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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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und erzittert noch einmal der Fluthspiegel meiner
Seele ... Und sie nimmt willig die Bilder auf,
meine Seele, und gestaltet sie aus, die sich über
ihren Spiegel gebeugt ...

Ich war in der lärmenden Welt draußen und
habe gelebt, wie die Anderen .... Ich war so gleich-
gültig, wie sie -- oder auch so hingenommen, so
beschäftigt, ging so auf, wie sie, in den kleinen
Tagesinteressen .. Ich habe wohl allenthalben über
das Geschaute mancherlei Eigenes und unbestochen
Identisches mir zusammengedacht -- aber ich irrte
doch planlos und haltlos durch das Labyrinth der
Zeitlichkeit, und wenig Spannung und Berührung fühlte
ich mit den Wesenskräften, mit dem Grundgranite
des Daseins .. Ich hatte mich nicht gehen lassen
wollen -- ich war nur noch unfest, schwankend gewe-
sen, und die Stoßkraft der Versuchung hatte leichten
Kauf mit mir gehabt. Ich war hineingewirbelt
worden ins Treiben. Ich war nicht mehr sehend
und selbständig geblieben. Der psychologische Vorgang
ist ja durchsichtig genug. Aus physischen Bedingungen
war ich nachlässig oder unfähig -- und so erfolgte
auf die vereinheitlichende Anspannung die Reaktion mit
ihrer zerfasernden Zerstreuung. Das ist's eben, was mich
oft so namenlos traurig stimmt: gegen eingewurzelte
Gewohnheiten und Eigenheiten sind wir im Ganzen
machtlos -- wir stehen so gut wie waffenlos dem Hoch-
drucke ihres Einflusses gegenüber. Und der Wechsel
von Hoch und Nieder, von Auf und Ab, ist so natur-
bedingt! Auch hier triumphirt das Fragment. --

und erzittert noch einmal der Fluthſpiegel meiner
Seele ... Und ſie nimmt willig die Bilder auf,
meine Seele, und geſtaltet ſie aus, die ſich über
ihren Spiegel gebeugt ...

Ich war in der lärmenden Welt draußen und
habe gelebt, wie die Anderen .... Ich war ſo gleich-
gültig, wie ſie — oder auch ſo hingenommen, ſo
beſchäftigt, ging ſo auf, wie ſie, in den kleinen
Tagesintereſſen .. Ich habe wohl allenthalben über
das Geſchaute mancherlei Eigenes und unbeſtochen
Identiſches mir zuſammengedacht — aber ich irrte
doch planlos und haltlos durch das Labyrinth der
Zeitlichkeit, und wenig Spannung und Berührung fühlte
ich mit den Weſenskräften, mit dem Grundgranite
des Daſeins .. Ich hatte mich nicht gehen laſſen
wollen — ich war nur noch unfeſt, ſchwankend gewe-
ſen, und die Stoßkraft der Verſuchung hatte leichten
Kauf mit mir gehabt. Ich war hineingewirbelt
worden ins Treiben. Ich war nicht mehr ſehend
und ſelbſtändig geblieben. Der pſychologiſche Vorgang
iſt ja durchſichtig genug. Aus phyſiſchen Bedingungen
war ich nachläſſig oder unfähig — und ſo erfolgte
auf die vereinheitlichende Anſpannung die Reaktion mit
ihrer zerfaſernden Zerſtreuung. Das iſt's eben, was mich
oft ſo namenlos traurig ſtimmt: gegen eingewurzelte
Gewohnheiten und Eigenheiten ſind wir im Ganzen
machtlos — wir ſtehen ſo gut wie waffenlos dem Hoch-
drucke ihres Einfluſſes gegenüber. Und der Wechſel
von Hoch und Nieder, von Auf und Ab, iſt ſo natur-
bedingt! Auch hier triumphirt das Fragment. —

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[346/0354] und erzittert noch einmal der Fluthſpiegel meiner Seele ... Und ſie nimmt willig die Bilder auf, meine Seele, und geſtaltet ſie aus, die ſich über ihren Spiegel gebeugt ... Ich war in der lärmenden Welt draußen und habe gelebt, wie die Anderen .... Ich war ſo gleich- gültig, wie ſie — oder auch ſo hingenommen, ſo beſchäftigt, ging ſo auf, wie ſie, in den kleinen Tagesintereſſen .. Ich habe wohl allenthalben über das Geſchaute mancherlei Eigenes und unbeſtochen Identiſches mir zuſammengedacht — aber ich irrte doch planlos und haltlos durch das Labyrinth der Zeitlichkeit, und wenig Spannung und Berührung fühlte ich mit den Weſenskräften, mit dem Grundgranite des Daſeins .. Ich hatte mich nicht gehen laſſen wollen — ich war nur noch unfeſt, ſchwankend gewe- ſen, und die Stoßkraft der Verſuchung hatte leichten Kauf mit mir gehabt. Ich war hineingewirbelt worden ins Treiben. Ich war nicht mehr ſehend und ſelbſtändig geblieben. Der pſychologiſche Vorgang iſt ja durchſichtig genug. Aus phyſiſchen Bedingungen war ich nachläſſig oder unfähig — und ſo erfolgte auf die vereinheitlichende Anſpannung die Reaktion mit ihrer zerfaſernden Zerſtreuung. Das iſt's eben, was mich oft ſo namenlos traurig ſtimmt: gegen eingewurzelte Gewohnheiten und Eigenheiten ſind wir im Ganzen machtlos — wir ſtehen ſo gut wie waffenlos dem Hoch- drucke ihres Einfluſſes gegenüber. Und der Wechſel von Hoch und Nieder, von Auf und Ab, iſt ſo natur- bedingt! Auch hier triumphirt das Fragment. —

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/354>, abgerufen am 22.11.2024.