Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Platz zurück. Nun fiel Adam die Cigarettenschachtel
in's Auge. Er nahm sich eine frische Virginia heraus
und pendelte sie gedankenbeklommen zwischen den
Fingern hin und her. Jetzt mochte Emmy unten
sein. Ob er ihr noch einmal nachblicken sollte?
Ein letztes Zunicken? Ein letzter Gruß? .. Sie
würde jedenfalls zu seinen Fenstern heraufsehen --
vielleicht, daß er -- -- nein! nein! Nicht co-
quettiren mit der Vergangenheit, die ein für alle
Mal abgethan sein sollte! Es mußte ja sein. Da
nebenan ... die Dame da in seinem Schlafzimmer --
zum Teufel! Es war gegen alle Vernunft und
Ordnung, aber es war einzig und allein "anständig",
wenn er ihr treu blieb ... Auch das mußte eben sein.
Es ist höchst empfehlenswerth, im Prinzip keine
"Pflichten" anzuerkennen ... und in der Praxis
möglichst viele zu erfüllen ...

"Hedwig! Bist Du fertig? Dann komm bitte!
Der Kaffee wird in der That ganz kalt --"

Keine Antwort. Adam gab der Cigarette Feuer
und trat in's Nachbargemach. "Himmeldonnerwetter
-- da soll denn doch -- --"

Die Luft war heiß und dunstig hier. Eine
wüste Unordnung, von dem brutalen Sonnenlicht bis
in's Kleinste hinein entwirrt und umrissen, machte sich
allenthalben breit. Hedwig saß an dem einen Fenster,
hatte den linken Arm auf das Brett gestützt und
das Kinn in die Handhöhlung gelegt. Sie starrte,
wie von einem einzigen dumpfen, massiven Schmerze
zusammengezwungen, ausdruckslos durch die Scheiben.

Platz zurück. Nun fiel Adam die Cigarettenſchachtel
in's Auge. Er nahm ſich eine friſche Virginia heraus
und pendelte ſie gedankenbeklommen zwiſchen den
Fingern hin und her. Jetzt mochte Emmy unten
ſein. Ob er ihr noch einmal nachblicken ſollte?
Ein letztes Zunicken? Ein letzter Gruß? .. Sie
würde jedenfalls zu ſeinen Fenſtern heraufſehen —
vielleicht, daß er — — nein! nein! Nicht co-
quettiren mit der Vergangenheit, die ein für alle
Mal abgethan ſein ſollte! Es mußte ja ſein. Da
nebenan ... die Dame da in ſeinem Schlafzimmer —
zum Teufel! Es war gegen alle Vernunft und
Ordnung, aber es war einzig und allein „anſtändig“,
wenn er ihr treu blieb ... Auch das mußte eben ſein.
Es iſt höchſt empfehlenswerth, im Prinzip keine
„Pflichten“ anzuerkennen ... und in der Praxis
möglichſt viele zu erfüllen ...

„Hedwig! Biſt Du fertig? Dann komm bitte!
Der Kaffee wird in der That ganz kalt —“

Keine Antwort. Adam gab der Cigarette Feuer
und trat in's Nachbargemach. „Himmeldonnerwetter
— da ſoll denn doch — —“

