Traum und Leben entscheiden. Was sollte er denn für Leben, was für Traum halten?
Unwillkürlich paßte Adam Auge und Intellekt mehr und mehr dem Phänomen, das er da vor sich sah, an. Ob es nun Täuschung, ob es Wahr- heit war -- er kam schließlich doch so weit, daß er so ziemlich unverworren mit der Thatsache, die sich ihm grell aufdrängte, die er sich aber doch noch nicht ganz zu eigen machen konnte, rechnete[.]
Irmer hielt sich den um ihn herumschlotternden Schlafrock in der Bauchgegend mit der linken Hand zusammen. Die ganze Gestalt war geknickt, gebrochen, überaus hülflos. Der Kopf hing auf die Brust herab, wie von der Klammer eines unwiderstehlichen Zwanges heruntergepreßt. Das Gesicht war bleich und welk, seine Furchen und Falten traten er- schreckend scharf hervor. Das spärliche, mehr wasser- farbene als graublonde Haar stand in ungeordneten Büscheln auf dem Scheitel herum. Dazu müde, todte Augen und rothentzündete Lider.
"Herr Doctor" -- -- begann Adam leise, stockend, ganz rathlos .. und trat einen Schritt zur Seite.
Irmer nickte nur schwer mit dem Kopfe, ein Nicken wie das eines Blödsinnigen, der nicht wußte, was man von ihm wollte. Der schwerleidende Mann schlich quer durch das Zimmer nach der Ecke hin, wo sein Schreibtisch stand. Langsam ließ er sich in seinen breiten, wackeligen Sessel fallen.
"Sie kommen --" knüpfte er mit seiner müden,
Traum und Leben entſcheiden. Was ſollte er denn für Leben, was für Traum halten?
Unwillkürlich paßte Adam Auge und Intellekt mehr und mehr dem Phänomen, das er da vor ſich ſah, an. Ob es nun Täuſchung, ob es Wahr- heit war — er kam ſchließlich doch ſo weit, daß er ſo ziemlich unverworren mit der Thatſache, die ſich ihm grell aufdrängte, die er ſich aber doch noch nicht ganz zu eigen machen konnte, rechnete[.]
Irmer hielt ſich den um ihn herumſchlotternden Schlafrock in der Bauchgegend mit der linken Hand zuſammen. Die ganze Geſtalt war geknickt, gebrochen, überaus hülflos. Der Kopf hing auf die Bruſt herab, wie von der Klammer eines unwiderſtehlichen Zwanges heruntergepreßt. Das Geſicht war bleich und welk, ſeine Furchen und Falten traten er- ſchreckend ſcharf hervor. Das ſpärliche, mehr waſſer- farbene als graublonde Haar ſtand in ungeordneten Büſcheln auf dem Scheitel herum. Dazu müde, todte Augen und rothentzündete Lider.
„Herr Doctor“ — — begann Adam leiſe, ſtockend, ganz rathlos .. und trat einen Schritt zur Seite.
Irmer nickte nur ſchwer mit dem Kopfe, ein Nicken wie das eines Blödſinnigen, der nicht wußte, was man von ihm wollte. Der ſchwerleidende Mann ſchlich quer durch das Zimmer nach der Ecke hin, wo ſein Schreibtiſch ſtand. Langſam ließ er ſich in ſeinen breiten, wackeligen Seſſel fallen.
„Sie kommen —“ knüpfte er mit ſeiner müden,
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Traum und Leben entſcheiden. Was ſollte er denn<lb/>
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Traum und Leben entſcheiden. Was ſollte er denn
für Leben, was für Traum halten?
Unwillkürlich paßte Adam Auge und Intellekt
mehr und mehr dem Phänomen, das er da vor
ſich ſah, an. Ob es nun Täuſchung, ob es Wahr-
heit war — er kam ſchließlich doch ſo weit, daß
er ſo ziemlich unverworren mit der Thatſache, die
ſich ihm grell aufdrängte, die er ſich aber doch noch
nicht ganz zu eigen machen konnte, rechnete.
Irmer hielt ſich den um ihn herumſchlotternden
Schlafrock in der Bauchgegend mit der linken Hand
zuſammen. Die ganze Geſtalt war geknickt, gebrochen,
überaus hülflos. Der Kopf hing auf die Bruſt
herab, wie von der Klammer eines unwiderſtehlichen
Zwanges heruntergepreßt. Das Geſicht war bleich
und welk, ſeine Furchen und Falten traten er-
ſchreckend ſcharf hervor. Das ſpärliche, mehr waſſer-
farbene als graublonde Haar ſtand in ungeordneten
Büſcheln auf dem Scheitel herum. Dazu müde, todte
Augen und rothentzündete Lider.
„Herr Doctor“ — — begann Adam leiſe,
ſtockend, ganz rathlos .. und trat einen Schritt zur
Seite.
Irmer nickte nur ſchwer mit dem Kopfe, ein
Nicken wie das eines Blödſinnigen, der nicht wußte,
was man von ihm wollte. Der ſchwerleidende
Mann ſchlich quer durch das Zimmer nach der Ecke
hin, wo ſein Schreibtiſch ſtand. Langſam ließ er
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„Sie kommen —“ knüpfte er mit ſeiner müden,
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/338>, abgerufen am 25.11.2024.
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