Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite

-- das ist ganz unfruchtbar und macht zumeist nur
böses Blut ... wenn ich auch nicht verkenne, daß
sich Alles nur per Reibung entwickelt -- und somit
das Alter ein ganz brauchbares -- Feuerzeug für
die Jugend abgiebt ... Aber mit dem Kultus des
Alters ... mit dem Respect, der Ehrfurcht vor ihm
... mit der Rücksicht auf dasselbe -- damit sollte doch
im Namen einer vernünftigen, keimkräftigen Zukunfts-
ethik einmal gründlich aufgeräumt werden. Ruinen
studirt man nur -- betet sie aber nicht an -- --"

"Nun begreife ich allerdings Ihre erste Frage,
Herr Doctor, erst vollständig -- die Seite, die Sie
eben berührten, hatte ich bisher ganz außer Acht ge-
lassen --"

Adam fühlte sich von diesem Vorwurfe seines
Wirthes -- denn als etwas Anderes konnten die
Worte kaum aufgefaßt werden -- sehr unangenehm
berührt. Nun blickten ihn auch die ernsten, schweren
Augen Hedwigs fragend und zugleich bittend an.
War er zu weit gegangen --? Eine Reihe ver-
erbter, sogenannter "Anstandsgefühle" nahm von
ihm Beschlag. Aber er war einmal im Zuge. Und
er spürte, wie er lebendiger, wärmer, leidenschaft-
licher geworden. Uebrigens -- was wissen Herbst und
Winter eigentlich vom Frühling? Aber er -- verkör-
perte er in seiner Natur nicht alle vier Jahreszeiten
zugleich? Und doch! Gab dieses Moment, wenn
es thatsächlich existirte, nicht einen Widerspruch zu
der von ihm Doctor Irmer gegenüber ausgesprochenen
Anschauung ab? Es nahm sich fast so aus. Nein!

— das iſt ganz unfruchtbar und macht zumeiſt nur
böſes Blut ... wenn ich auch nicht verkenne, daß
ſich Alles nur per Reibung entwickelt — und ſomit
das Alter ein ganz brauchbares — Feuerzeug für
die Jugend abgiebt ... Aber mit dem Kultus des
Alters ... mit dem Reſpect, der Ehrfurcht vor ihm
... mit der Rückſicht auf daſſelbe — damit ſollte doch
im Namen einer vernünftigen, keimkräftigen Zukunfts-
ethik einmal gründlich aufgeräumt werden. Ruinen
ſtudirt man nur — betet ſie aber nicht an — —“

„Nun begreife ich allerdings Ihre erſte Frage,
Herr Doctor, erſt vollſtändig — die Seite, die Sie
eben berührten, hatte ich bisher ganz außer Acht ge-
laſſen —“

