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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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der [B]rust gebrochen. Vor Jahren. Sind neue
Ausb[r]üche möglich? Aber Nichts stört ja ihre Kreise.
Sie war einmal ein sehr sinnliches Weib. Wie
nücht[e]rn sie bleibt, wenn sie jetzt an ihre "Schmach"
denkt, wenn sie sich ihres Kindes erinnert! Wie
kalt [s]ie bleibt, wenn es ihr einfällt, daß dieses Kind
ihr e[n]trissen worden ist! Sie hat es nicht geliebt.
Nein[!] Sie hat es nicht geliebt. Sie haßt auch
den [V]ater des Kindes nicht. Es ist ihr wirklich
Alles gleichgültig, sehr gleichgültig. Die Stürme ihrer
Seele sind vorüber und ihr Blut ist todt.

[H]edwig ist bei dem Verzehren ihrer Sardellen-
leberwurst und bei dem Hinunternippen ihres Glases
Dres[d]ener Tafelbiers sehr schweigsam gewesen. Sie
hat i[h]rem Vater die Bissen zurechtgeschnitten und
selbst sehr mechanisch die Speisen zu sich genommen.
Nun [s]treicht sie sich mit der Serviette über den
kleine[n], feinlippigen Mund und schellt. Emma tritt
ein und deckt ab. Herrn Doctor Irmer ist es nicht
aufgef[a]llen, daß seine Tochter während des Essens
so ve[r]schlossen gewesen. Ihm ist es sehr gleich-
gültig[,] was für Selbstbetrachtungen sie anstellt.
Er is[t], ohne daß er es eigentlich weiß, so verbissen
in se[i]ne Art, geistig abgelöst, hinweggesondert, zu
existir[e]n, daß er kaum mehr im Stande, die leichteste
Spur eines subjektiven Zwiespalts zu vermuthen.
Wenn es ihm gerade einfällt, bestätigt er sich, daß er
durch [s]eine Philosophie seiner Tochter das innere Gleich-
gewich[t], das sie einmal verloren hatte, wiedergegeben.
Und e[r] fügt wohl unwillkürlich noch als Ergebniß

der [B]ruſt gebrochen. Vor Jahren. Sind neue
Ausb[r]üche möglich? Aber Nichts ſtört ja ihre Kreiſe.
Sie war einmal ein ſehr ſinnliches Weib. Wie
nücht[e]rn ſie bleibt, wenn ſie jetzt an ihre „Schmach“
denkt, wenn ſie ſich ihres Kindes erinnert! Wie
kalt [ſ]ie bleibt, wenn es ihr einfällt, daß dieſes Kind
ihr e[n]triſſen worden iſt! Sie hat es nicht geliebt.
Nein[!] Sie hat es nicht geliebt. Sie haßt auch
den [V]ater des Kindes nicht. Es iſt ihr wirklich
Alles gleichgültig, ſehr gleichgültig. Die Stürme ihrer
Seele ſind vorüber und ihr Blut iſt todt.

[H]edwig iſt bei dem Verzehren ihrer Sardellen-
leberwurſt und bei dem Hinunternippen ihres Glaſes
Dres[d]ener Tafelbiers ſehr ſchweigſam geweſen. Sie
hat i[h]rem Vater die Biſſen zurechtgeſchnitten und
ſelbſt ſehr mechaniſch die Speiſen zu ſich genommen.
Nun [ſ]treicht ſie ſich mit der Serviette über den
kleine[n], feinlippigen Mund und ſchellt. Emma tritt
ein und deckt ab. Herrn Doctor Irmer iſt es nicht
aufgef[a]llen, daß ſeine Tochter während des Eſſens
ſo ve[r]ſchloſſen geweſen. Ihm iſt es ſehr gleich-
gültig[,] was für Selbſtbetrachtungen ſie anſtellt.
Er iſ[t], ohne daß er es eigentlich weiß, ſo verbiſſen
in ſe[i]ne Art, geiſtig abgelöſt, hinweggeſondert, zu
exiſtir[e]n, daß er kaum mehr im Stande, die leichteſte
Spur eines ſubjektiven Zwieſpalts zu vermuthen.
Wenn es ihm gerade einfällt, beſtätigt er ſich, daß er
durch [ſ]eine Philoſophie ſeiner Tochter das innere Gleich-
gewich[t], das ſie einmal verloren hatte, wiedergegeben.
Und e[r] fügt wohl unwillkürlich noch als Ergebniß

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[29/0037] der Bruſt gebrochen. Vor Jahren. Sind neue Ausbrüche möglich? Aber Nichts ſtört ja ihre Kreiſe. Sie war einmal ein ſehr ſinnliches Weib. Wie nüchtern ſie bleibt, wenn ſie jetzt an ihre „Schmach“ denkt, wenn ſie ſich ihres Kindes erinnert! Wie kalt ſie bleibt, wenn es ihr einfällt, daß dieſes Kind ihr entriſſen worden iſt! Sie hat es nicht geliebt. Nein! Sie hat es nicht geliebt. Sie haßt auch den Vater des Kindes nicht. Es iſt ihr wirklich Alles gleichgültig, ſehr gleichgültig. Die Stürme ihrer Seele ſind vorüber und ihr Blut iſt todt. Hedwig iſt bei dem Verzehren ihrer Sardellen- leberwurſt und bei dem Hinunternippen ihres Glaſes Dresdener Tafelbiers ſehr ſchweigſam geweſen. Sie hat ihrem Vater die Biſſen zurechtgeſchnitten und ſelbſt ſehr mechaniſch die Speiſen zu ſich genommen. Nun ſtreicht ſie ſich mit der Serviette über den kleinen, feinlippigen Mund und ſchellt. Emma tritt ein und deckt ab. Herrn Doctor Irmer iſt es nicht aufgefallen, daß ſeine Tochter während des Eſſens ſo verſchloſſen geweſen. Ihm iſt es ſehr gleich- gültig, was für Selbſtbetrachtungen ſie anſtellt. Er iſt, ohne daß er es eigentlich weiß, ſo verbiſſen in ſeine Art, geiſtig abgelöſt, hinweggeſondert, zu exiſtiren, daß er kaum mehr im Stande, die leichteſte Spur eines ſubjektiven Zwieſpalts zu vermuthen. Wenn es ihm gerade einfällt, beſtätigt er ſich, daß er durch ſeine Philoſophie ſeiner Tochter das innere Gleich- gewicht, das ſie einmal verloren hatte, wiedergegeben. Und er fügt wohl unwillkürlich noch als Ergebniß

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/37>, abgerufen am 24.11.2024.