wendig war, um seine etwaigen Fähigkeiten an's helle Licht der Sonne zu befördern, war er ja im- merhin werth! Hieß er doch nicht nur Mensch, noch dazu Adam Mensch -- war er doch schließlich auch ein Mensch und bot als solcher fürtreffliche Gelegen- heit, christliche Nächstenliebe getreu nach dem Evan- gelium zu üben.
Und nun kam die lange, drückende, ausmergelnde Leidenszeit Adams. Wie engten ihn die Schulwände ein! Wie gaben sie ihm so blutwenig Luft und Licht und Freiheit und Wind! Wie langsam schleppten sich die Jahre hin -- und wie viel Fleisch von todten, crepirten Fischen wurde ihm als Geistesspeise zum Hinunterschlingen vorgesetzt! Wie oft mußte er sich verleugnen, sich demüthigen, zu Kreuze kriechen, um die Brosamen nicht zu verlieren, die man ihm bewilligt hatte -- und die man ihm Jahre lang so gern und so freudig gab!
Aber die Stunde, da dieses Zusammenleben mit dem Buchstabendogma der Kirchenlehrer, dieses Er- kaltenmüssen in den todten Schnee- und Eis- und Gletscherregionen der galvanisirten Antike Ciceros und Vergils aufhörte, sie kam doch. Und nun sprang das Thor auf -- und der Mulus lief wie wahnsinnig vor Freude im ostwindverkühlten Sonnenschein der jungen Märztage herum .. und dachte nicht daran, daß er doch eigentlich verdammt wenig Aussicht be- säße, ein rechtschaffenes Burschenleben auf der Uni- versität führen zu dürfen. Der Glückliche, der mit Patent entlassene Sträfling, dachte nicht daran, daß
wendig war, um ſeine etwaigen Fähigkeiten an's helle Licht der Sonne zu befördern, war er ja im- merhin werth! Hieß er doch nicht nur Menſch, noch dazu Adam Menſch — war er doch ſchließlich auch ein Menſch und bot als ſolcher fürtreffliche Gelegen- heit, chriſtliche Nächſtenliebe getreu nach dem Evan- gelium zu üben.
Und nun kam die lange, drückende, ausmergelnde Leidenszeit Adams. Wie engten ihn die Schulwände ein! Wie gaben ſie ihm ſo blutwenig Luft und Licht und Freiheit und Wind! Wie langſam ſchleppten ſich die Jahre hin — und wie viel Fleiſch von todten, crepirten Fiſchen wurde ihm als Geiſtesſpeiſe zum Hinunterſchlingen vorgeſetzt! Wie oft mußte er ſich verleugnen, ſich demüthigen, zu Kreuze kriechen, um die Broſamen nicht zu verlieren, die man ihm bewilligt hatte — und die man ihm Jahre lang ſo gern und ſo freudig gab!
