Durch die Gräser und Kräuter der Wiese strich ein murmelnd aufblätternder und raschelnd niedersegnen- der Nachtwind. Adam war ganz allein, überant- wortet den sanften Gewalten der schwülen Sommer- nacht. Er wurde müde, sprach in bunter Willkür Allerlei vor sich hin, fuhr wieder empor, betastete mit halblauten Worten seine verworrenen Gedanken, schüttelte den Kopf und ließ sich vom Schlafe wie- derum übermannen ... Unterweilen wuchs die Som- mernacht, Adam Mensch schlief, im Walde, auf einer Bank am Wege, als hätte er, wie Unzählige seiner Brüder und Schwestern, keine andere Stätte, da er sein Haupt niederlegen könne. Und er war doch heute erst im Schooße der Schönheit und des Reich- thums eingekehrt. --
Eine Stunde wohl saß so Adam in sich zu- sammengekrümmt da und schlief. Nun mochte ein kühlerer Athemzug des Nachtwindes an ihm gezupft und ihn geweckt haben. Er schlug die Augen lang- sam auf, starrte verblüfft seine Umgebung an und richtete sich aus seiner halbliegenden Stellung immer- mehr in die Höhe. Allmählich kam ihm das Be- wußtsein seiner Situation. Er lächelte ein klein Wenig, war aber doch sehr mürrisch und suchte nach einer beißenden Glosse auf sich. Er fand keine kräftige, pointirte Wendung, die geistige Münzkraft schien, sich ihm ganz entzogen zu haben. Seine Glieder waren schwer und steif, ein prickelndes Frösteln durch- zitterte ihn, seine Augen brannten, seine Stirn war heiß, dicht über den Augen lag ein harter Druck
Durch die Gräſer und Kräuter der Wieſe ſtrich ein murmelnd aufblätternder und raſchelnd niederſegnen- der Nachtwind. Adam war ganz allein, überant- wortet den ſanften Gewalten der ſchwülen Sommer- nacht. Er wurde müde, ſprach in bunter Willkür Allerlei vor ſich hin, fuhr wieder empor, betaſtete mit halblauten Worten ſeine verworrenen Gedanken, ſchüttelte den Kopf und ließ ſich vom Schlafe wie- derum übermannen ... Unterweilen wuchs die Som- mernacht, Adam Menſch ſchlief, im Walde, auf einer Bank am Wege, als hätte er, wie Unzählige ſeiner Brüder und Schweſtern, keine andere Stätte, da er ſein Haupt niederlegen könne. Und er war doch heute erſt im Schooße der Schönheit und des Reich- thums eingekehrt. —
Eine Stunde wohl ſaß ſo Adam in ſich zu- ſammengekrümmt da und ſchlief. Nun mochte ein kühlerer Athemzug des Nachtwindes an ihm gezupft und ihn geweckt haben. Er ſchlug die Augen lang- ſam auf, ſtarrte verblüfft ſeine Umgebung an und richtete ſich aus ſeiner halbliegenden Stellung immer- mehr in die Höhe. Allmählich kam ihm das Be- wußtſein ſeiner Situation. Er lächelte ein klein Wenig, war aber doch ſehr mürriſch und ſuchte nach einer beißenden Gloſſe auf ſich. Er fand keine kräftige, pointirte Wendung, die geiſtige Münzkraft ſchien, ſich ihm ganz entzogen zu haben. Seine Glieder waren ſchwer und ſteif, ein prickelndes Fröſteln durch- zitterte ihn, ſeine Augen brannten, ſeine Stirn war heiß, dicht über den Augen lag ein harter Druck
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Durch die Gräſer und Kräuter der Wieſe ſtrich ein
murmelnd aufblätternder und raſchelnd niederſegnen-
der Nachtwind. Adam war ganz allein, überant-
wortet den ſanften Gewalten der ſchwülen Sommer-
nacht. Er wurde müde, ſprach in bunter Willkür
Allerlei vor ſich hin, fuhr wieder empor, betaſtete
mit halblauten Worten ſeine verworrenen Gedanken,
ſchüttelte den Kopf und ließ ſich vom Schlafe wie-
derum übermannen ... Unterweilen wuchs die Som-
mernacht, Adam Menſch ſchlief, im Walde, auf einer
Bank am Wege, als hätte er, wie Unzählige ſeiner
Brüder und Schweſtern, keine andere Stätte, da er
ſein Haupt niederlegen könne. Und er war doch
heute erſt im Schooße der Schönheit und des Reich-
thums eingekehrt. —
Eine Stunde wohl ſaß ſo Adam in ſich zu-
ſammengekrümmt da und ſchlief. Nun mochte ein
kühlerer Athemzug des Nachtwindes an ihm gezupft
und ihn geweckt haben. Er ſchlug die Augen lang-
ſam auf, ſtarrte verblüfft ſeine Umgebung an und
richtete ſich aus ſeiner halbliegenden Stellung immer-
mehr in die Höhe. Allmählich kam ihm das Be-
wußtſein ſeiner Situation. Er lächelte ein klein
Wenig, war aber doch ſehr mürriſch und ſuchte nach
einer beißenden Gloſſe auf ſich. Er fand keine kräftige,
pointirte Wendung, die geiſtige Münzkraft ſchien,
ſich ihm ganz entzogen zu haben. Seine Glieder
waren ſchwer und ſteif, ein prickelndes Fröſteln durch-
zitterte ihn, ſeine Augen brannten, ſeine Stirn war
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/417>, abgerufen am 24.11.2024.
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