Adam fühlte ſich von dieſem Vorwurfe ſeines
Wirthes — denn als etwas Anderes konnten die
Worte kaum aufgefaßt werden — ſehr unangenehm
berührt. Nun blickten ihn auch die ernſten, ſchweren
Augen Hedwigs fragend und zugleich bittend an.
War er zu weit gegangen —? Eine Reihe ver-
erbter, ſogenannter „Anſtandsgefühle“ nahm von
ihm Beſchlag. Aber er war einmal im Zuge. Und
er ſpürte, wie er lebendiger, wärmer, leidenſchaft-
licher geworden. Uebrigens — was wiſſen Herbſt und
Winter eigentlich vom Frühling? Aber er — verkör-
perte er in ſeiner Natur nicht alle vier Jahreszeiten
zugleich? Und doch! Gab dieſes Moment, wenn
es thatſächlich exiſtirte, nicht einen Widerſpruch zu
der von ihm Doctor Irmer gegenüber ausgeſprochenen
Anſchauung ab? Es nahm ſich faſt ſo aus. Nein!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0234" n="226"/>
&#x2014; das i&#x017F;t ganz unfruchtbar und macht zumei&#x017F;t nur<lb/>&#x017F;es Blut ... wenn ich auch nicht verkenne, daß<lb/>
&#x017F;ich Alles nur per Reibung entwickelt &#x2014; und &#x017F;omit<lb/>
das Alter ein ganz brauchbares &#x2014; Feuerzeug für<lb/>
die Jugend abgiebt ... Aber mit dem Kultus des<lb/>
Alters ... mit dem Re&#x017F;pect, der Ehrfurcht vor ihm<lb/>
... mit der Rück&#x017F;icht auf da&#x017F;&#x017F;elbe &#x2014; damit &#x017F;ollte doch<lb/>
im Namen einer vernünftigen, keimkräftigen Zukunfts-<lb/>
ethik einmal gründlich aufgeräumt werden. Ruinen<lb/>
&#x017F;tudirt man nur &#x2014; betet &#x017F;ie aber nicht an &#x2014; &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nun begreife ich allerdings Ihre er&#x017F;te Frage,<lb/>
Herr Doctor, er&#x017F;t voll&#x017F;tändig &#x2014; die Seite, die Sie<lb/>
eben berührten, hatte ich bisher ganz außer Acht ge-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>Adam fühlte &#x017F;ich von die&#x017F;em Vorwurfe &#x017F;eines<lb/>
Wirthes &#x2014; denn als etwas Anderes konnten die<lb/>
Worte kaum aufgefaßt werden &#x2014; &#x017F;ehr unangenehm<lb/>
berührt. Nun blickten ihn auch die ern&#x017F;ten, &#x017F;chweren<lb/>
Augen Hedwigs fragend und zugleich bittend an.<lb/>
War er zu weit gegangen &#x2014;? Eine Reihe ver-<lb/>
erbter, &#x017F;ogenannter &#x201E;An&#x017F;tandsgefühle&#x201C; nahm von<lb/>
ihm Be&#x017F;chlag. Aber er war einmal im Zuge. Und<lb/>
er &#x017F;pürte, wie er lebendiger, wärmer, leiden&#x017F;chaft-<lb/>
licher geworden. Uebrigens &#x2014; was wi&#x017F;&#x017F;en Herb&#x017F;t und<lb/>
Winter eigentlich vom Frühling? Aber er &#x2014; verkör-<lb/>
perte er in &#x017F;einer Natur nicht alle vier Jahreszeiten<lb/>
zugleich? Und doch! Gab die&#x017F;es Moment, wenn<lb/>
es that&#x017F;ächlich exi&#x017F;tirte, nicht einen Wider&#x017F;pruch zu<lb/>
der von ihm Doctor Irmer gegenüber ausge&#x017F;prochenen<lb/>
An&#x017F;chauung ab? Es nahm &#x017F;ich fa&#x017F;t &#x017F;o aus. Nein!<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0234] — das iſt ganz unfruchtbar und macht zumeiſt nur böſes Blut ... wenn ich auch nicht verkenne, daß ſich Alles nur per Reibung entwickelt — und ſomit das Alter ein ganz brauchbares — Feuerzeug für die Jugend abgiebt ... Aber mit dem Kultus des Alters ... mit dem Reſpect, der Ehrfurcht vor ihm ... mit der Rückſicht auf daſſelbe — damit ſollte doch im Namen einer vernünftigen, keimkräftigen Zukunfts- ethik einmal gründlich aufgeräumt werden. Ruinen ſtudirt man nur — betet ſie aber nicht an — —“ „Nun begreife ich allerdings Ihre erſte Frage, Herr Doctor, erſt vollſtändig — die Seite, die Sie eben berührten, hatte ich bisher ganz außer Acht ge- laſſen —“ Adam fühlte ſich von dieſem Vorwurfe ſeines Wirthes — denn als etwas Anderes konnten die Worte kaum aufgefaßt werden — ſehr unangenehm berührt. Nun blickten ihn auch die ernſten, ſchweren Augen Hedwigs fragend und zugleich bittend an. War er zu weit gegangen —? Eine Reihe ver- erbter, ſogenannter „Anſtandsgefühle“ nahm von ihm Beſchlag. Aber er war einmal im Zuge. Und er ſpürte, wie er lebendiger, wärmer, leidenſchaft- licher geworden. Uebrigens — was wiſſen Herbſt und Winter eigentlich vom Frühling? Aber er — verkör- perte er in ſeiner Natur nicht alle vier Jahreszeiten zugleich? Und doch! Gab dieſes Moment, wenn es thatſächlich exiſtirte, nicht einen Widerſpruch zu der von ihm Doctor Irmer gegenüber ausgeſprochenen Anſchauung ab? Es nahm ſich faſt ſo aus. Nein!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/234
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/234>, abgerufen am 04.05.2024.