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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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Von welchen kargen, geradezu dämonisch kargen Reizen
läßt man sich nur immer wieder ködern und bewältigen!
Man studirt und liest und schreibt und plaudert und ver-
kehrt mit Menschen .. man besucht Gesellschaften, treibt
sich in Localen herum ... wie gesagt: fast ohne jede Kritik
mehr .. ohne sich noch darüber klar zu werden, daß man
sich mit dem Allen doch eigentlich furchtbar vor sich
selber compromittirt! Gott sei Dank, daß ich kein
sogenannter "Dichter" bin! Diesen Leuten sollen ja
alle Creaturen auf Gottes Erdboden .. ob sie nun
vierbeinig oder zweibeinig oder x-beinig, wie der
liebe Hummer, herumlaufen, interessant sein .. Das
schwatzt nämlich immer einer von diesen Herren
"Dichtern" dem ander'n vor: Du! Höre' mal! Du
mußt für Alles Sympathie haben! Du mußt hinter
Allem das "rein Menschliche" suchen, wie hinter dem
Spiegel das Quecksilber. Stöbere nur -- du wirst's
schon finden, lieber Freund! Als ob der sogenannte
"Dichter" nicht auch geistige Selektionstendenzen be-
säße! Nein! Es ist oft zum Verzweifeln, wenn man
sieht, was für Phrasen heutzutage colportirt werden auf
der Welt! -- -- Schätzen Sie sich glücklich, gnädige
Frau, daß Sie von all' dem elenden Wirrwarr, von
der colossalen Begriffsverwirrung, die sich allenthalben
breit macht, hier in Ihrem schönen buen retiro so
wenig, so blutwenig hören! ..."

"Aber Sie wollten ja von Fräulein Irmer sprechen,
Herr Doctor ... Sie begannen doch wenigstens in der
Tonart -- und nun sind Sie wieder einmal ...
wieder einmal bei mir angelangt -- das ist doch --"

Von welchen kargen, geradezu dämoniſch kargen Reizen
läßt man ſich nur immer wieder ködern und bewältigen!
Man ſtudirt und lieſt und ſchreibt und plaudert und ver-
kehrt mit Menſchen .. man beſucht Geſellſchaften, treibt
ſich in Localen herum ... wie geſagt: faſt ohne jede Kritik
mehr .. ohne ſich noch darüber klar zu werden, daß man
ſich mit dem Allen doch eigentlich furchtbar vor ſich
ſelber compromittirt! Gott ſei Dank, daß ich kein
ſogenannter „Dichter“ bin! Dieſen Leuten ſollen ja
alle Creaturen auf Gottes Erdboden .. ob ſie nun
vierbeinig oder zweibeinig oder x-beinig, wie der
liebe Hummer, herumlaufen, intereſſant ſein .. Das
ſchwatzt nämlich immer einer von dieſen Herren
„Dichtern“ dem ander'n vor: Du! Höre' mal! Du
mußt für Alles Sympathie haben! Du mußt hinter
Allem das „rein Menſchliche“ ſuchen, wie hinter dem
Spiegel das Queckſilber. Stöbere nur — du wirſt's
ſchon finden, lieber Freund! Als ob der ſogenannte
„Dichter“ nicht auch geiſtige Selektionstendenzen be-
ſäße! Nein! Es iſt oft zum Verzweifeln, wenn man
ſieht, was für Phraſen heutzutage colportirt werden auf
der Welt! — — Schätzen Sie ſich glücklich, gnädige
Frau, daß Sie von all' dem elenden Wirrwarr, von
der coloſſalen Begriffsverwirrung, die ſich allenthalben
breit macht, hier in Ihrem ſchönen buen retiro ſo
wenig, ſo blutwenig hören! ...“

„Aber Sie wollten ja von Fräulein Irmer ſprechen,
Herr Doctor ... Sie begannen doch wenigſtens in der
Tonart — und nun ſind Sie wieder einmal ...
wieder einmal bei mir angelangt — das iſt doch —“

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[140/0148] Von welchen kargen, geradezu dämoniſch kargen Reizen läßt man ſich nur immer wieder ködern und bewältigen! Man ſtudirt und lieſt und ſchreibt und plaudert und ver- kehrt mit Menſchen .. man beſucht Geſellſchaften, treibt ſich in Localen herum ... wie geſagt: faſt ohne jede Kritik mehr .. ohne ſich noch darüber klar zu werden, daß man ſich mit dem Allen doch eigentlich furchtbar vor ſich ſelber compromittirt! Gott ſei Dank, daß ich kein ſogenannter „Dichter“ bin! Dieſen Leuten ſollen ja alle Creaturen auf Gottes Erdboden .. ob ſie nun vierbeinig oder zweibeinig oder x-beinig, wie der liebe Hummer, herumlaufen, intereſſant ſein .. Das ſchwatzt nämlich immer einer von dieſen Herren „Dichtern“ dem ander'n vor: Du! Höre' mal! Du mußt für Alles Sympathie haben! Du mußt hinter Allem das „rein Menſchliche“ ſuchen, wie hinter dem Spiegel das Queckſilber. Stöbere nur — du wirſt's ſchon finden, lieber Freund! Als ob der ſogenannte „Dichter“ nicht auch geiſtige Selektionstendenzen be- ſäße! Nein! Es iſt oft zum Verzweifeln, wenn man ſieht, was für Phraſen heutzutage colportirt werden auf der Welt! — — Schätzen Sie ſich glücklich, gnädige Frau, daß Sie von all' dem elenden Wirrwarr, von der coloſſalen Begriffsverwirrung, die ſich allenthalben breit macht, hier in Ihrem ſchönen buen retiro ſo wenig, ſo blutwenig hören! ...“ „Aber Sie wollten ja von Fräulein Irmer ſprechen, Herr Doctor ... Sie begannen doch wenigſtens in der Tonart — und nun ſind Sie wieder einmal ... wieder einmal bei mir angelangt — das iſt doch —“

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/148>, abgerufen am 12.05.2024.