Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite

hinüber --" entschuldigte er sich leise, verlegen-
hastig, und erhob sich.

Zu seiner Emmy? Hedwig fuhr zusammen und
schaute Adam nach, wie er, ein klein Wenig unsicher,
durch das Zimmer schritt und an den Tisch trat,
an welchem, ihnen gegenüber, allerdings in beträcht-
licher Entfernung, ein Herr und eine Dame saßen.
Sie hatte die beiden Menschen dort bisher kaum
beachtet. Und nun entpuppte sich die Dame als
"seine Emmy"! Nein! das war zu viel! Am Liebsten
wäre sie aufgesprungen und zum Lokale hinaus-
geflohen. Unwillkürlich horchte sie darauf, ob der
Regen nachgelassen. Es schien so. Aber die Dach-
rinnen plätscherten das Wasser immer noch mit hef-
tigem Affekt auf das Pflaster ... es tropfte und
quirlte noch allenthalben. Und jetzt blitzte es auch
noch, wenn auch schwächer, wie müde und gelang-
weilt. Das Gewitter gähnte schon. Das grau-
weiße Morgenlicht machte sich immer breiter und
spielte immer zudringlicher durch die Vorhänge ins
Zimmer, welches dadurch einen Stich ins sündhaft
Uebernächtigte, ins klebrig Unreinliche erhielt.

Hedwig versuchte es, die Scene, die sich jetzt
am Tische da drüben abspielte, weiter nicht zu
beobachten. Sie verspürte auf einmal das brennende
Bedürfniß, sich zu betäuben. Vielleicht wusch ihr
der Wein das Bewußtsein der Schmach, die ihr
widerfahren war, aus der Seele. Und sie spülte hastig
einige Gläser furchtsam gelber Liebfrauenmilch hinab. --

Adam streckte die Hand Herrn von Bodenburg

hinüber —“ entſchuldigte er ſich leiſe, verlegen-
haſtig, und erhob ſich.

Zu ſeiner Emmy? Hedwig fuhr zuſammen und
ſchaute Adam nach, wie er, ein klein Wenig unſicher,
durch das Zimmer ſchritt und an den Tiſch trat,
an welchem, ihnen gegenüber, allerdings in beträcht-
licher Entfernung, ein Herr und eine Dame ſaßen.
Sie hatte die beiden Menſchen dort bisher kaum
beachtet. Und nun entpuppte ſich die Dame als
„ſeine Emmy“! Nein! das war zu viel! Am Liebſten
wäre ſie aufgeſprungen und zum Lokale hinaus-
geflohen. Unwillkürlich horchte ſie darauf, ob der
Regen nachgelaſſen. Es ſchien ſo. Aber die Dach-
rinnen plätſcherten das Waſſer immer noch mit hef-
tigem Affekt auf das Pflaſter ... es tropfte und
quirlte noch allenthalben. Und jetzt blitzte es auch
noch, wenn auch ſchwächer, wie müde und gelang-
weilt. Das Gewitter gähnte ſchon. Das grau-
weiße Morgenlicht machte ſich immer breiter und
ſpielte immer zudringlicher durch die Vorhänge ins
Zimmer, welches dadurch einen Stich ins ſündhaft
Uebernächtigte, ins klebrig Unreinliche erhielt.

Hedwig verſuchte es, die Scene, die ſich jetzt
am Tiſche da drüben abſpielte, weiter nicht zu
beobachten. Sie verſpürte auf einmal das brennende
Bedürfniß, ſich zu betäuben. Vielleicht wuſch ihr
der Wein das Bewußtſein der Schmach, die ihr
widerfahren war, aus der Seele. Und ſie ſpülte haſtig
einige Gläſer furchtſam gelber Liebfrauenmilch hinab. —