Die Luft war heiß und dunſtig hier. Eine
wüſte Unordnung, von dem brutalen Sonnenlicht bis
in's Kleinſte hinein entwirrt und umriſſen, machte ſich
allenthalben breit. Hedwig ſaß an dem einen Fenſter,
hatte den linken Arm auf das Brett geſtützt und
das Kinn in die Handhöhlung gelegt. Sie ſtarrte,
wie von einem einzigen dumpfen, maſſiven Schmerze
zuſammengezwungen, ausdruckslos durch die Scheiben.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0318" n="310"/>
Platz zurück. Nun fiel Adam die Cigaretten&#x017F;chachtel<lb/>
in's Auge. Er nahm &#x017F;ich eine fri&#x017F;che Virginia heraus<lb/>
und pendelte &#x017F;ie gedankenbeklommen zwi&#x017F;chen den<lb/>
Fingern hin und her. Jetzt mochte Emmy unten<lb/>
&#x017F;ein. Ob er ihr noch einmal nachblicken &#x017F;ollte?<lb/>
Ein letztes Zunicken? Ein letzter Gruß? .. Sie<lb/>
würde jedenfalls zu &#x017F;einen Fen&#x017F;tern herauf&#x017F;ehen &#x2014;<lb/>
vielleicht, daß er &#x2014; &#x2014; nein! nein! Nicht co-<lb/>
quettiren mit der Vergangenheit, die ein für alle<lb/>
Mal abgethan &#x017F;ein &#x017F;ollte! Es mußte ja &#x017F;ein. Da<lb/>
nebenan ... die Dame da in &#x017F;einem Schlafzimmer &#x2014;<lb/>
zum Teufel! Es war gegen alle Vernunft und<lb/>
Ordnung, aber es war einzig und allein &#x201E;an&#x017F;tändig&#x201C;,<lb/>
wenn er ihr treu blieb ... Auch das mußte eben &#x017F;ein.<lb/>
Es i&#x017F;t höch&#x017F;t empfehlenswerth, im Prinzip keine<lb/>
&#x201E;Pflichten&#x201C; anzuerkennen ... und in der Praxis<lb/>
möglich&#x017F;t viele zu erfüllen ...</p><lb/>
        <p>&#x201E;Hedwig! Bi&#x017F;t Du fertig? Dann komm bitte!<lb/>
Der Kaffee wird in der That ganz kalt &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>Keine Antwort. Adam gab der Cigarette Feuer<lb/>
und trat in's Nachbargemach. &#x201E;Himmeldonnerwetter<lb/>
&#x2014; da &#x017F;oll denn doch &#x2014; &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Luft war heiß und dun&#x017F;tig hier. Eine<lb/>
wü&#x017F;te Unordnung, von dem brutalen Sonnenlicht bis<lb/>
in's Klein&#x017F;te hinein entwirrt und umri&#x017F;&#x017F;en, machte &#x017F;ich<lb/>
allenthalben breit. Hedwig &#x017F;aß an dem einen Fen&#x017F;ter,<lb/>
hatte den linken Arm auf das Brett ge&#x017F;tützt und<lb/>
das Kinn in die Handhöhlung gelegt. Sie &#x017F;tarrte,<lb/>
wie von einem einzigen dumpfen, ma&#x017F;&#x017F;iven Schmerze<lb/>
zu&#x017F;ammengezwungen, ausdruckslos durch die Scheiben.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[310/0318] Platz zurück. Nun fiel Adam die Cigarettenſchachtel in's Auge. Er nahm ſich eine friſche Virginia heraus und pendelte ſie gedankenbeklommen zwiſchen den Fingern hin und her. Jetzt mochte Emmy unten ſein. Ob er ihr noch einmal nachblicken ſollte? Ein letztes Zunicken? Ein letzter Gruß? .. Sie würde jedenfalls zu ſeinen Fenſtern heraufſehen — vielleicht, daß er — — nein! nein! Nicht co- quettiren mit der Vergangenheit, die ein für alle Mal abgethan ſein ſollte! Es mußte ja ſein. Da nebenan ... die Dame da in ſeinem Schlafzimmer — zum Teufel! Es war gegen alle Vernunft und Ordnung, aber es war einzig und allein „anſtändig“, wenn er ihr treu blieb ... Auch das mußte eben ſein. Es iſt höchſt empfehlenswerth, im Prinzip keine „Pflichten“ anzuerkennen ... und in der Praxis möglichſt viele zu erfüllen ... „Hedwig! Biſt Du fertig? Dann komm bitte! Der Kaffee wird in der That ganz kalt —“ Keine Antwort. Adam gab der Cigarette Feuer und trat in's Nachbargemach. „Himmeldonnerwetter — da ſoll denn doch — —“ Die Luft war heiß und dunſtig hier. Eine wüſte Unordnung, von dem brutalen Sonnenlicht bis in's Kleinſte hinein entwirrt und umriſſen, machte ſich allenthalben breit. Hedwig ſaß an dem einen Fenſter, hatte den linken Arm auf das Brett geſtützt und das Kinn in die Handhöhlung gelegt. Sie ſtarrte, wie von einem einzigen dumpfen, maſſiven Schmerze zuſammengezwungen, ausdruckslos durch die Scheiben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/318
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/318>, abgerufen am 13.05.2024.