"Ich kann doch meinen Vater nicht allein lassen -- --"
"Der wird jedenfalls schlafen -- und wenn er irgend welcher Hülfe bedarf -- er kann ja das Mädchen rufen --"
"Aber was würde Papa sagen --"
"Immer neue Bedenken! Ihr Weiber habt das Talent, am allererbärmlichsten Sandkorn festzurennen, wenn es Euch gerade 'mal in den Kram paßt! Bist Du denn um gar nichts anders, als die An- dern, Hedwig --?"
"Nein, Adam --"
"Nicht? Das ist allerdings sehr schlimm --!"
"Ich meine -- Du mißverstehst mich --"
"Na! Wohl kaum --"
"Und wie lange -- wie lange würden wir bleiben --?"
"Gott! Das läßt sich doch wahrhaftig auf die Secunde nicht bestimmen vorher --"
Hedwig war unschlüssig. Adams Vorschlag reizte sie immerhin. Diese schwüle Atmosphäre lag auch auf ihr schwer und drückend genug. Die starke seelische Aufregung ... der brennende, stechende Sinnlichkeits- affekt, welcher sie vorhin durchkrampft, hatte sie müde, abgespannt gemacht, wie zerschlagen, zerfasert, zerrupft. Zu Bett gehen konnte sie in dieser fiebernden Stimmung kaum. Sie athmete langgezogen auf. Aber ihr Vater -- und weiter: wenn es zufällig Jemand von den Hausgenossen bemerkte, daß sie so spät noch weg- ginge -- mit einem fremden Herrn -- und dann
„Ich kann doch meinen Vater nicht allein laſſen — —“
„Der wird jedenfalls ſchlafen — und wenn er irgend welcher Hülfe bedarf — er kann ja das Mädchen rufen —“
„Aber was würde Papa ſagen —“
„Immer neue Bedenken! Ihr Weiber habt das Talent, am allererbärmlichſten Sandkorn feſtzurennen, wenn es Euch gerade 'mal in den Kram paßt! Biſt Du denn um gar nichts anders, als die An- dern, Hedwig —?“
„Nein, Adam —“
„Nicht? Das iſt allerdings ſehr ſchlimm —!“
„Ich meine — Du mißverſtehſt mich —“
„Na! Wohl kaum —“
„Und wie lange — wie lange würden wir bleiben —?“
„Gott! Das läßt ſich doch wahrhaftig auf die Secunde nicht beſtimmen vorher —“
Hedwig war unſchlüſſig. Adams Vorſchlag reizte ſie immerhin. Dieſe ſchwüle Atmoſphäre lag auch auf ihr ſchwer und drückend genug. Die ſtarke ſeeliſche Aufregung ... der brennende, ſtechende Sinnlichkeits- affekt, welcher ſie vorhin durchkrampft, hatte ſie müde, abgeſpannt gemacht, wie zerſchlagen, zerfaſert, zerrupft. Zu Bett gehen konnte ſie in dieſer fiebernden Stimmung kaum. Sie athmete langgezogen auf. Aber ihr Vater — und weiter: wenn es zufällig Jemand von den Hausgenoſſen bemerkte, daß ſie ſo ſpät noch weg- ginge — mit einem fremden Herrn — und dann
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„Ich kann doch meinen Vater nicht allein
laſſen — —“
„Der wird jedenfalls ſchlafen — und wenn er
irgend welcher Hülfe bedarf — er kann ja das
Mädchen rufen —“
„Aber was würde Papa ſagen —“
„Immer neue Bedenken! Ihr Weiber habt das
Talent, am allererbärmlichſten Sandkorn feſtzurennen,
wenn es Euch gerade 'mal in den Kram paßt!
Biſt Du denn um gar nichts anders, als die An-
dern, Hedwig —?“
„Nein, Adam —“
„Nicht? Das iſt allerdings ſehr ſchlimm —!“
„Ich meine — Du mißverſtehſt mich —“
„Na! Wohl kaum —“
„Und wie lange — wie lange würden wir
bleiben —?“
„Gott! Das läßt ſich doch wahrhaftig auf die
Secunde nicht beſtimmen vorher —“
Hedwig war unſchlüſſig. Adams Vorſchlag reizte
ſie immerhin. Dieſe ſchwüle Atmoſphäre lag auch
auf ihr ſchwer und drückend genug. Die ſtarke ſeeliſche
Aufregung ... der brennende, ſtechende Sinnlichkeits-
affekt, welcher ſie vorhin durchkrampft, hatte ſie müde,
abgeſpannt gemacht, wie zerſchlagen, zerfaſert, zerrupft.
Zu Bett gehen konnte ſie in dieſer fiebernden Stimmung
kaum. Sie athmete langgezogen auf. Aber ihr Vater
— und weiter: wenn es zufällig Jemand von den
Hausgenoſſen bemerkte, daß ſie ſo ſpät noch weg-
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/259>, abgerufen am 25.11.2024.
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