Adam ſtreckte die Hand Herrn von Bodenburg

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0286" n="278"/>
hinüber &#x2014;&#x201C; ent&#x017F;chuldigte er &#x017F;ich lei&#x017F;e, verlegen-<lb/>
ha&#x017F;tig, und erhob &#x017F;ich.</p><lb/>
        <p>Zu &#x017F;einer Emmy? Hedwig fuhr zu&#x017F;ammen und<lb/>
&#x017F;chaute Adam nach, wie er, ein klein Wenig un&#x017F;icher,<lb/>
durch das Zimmer &#x017F;chritt und an den Ti&#x017F;ch trat,<lb/>
an welchem, ihnen gegenüber, allerdings in beträcht-<lb/>
licher Entfernung, ein Herr und eine Dame &#x017F;aßen.<lb/>
Sie hatte die beiden Men&#x017F;chen dort bisher kaum<lb/>
beachtet. Und nun entpuppte &#x017F;ich die Dame als<lb/>
&#x201E;&#x017F;eine Emmy&#x201C;! Nein! das war zu viel! Am Lieb&#x017F;ten<lb/>
wäre &#x017F;ie aufge&#x017F;prungen und zum Lokale hinaus-<lb/>
geflohen. Unwillkürlich horchte &#x017F;ie darauf, ob der<lb/>
Regen nachgela&#x017F;&#x017F;en. Es &#x017F;chien &#x017F;o. Aber die Dach-<lb/>
rinnen plät&#x017F;cherten das Wa&#x017F;&#x017F;er immer noch mit hef-<lb/>
tigem Affekt auf das Pfla&#x017F;ter ... es tropfte und<lb/>
quirlte noch allenthalben. Und jetzt blitzte es auch<lb/>
noch, wenn auch &#x017F;chwächer, wie müde und gelang-<lb/>
weilt. Das Gewitter gähnte &#x017F;chon. Das grau-<lb/>
weiße Morgenlicht machte &#x017F;ich immer breiter und<lb/>
&#x017F;pielte immer zudringlicher durch die Vorhänge ins<lb/>
Zimmer, welches dadurch einen Stich ins &#x017F;ündhaft<lb/>
Uebernächtigte, ins klebrig Unreinliche erhielt.</p><lb/>
        <p>Hedwig ver&#x017F;uchte es, die Scene, die &#x017F;ich jetzt<lb/>
am Ti&#x017F;che da drüben ab&#x017F;pielte, weiter nicht zu<lb/>
beobachten. Sie ver&#x017F;pürte auf einmal das brennende<lb/>
Bedürfniß, &#x017F;ich zu betäuben. Vielleicht wu&#x017F;ch ihr<lb/>
der Wein das Bewußt&#x017F;ein der Schmach, die ihr<lb/>
widerfahren war, aus der Seele. Und &#x017F;ie &#x017F;pülte ha&#x017F;tig<lb/>
einige Glä&#x017F;er furcht&#x017F;am gelber Liebfrauenmilch hinab. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Adam &#x017F;treckte die Hand Herrn von Bodenburg<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0286] hinüber —“ entſchuldigte er ſich leiſe, verlegen- haſtig, und erhob ſich. Zu ſeiner Emmy? Hedwig fuhr zuſammen und ſchaute Adam nach, wie er, ein klein Wenig unſicher, durch das Zimmer ſchritt und an den Tiſch trat, an welchem, ihnen gegenüber, allerdings in beträcht- licher Entfernung, ein Herr und eine Dame ſaßen. Sie hatte die beiden Menſchen dort bisher kaum beachtet. Und nun entpuppte ſich die Dame als „ſeine Emmy“! Nein! das war zu viel! Am Liebſten wäre ſie aufgeſprungen und zum Lokale hinaus- geflohen. Unwillkürlich horchte ſie darauf, ob der Regen nachgelaſſen. Es ſchien ſo. Aber die Dach- rinnen plätſcherten das Waſſer immer noch mit hef- tigem Affekt auf das Pflaſter ... es tropfte und quirlte noch allenthalben. Und jetzt blitzte es auch noch, wenn auch ſchwächer, wie müde und gelang- weilt. Das Gewitter gähnte ſchon. Das grau- weiße Morgenlicht machte ſich immer breiter und ſpielte immer zudringlicher durch die Vorhänge ins Zimmer, welches dadurch einen Stich ins ſündhaft Uebernächtigte, ins klebrig Unreinliche erhielt. Hedwig verſuchte es, die Scene, die ſich jetzt am Tiſche da drüben abſpielte, weiter nicht zu beobachten. Sie verſpürte auf einmal das brennende Bedürfniß, ſich zu betäuben. Vielleicht wuſch ihr der Wein das Bewußtſein der Schmach, die ihr widerfahren war, aus der Seele. Und ſie ſpülte haſtig einige Gläſer furchtſam gelber Liebfrauenmilch hinab. — Adam ſtreckte die Hand Herrn von Bodenburg

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/286
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/286>, abgerufen am 13.05.2024.