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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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Sitte, des Familienlebens, der Erziehung verwachsen sind mit
alten, zum Theil uralten Formen und Bräuchen häuslicher
Arbeit und häuslichen Bedarfs, da hat die "Maschine" oft
einen langwierigen Kampf zu kämpfen, ehe es ihr gelingt,
dieses zähe Gebilde der Jahrhunderte zu zerreißen. Kein Zweifel,
daß heutzutage eine Masse von Kleidungsstücken, Nahrungs-
mitteln u. s. w. durch die große Jndustrie hergestellt und von
ihr dem häuslichen Bedarf geliefert wird. Aber welche Fülle
von Dingen ist dennoch übrig geblieben, und zumal bei uns
in Deutschland, von jenen alten Formen und Bräuchen! Frei-
lich ist der Abstand groß zwischen den Resten der alten Zeit
in den großen Hauptstädten und in den Provinzen, dem platten
Lande. Aber selbst in jenen ist noch Vieles von dem Alten
vorhanden.

Ein Weiteres kommt hinzu. Das Princip der Arbeits-
theilung ist kein souveränes Gesetz, welches sich mit fort-
schreitender Volkswirthschaft, zumal wenn dieselbe auf der Höhe
der Gegenwart angelangt ist, als eine Nothwendigkeit vollziehen
müßte, indem dasselbe früher oder später die ihm entgegen-
stehenden Hemmnisse aus dem Wege räumt. Jenes Princip
hat vielmehr vor gewissen Schranken Halt zu machen. Jn
unserem Staatsleben beobachten wir grundlegende Jnstitutionen,
deren moderner Charakter zusammen mit dem Gegensatze zu
dem Principe der Arbeitstheilung uns beweist, wie wichtig
diese Schranken gerade für die heutige Gestaltung unseres Lebens
sind. Das ganze große Gebiet der staatsbürgerlichen Theil-
nahme am öffentlichen Wesen, die mannigfaltigen Formen der
bürgerlichen Selbstverwaltung sind Manifestationen des Grund-
satzes, daß in offenem Widerspruche zur Arbeitstheilung ein
Stück der Arbeit am Staate die Sache von Jedermann sein
soll. Wenn aber über diese Einrichtung des Staatswesens,

Sitte, des Familienlebens, der Erziehung verwachsen sind mit
alten, zum Theil uralten Formen und Bräuchen häuslicher
Arbeit und häuslichen Bedarfs, da hat die „Maschine“ oft
einen langwierigen Kampf zu kämpfen, ehe es ihr gelingt,
dieses zähe Gebilde der Jahrhunderte zu zerreißen. Kein Zweifel,
daß heutzutage eine Masse von Kleidungsstücken, Nahrungs-
mitteln u. s. w. durch die große Jndustrie hergestellt und von
ihr dem häuslichen Bedarf geliefert wird. Aber welche Fülle
von Dingen ist dennoch übrig geblieben, und zumal bei uns
in Deutschland, von jenen alten Formen und Bräuchen! Frei-
lich ist der Abstand groß zwischen den Resten der alten Zeit
in den großen Hauptstädten und in den Provinzen, dem platten
Lande. Aber selbst in jenen ist noch Vieles von dem Alten
vorhanden.

Ein Weiteres kommt hinzu. Das Princip der Arbeits-
theilung ist kein souveränes Gesetz, welches sich mit fort-
schreitender Volkswirthschaft, zumal wenn dieselbe auf der Höhe
der Gegenwart angelangt ist, als eine Nothwendigkeit vollziehen
müßte, indem dasselbe früher oder später die ihm entgegen-
stehenden Hemmnisse aus dem Wege räumt. Jenes Princip
hat vielmehr vor gewissen Schranken Halt zu machen. Jn
unserem Staatsleben beobachten wir grundlegende Jnstitutionen,
deren moderner Charakter zusammen mit dem Gegensatze zu
dem Principe der Arbeitstheilung uns beweist, wie wichtig
diese Schranken gerade für die heutige Gestaltung unseres Lebens
sind. Das ganze große Gebiet der staatsbürgerlichen Theil-
nahme am öffentlichen Wesen, die mannigfaltigen Formen der
bürgerlichen Selbstverwaltung sind Manifestationen des Grund-
satzes, daß in offenem Widerspruche zur Arbeitstheilung ein
Stück der Arbeit am Staate die Sache von Jedermann sein
soll. Wenn aber über diese Einrichtung des Staatswesens,

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[133/0149] Sitte, des Familienlebens, der Erziehung verwachsen sind mit alten, zum Theil uralten Formen und Bräuchen häuslicher Arbeit und häuslichen Bedarfs, da hat die „Maschine“ oft einen langwierigen Kampf zu kämpfen, ehe es ihr gelingt, dieses zähe Gebilde der Jahrhunderte zu zerreißen. Kein Zweifel, daß heutzutage eine Masse von Kleidungsstücken, Nahrungs- mitteln u. s. w. durch die große Jndustrie hergestellt und von ihr dem häuslichen Bedarf geliefert wird. Aber welche Fülle von Dingen ist dennoch übrig geblieben, und zumal bei uns in Deutschland, von jenen alten Formen und Bräuchen! Frei- lich ist der Abstand groß zwischen den Resten der alten Zeit in den großen Hauptstädten und in den Provinzen, dem platten Lande. Aber selbst in jenen ist noch Vieles von dem Alten vorhanden. Ein Weiteres kommt hinzu. Das Princip der Arbeits- theilung ist kein souveränes Gesetz, welches sich mit fort- schreitender Volkswirthschaft, zumal wenn dieselbe auf der Höhe der Gegenwart angelangt ist, als eine Nothwendigkeit vollziehen müßte, indem dasselbe früher oder später die ihm entgegen- stehenden Hemmnisse aus dem Wege räumt. Jenes Princip hat vielmehr vor gewissen Schranken Halt zu machen. Jn unserem Staatsleben beobachten wir grundlegende Jnstitutionen, deren moderner Charakter zusammen mit dem Gegensatze zu dem Principe der Arbeitstheilung uns beweist, wie wichtig diese Schranken gerade für die heutige Gestaltung unseres Lebens sind. Das ganze große Gebiet der staatsbürgerlichen Theil- nahme am öffentlichen Wesen, die mannigfaltigen Formen der bürgerlichen Selbstverwaltung sind Manifestationen des Grund- satzes, daß in offenem Widerspruche zur Arbeitstheilung ein Stück der Arbeit am Staate die Sache von Jedermann sein soll. Wenn aber über diese Einrichtung des Staatswesens,

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/149>, abgerufen am 19.04.2024.