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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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glaublich, wie beschränkt der Anschauungskreis ist, in
dem eine solche Kleinbürgerfamilie lebt! Immer
dieselben Pflichten, dieselben Arbeiten, dieselbe Be-
urtheilung des Lebens, dieselben Sorgen, dieselben
Gedanken, dieselben Worte, dieselben Eindrücke, die-
selben Gedanken- und Vorstellungsverbindungen! ..
Und täglich die gleichen Lebensbedingungen! ..
Ich machte mir öfter das, meinetwegen: das etwas
wohlfeile Vergnügen, ganz meiner Natur gemäß,
in meiner Art, in meinem Jargon mit der Frau zu
verkehren: sie verstand mich einfach nicht. Die
Kluft, welche individuelle Civilisation, eigene Geistes-
cultur hier geschaffen, ist unüberbrückbar. Und doch
kann ich nicht umhin, selbst von meinem Stand-
punkte aus, der vielleicht ein Kirchthurmstandpunkt ist
gegenüber dem -- halten Sie mir, bitte! den Vergleich
zu Gute, -- also gegenüber dem Düngerhaufenstand-
punkte jener Kleinweltsleute -- vielleicht aber
auch nicht! giebt es denn etwa einen ein-
zigen, wirklich competenten Maßstab? -- selbst also
bei diesem Sehverhältniß muß ich etwas Heroisches
in dem stillen Aufsichnehmen, in dem beinahe kritiklosen
Ertragen aller jener erbärmlichen Lebensumstände
sehen. Eine solche "Frau aus dem Volke" bleibt
mit ihren kleinen und ihr doch so wichtigen Sorgen
um Wirthschaft und Kinder fast immer hinter den
Coulissen, kommt äußerst selten auf die Bühne des
Lebens. Sie sorgt sich und quält sich den ganzen
lieben Tag ab und opfert schließlich auch den größten
Theil der Nacht ihren Kindern .. jammert wohl auch

glaublich, wie beſchränkt der Anſchauungskreis iſt, in
dem eine ſolche Kleinbürgerfamilie lebt! Immer
dieſelben Pflichten, dieſelben Arbeiten, dieſelbe Be-
urtheilung des Lebens, dieſelben Sorgen, dieſelben
Gedanken, dieſelben Worte, dieſelben Eindrücke, die-
ſelben Gedanken- und Vorſtellungsverbindungen! ..
Und täglich die gleichen Lebensbedingungen! ..
Ich machte mir öfter das, meinetwegen: das etwas
wohlfeile Vergnügen, ganz meiner Natur gemäß,
in meiner Art, in meinem Jargon mit der Frau zu
verkehren: ſie verſtand mich einfach nicht. Die
Kluft, welche individuelle Civiliſation, eigene Geiſtes-
cultur hier geſchaffen, iſt unüberbrückbar. Und doch
kann ich nicht umhin, ſelbſt von meinem Stand-
punkte aus, der vielleicht ein Kirchthurmſtandpunkt iſt
gegenüber dem — halten Sie mir, bitte! den Vergleich
zu Gute, — alſo gegenüber dem Düngerhaufenſtand-
punkte jener Kleinweltsleute — vielleicht aber
auch nicht! giebt es denn etwa einen ein-
zigen, wirklich competenten Maßſtab? — ſelbſt alſo
bei dieſem Sehverhältniß muß ich etwas Heroiſches
in dem ſtillen Aufſichnehmen, in dem beinahe kritikloſen
Ertragen aller jener erbärmlichen Lebensumſtände
ſehen. Eine ſolche „Frau aus dem Volke“ bleibt
mit ihren kleinen und ihr doch ſo wichtigen Sorgen
um Wirthſchaft und Kinder faſt immer hinter den
Couliſſen, kommt äußerſt ſelten auf die Bühne des
Lebens. Sie ſorgt ſich und quält ſich den ganzen
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[116/0124] glaublich, wie beſchränkt der Anſchauungskreis iſt, in dem eine ſolche Kleinbürgerfamilie lebt! Immer dieſelben Pflichten, dieſelben Arbeiten, dieſelbe Be- urtheilung des Lebens, dieſelben Sorgen, dieſelben Gedanken, dieſelben Worte, dieſelben Eindrücke, die- ſelben Gedanken- und Vorſtellungsverbindungen! .. Und täglich die gleichen Lebensbedingungen! .. Ich machte mir öfter das, meinetwegen: das etwas wohlfeile Vergnügen, ganz meiner Natur gemäß, in meiner Art, in meinem Jargon mit der Frau zu verkehren: ſie verſtand mich einfach nicht. Die Kluft, welche individuelle Civiliſation, eigene Geiſtes- cultur hier geſchaffen, iſt unüberbrückbar. Und doch kann ich nicht umhin, ſelbſt von meinem Stand- punkte aus, der vielleicht ein Kirchthurmſtandpunkt iſt gegenüber dem — halten Sie mir, bitte! den Vergleich zu Gute, — alſo gegenüber dem Düngerhaufenſtand- punkte jener Kleinweltsleute — vielleicht aber auch nicht! giebt es denn etwa einen ein- zigen, wirklich competenten Maßſtab? — ſelbſt alſo bei dieſem Sehverhältniß muß ich etwas Heroiſches in dem ſtillen Aufſichnehmen, in dem beinahe kritikloſen Ertragen aller jener erbärmlichen Lebensumſtände ſehen. Eine ſolche „Frau aus dem Volke“ bleibt mit ihren kleinen und ihr doch ſo wichtigen Sorgen um Wirthſchaft und Kinder faſt immer hinter den Couliſſen, kommt äußerſt ſelten auf die Bühne des Lebens. Sie ſorgt ſich und quält ſich den ganzen lieben Tag ab und opfert ſchließlich auch den größten Theil der Nacht ihren Kindern .. jammert wohl auch

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/124>, abgerufen am 13.05.2024.