empor.
Aber der matte falbe Lichtſchein blieb, er blieb, in
derſelben discreten Stärke, in derſelben monotonen
Gleichmäßigkeit, er blieb und blieb ... und blieb ...
und kein Schatten lief dort oben hinter den Scheiben
vorbei ...

Adam athmete tief auf. Er fürchtete ſich wohl
noch? War er denn ein Mann oder ein ſchlottriger
Bube? Mochte ihn doch dort oben erwarten, wer
wollte, wer Luſt dazu hatte — ha! er fürchtete ſich
nicht, gewiß nicht ... er würde jetzt hinaufgehen
und ſich mit eigenen Augen überzeugen ... und
dem Eindringling entgegentreten ... und ſich ihm
zum Kampfe ſtellen, wenn's ſein mußte — ja! —
wenn's ſein mußte —

Adams Hände zitterten doch ſtark, als er das
Schlüſſelloch ſuchte. Nun ging er die Treppen in
die Höhe, langſam, ſchwer athmend, immer langſamer,
er ſchleppte ſich hinauf, es lag eine dumpfe, ſchwere,
unabwälzbare Furcht auf ihm. Die Heimchen zirpten,
auf den Stufen winſelten blauſchwarze, ſchwindſüchtige
Mondſcheinſchatten.

Nun ſtand er auf dem Corridor, dicht vor ſeiner
Thür. Er horchte. Es war Alles ſtill, Alles todten-
ſtill hinter dieſer Thür. Nichts regte ſich, bewegte
ſich. Adam athmete ſchwer. Ein eingekrallter Druck

Conradi, Adam Menſch. 27
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[417/0425] Täuſchung. Er ſchlich ſich über den Fahrdamm, leiſe, ganz leiſe, als ob ihn Keiner hören ſollte ... auch jener Unbekannte nicht, der da oben hinter den blaßerleuchteten Scheiben ſaß, auch jener unbekannte Gaſt nicht ... und ſchaute noch einmal empor. Aber der matte falbe Lichtſchein blieb, er blieb, in derſelben discreten Stärke, in derſelben monotonen Gleichmäßigkeit, er blieb und blieb ... und blieb ... und kein Schatten lief dort oben hinter den Scheiben vorbei ... Adam athmete tief auf. Er fürchtete ſich wohl noch? War er denn ein Mann oder ein ſchlottriger Bube? Mochte ihn doch dort oben erwarten, wer wollte, wer Luſt dazu hatte — ha! er fürchtete ſich nicht, gewiß nicht ... er würde jetzt hinaufgehen und ſich mit eigenen Augen überzeugen ... und dem Eindringling entgegentreten ... und ſich ihm zum Kampfe ſtellen, wenn's ſein mußte — ja! — wenn's ſein mußte — Adams Hände zitterten doch ſtark, als er das Schlüſſelloch ſuchte. Nun ging er die Treppen in die Höhe, langſam, ſchwer athmend, immer langſamer, er ſchleppte ſich hinauf, es lag eine dumpfe, ſchwere, unabwälzbare Furcht auf ihm. Die Heimchen zirpten, auf den Stufen winſelten blauſchwarze, ſchwindſüchtige Mondſcheinſchatten. Nun ſtand er auf dem Corridor, dicht vor ſeiner Thür. Er horchte. Es war Alles ſtill, Alles todten- ſtill hinter dieſer Thür. Nichts regte ſich, bewegte ſich. Adam athmete ſchwer. Ein eingekrallter Druck Conradi, Adam Menſch. 27

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/425>, abgerufen am 12.05.2024.