Nur ein kleiner Raum lag zwischen den beiden. Die Beleuchtung war allerdings zu schwach, um die Formen der schönen Frau scharf und deutlich hervortreten zu lassen. Und doch floß ein ver- führerischer Athem von dieser in der Thüröffnung etwas nach vorn gebeugt stehenden Gestalt zu Adam hin.
"Sehr liebenswürdig, gnädige Frau ..."
Lydia verschwand wieder. Der Herr Doctor hatte sich erhoben. Er fühlte sich sehr behaglich. Er stand einen Augenblick mitten im Zimmer still und dehnte und reckte sich. Ein kleiner Drang zum Gähnen befiel ihn. Aber er unterdrückte ihn tapfer. Das dünkte ihn denn doch zu undankbar. Mit großer Genugthuung sog er die Atmosphäre des elegant-gemüthlichen Cabinets ein. Diese von der matten Beleuchtung mehr durchdunkelte als erhellte Umgebung entsprach sehr intim seinen Bedürfnissen und Neigungen, gebar ihm eine eigenthümlich reiz- volle Stimmung. Und das Begehren ward in ihm lebendig, dauernd unter solchen, in sich gesicherten Bedingungen zu leben. Und Lydia? Adam sagte sich, daß er ihrer pikanten, vollen, reifen Frauen- schönheit heute Abend zum Opfer gefallen war. Starken Eindrücken war er ja so zugänglich ... wenigstens konnte er sich für eine kurze Zeitspanne ganz von ihnen aufzehren lassen. Nun! Er wollte den Genuß der Stunde auskosten. Wer weiß, was ihm noch bevorstand! Oder sollte er selbst versuchen, mit starker Hand in die Speichen seines kleinen
Nur ein kleiner Raum lag zwiſchen den beiden. Die Beleuchtung war allerdings zu ſchwach, um die Formen der ſchönen Frau ſcharf und deutlich hervortreten zu laſſen. Und doch floß ein ver- führeriſcher Athem von dieſer in der Thüröffnung etwas nach vorn gebeugt ſtehenden Geſtalt zu Adam hin.
„Sehr liebenswürdig, gnädige Frau ...“
Lydia verſchwand wieder. Der Herr Doctor hatte ſich erhoben. Er fühlte ſich ſehr behaglich. Er ſtand einen Augenblick mitten im Zimmer ſtill und dehnte und reckte ſich. Ein kleiner Drang zum Gähnen befiel ihn. Aber er unterdrückte ihn tapfer. Das dünkte ihn denn doch zu undankbar. Mit großer Genugthuung ſog er die Atmoſphäre des elegant-gemüthlichen Cabinets ein. Dieſe von der matten Beleuchtung mehr durchdunkelte als erhellte Umgebung entſprach ſehr intim ſeinen Bedürfniſſen und Neigungen, gebar ihm eine eigenthümlich reiz- volle Stimmung. Und das Begehren ward in ihm lebendig, dauernd unter ſolchen, in ſich geſicherten Bedingungen zu leben. Und Lydia? Adam ſagte ſich, daß er ihrer pikanten, vollen, reifen Frauen- ſchönheit heute Abend zum Opfer gefallen war. Starken Eindrücken war er ja ſo zugänglich ... wenigſtens konnte er ſich für eine kurze Zeitſpanne ganz von ihnen aufzehren laſſen. Nun! Er wollte den Genuß der Stunde auskoſten. Wer weiß, was ihm noch bevorſtand! Oder ſollte er ſelbſt verſuchen, mit ſtarker Hand in die Speichen ſeines kleinen
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Nur ein kleiner Raum lag zwiſchen den beiden.
Die Beleuchtung war allerdings zu ſchwach, um
die Formen der ſchönen Frau ſcharf und deutlich
hervortreten zu laſſen. Und doch floß ein ver-
führeriſcher Athem von dieſer in der Thüröffnung
etwas nach vorn gebeugt ſtehenden Geſtalt zu
Adam hin.
„Sehr liebenswürdig, gnädige Frau ...“
Lydia verſchwand wieder. Der Herr Doctor
hatte ſich erhoben. Er fühlte ſich ſehr behaglich.
Er ſtand einen Augenblick mitten im Zimmer ſtill
und dehnte und reckte ſich. Ein kleiner Drang zum
Gähnen befiel ihn. Aber er unterdrückte ihn tapfer.
Das dünkte ihn denn doch zu undankbar. Mit
großer Genugthuung ſog er die Atmoſphäre des
elegant-gemüthlichen Cabinets ein. Dieſe von der
matten Beleuchtung mehr durchdunkelte als erhellte
Umgebung entſprach ſehr intim ſeinen Bedürfniſſen
und Neigungen, gebar ihm eine eigenthümlich reiz-
volle Stimmung. Und das Begehren ward in ihm
lebendig, dauernd unter ſolchen, in ſich geſicherten
Bedingungen zu leben. Und Lydia? Adam ſagte
ſich, daß er ihrer pikanten, vollen, reifen Frauen-
ſchönheit heute Abend zum Opfer gefallen war.
Starken Eindrücken war er ja ſo zugänglich ...
wenigſtens konnte er ſich für eine kurze Zeitſpanne
ganz von ihnen aufzehren laſſen. Nun! Er wollte
den Genuß der Stunde auskoſten. Wer weiß, was
ihm noch bevorſtand! Oder ſollte er ſelbſt verſuchen,
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/150>, abgerufen am 13.05.2024.
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