Aber die Stunde, da dieſes Zuſammenleben mit dem Buchſtabendogma der Kirchenlehrer, dieſes Er- kaltenmüſſen in den todten Schnee- und Eis- und Gletſcherregionen der galvaniſirten Antike Ciceros und Vergils aufhörte, ſie kam doch. Und nun ſprang das Thor auf — und der Mulus lief wie wahnſinnig vor Freude im oſtwindverkühlten Sonnenſchein der jungen Märztage herum .. und dachte nicht daran, daß er doch eigentlich verdammt wenig Ausſicht be- ſäße, ein rechtſchaffenes Burſchenleben auf der Uni- verſität führen zu dürfen. Der Glückliche, der mit Patent entlaſſene Sträfling, dachte nicht daran, daß
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0022"n="14"/>
wendig war, um ſeine etwaigen Fähigkeiten an's<lb/>
helle Licht der Sonne zu befördern, war er ja im-<lb/>
merhin werth! Hieß er doch nicht nur Menſch, noch<lb/>
dazu Adam Menſch — war er doch ſchließlich auch<lb/>
ein Menſch und bot als ſolcher fürtreffliche Gelegen-<lb/>
heit, chriſtliche Nächſtenliebe getreu nach dem Evan-<lb/>
gelium zu üben.</p><lb/><p>Und nun kam die lange, drückende, ausmergelnde<lb/>
Leidenszeit Adams. Wie engten ihn die Schulwände<lb/>
ein! Wie gaben ſie ihm ſo blutwenig Luft und Licht<lb/>
und Freiheit und Wind! Wie langſam ſchleppten<lb/>ſich die Jahre hin — und wie viel Fleiſch von<lb/>
todten, crepirten Fiſchen wurde ihm als Geiſtesſpeiſe<lb/>
zum Hinunterſchlingen vorgeſetzt! Wie oft mußte<lb/>
er ſich verleugnen, ſich demüthigen, zu Kreuze kriechen,<lb/>
um die Broſamen nicht zu verlieren, die man ihm<lb/>
bewilligt hatte — und die man ihm Jahre lang ſo<lb/>
gern und ſo freudig gab!</p><lb/><p>Aber die Stunde, da dieſes Zuſammenleben mit<lb/>
dem Buchſtabendogma der Kirchenlehrer, dieſes Er-<lb/>
kaltenmüſſen in den todten Schnee- und Eis- und<lb/>
Gletſcherregionen der galvaniſirten Antike Ciceros und<lb/>
Vergils aufhörte, ſie kam doch. Und nun ſprang das<lb/>
Thor auf — und der Mulus lief wie wahnſinnig<lb/>
vor Freude im oſtwindverkühlten Sonnenſchein der<lb/>
jungen Märztage herum .. und dachte nicht daran,<lb/>
daß er doch eigentlich verdammt wenig Ausſicht be-<lb/>ſäße, ein rechtſchaffenes Burſchenleben auf der Uni-<lb/>
verſität führen zu dürfen. Der Glückliche, der mit<lb/>
Patent entlaſſene Sträfling, dachte nicht daran, daß<lb/></p></div></body></text></TEI>
[14/0022]
wendig war, um ſeine etwaigen Fähigkeiten an's
helle Licht der Sonne zu befördern, war er ja im-
merhin werth! Hieß er doch nicht nur Menſch, noch
dazu Adam Menſch — war er doch ſchließlich auch
ein Menſch und bot als ſolcher fürtreffliche Gelegen-
heit, chriſtliche Nächſtenliebe getreu nach dem Evan-
gelium zu üben.
Und nun kam die lange, drückende, ausmergelnde
Leidenszeit Adams. Wie engten ihn die Schulwände
ein! Wie gaben ſie ihm ſo blutwenig Luft und Licht
und Freiheit und Wind! Wie langſam ſchleppten
ſich die Jahre hin — und wie viel Fleiſch von
todten, crepirten Fiſchen wurde ihm als Geiſtesſpeiſe
zum Hinunterſchlingen vorgeſetzt! Wie oft mußte
er ſich verleugnen, ſich demüthigen, zu Kreuze kriechen,
um die Broſamen nicht zu verlieren, die man ihm
bewilligt hatte — und die man ihm Jahre lang ſo
gern und ſo freudig gab!
Aber die Stunde, da dieſes Zuſammenleben mit
dem Buchſtabendogma der Kirchenlehrer, dieſes Er-
kaltenmüſſen in den todten Schnee- und Eis- und
Gletſcherregionen der galvaniſirten Antike Ciceros und
Vergils aufhörte, ſie kam doch. Und nun ſprang das
Thor auf — und der Mulus lief wie wahnſinnig
vor Freude im oſtwindverkühlten Sonnenſchein der
jungen Märztage herum .. und dachte nicht daran,
daß er doch eigentlich verdammt wenig Ausſicht be-
ſäße, ein rechtſchaffenes Burſchenleben auf der Uni-
verſität führen zu dürfen. Der Glückliche, der mit
Patent entlaſſene Sträfling, dachte nicht daran, daß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/22>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.