entbehren. Je unbegabter sie sind, um so leichter ist ihr Loos; denn um so eher versumpfen sie an Geist und Gemüth. Je temperamentvoller sie sind, um so unglücklicher sind sie. Der Mangel an Jnhalt und Zweck des Lebens und die daraus ent- springende innere Noth ist ein Kreuz der bemittelten ledigen Frauen ... Auch die Frau lebt nicht vom Brote allein, sie muß ihr Pflichttheil an Mühe und Arbeit haben, das sie mit der Menschheit verknüpft. Wie das Gewicht die Uhr, so erhält nur ein Theil pflichtmäßiger Arbeit das Menschengeschlecht im rechten Gange. Jst der einzige Lebenszweck der ökonomisch unabhängigen Frau der Genuß, so fehlt jedes sittliche Band, das sie an das Leben knüpft, und damit verliert das Leben den Sinn. Es wird zur Oede, zur Last. Das mühseligste Gemeinschaftsleben ist leichter zu ertragen als diese einsame Selbstzersetzung ... Damit die überschüssigen Kräfte Ver- wendung finden, muß der erste Schritt sein, daß auch in der Mädchenerziehung der Satz beherzigt wird: Nur das Leben ist ein sittliches, welches auf pflichtmäßiger Arbeit ruht, und daß die Eltern dementsprechend von vornherein einen Beruf für ihre Töchter ins Auge fassen."*)
Das Ergebniß unserer höheren Töchterschule wird von einer der berufensten Autoritäten auf diesem Gebiete kurz also geschildert: "Bei keinem Menschen ist die Fähigkeit, nicht zu sehen, was wirklich vorgeht, nicht zu hören, wenn ein Noth- schrei durch das Land schallt, nicht zu empfinden, wenn das Elend ihnen nahe tritt, in Träumerei zu versinken, wenn das Leben wache Menschen verlangt, größer, als bei der Mehrzahl unserer Mädchen der sogenannten besseren Stände"**)
*) Bericht über die Verhandlungen u. s. w. S. 86 f.
**)Helene Lange, Roth. Ein Vortrag. 1892. S. 4.
entbehren. Je unbegabter sie sind, um so leichter ist ihr Loos; denn um so eher versumpfen sie an Geist und Gemüth. Je temperamentvoller sie sind, um so unglücklicher sind sie. Der Mangel an Jnhalt und Zweck des Lebens und die daraus ent- springende innere Noth ist ein Kreuz der bemittelten ledigen Frauen … Auch die Frau lebt nicht vom Brote allein, sie muß ihr Pflichttheil an Mühe und Arbeit haben, das sie mit der Menschheit verknüpft. Wie das Gewicht die Uhr, so erhält nur ein Theil pflichtmäßiger Arbeit das Menschengeschlecht im rechten Gange. Jst der einzige Lebenszweck der ökonomisch unabhängigen Frau der Genuß, so fehlt jedes sittliche Band, das sie an das Leben knüpft, und damit verliert das Leben den Sinn. Es wird zur Oede, zur Last. Das mühseligste Gemeinschaftsleben ist leichter zu ertragen als diese einsame Selbstzersetzung … Damit die überschüssigen Kräfte Ver- wendung finden, muß der erste Schritt sein, daß auch in der Mädchenerziehung der Satz beherzigt wird: Nur das Leben ist ein sittliches, welches auf pflichtmäßiger Arbeit ruht, und daß die Eltern dementsprechend von vornherein einen Beruf für ihre Töchter ins Auge fassen.“*)
Das Ergebniß unserer höheren Töchterschule wird von einer der berufensten Autoritäten auf diesem Gebiete kurz also geschildert: „Bei keinem Menschen ist die Fähigkeit, nicht zu sehen, was wirklich vorgeht, nicht zu hören, wenn ein Noth- schrei durch das Land schallt, nicht zu empfinden, wenn das Elend ihnen nahe tritt, in Träumerei zu versinken, wenn das Leben wache Menschen verlangt, größer, als bei der Mehrzahl unserer Mädchen der sogenannten besseren Stände“**)
*) Bericht über die Verhandlungen u. s. w. S. 86 f.
**)Helene Lange, Roth. Ein Vortrag. 1892. S. 4.
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entbehren. Je unbegabter sie sind, um so leichter ist ihr Loos;
denn um so eher versumpfen sie an Geist und Gemüth. Je
temperamentvoller sie sind, um so unglücklicher sind sie. Der
Mangel an Jnhalt und Zweck des Lebens und die daraus ent-
springende innere Noth ist ein Kreuz der bemittelten ledigen
Frauen … Auch die Frau lebt nicht vom Brote allein, sie
muß ihr Pflichttheil an Mühe und Arbeit haben, das sie mit
der Menschheit verknüpft. Wie das Gewicht die Uhr, so erhält
nur ein Theil pflichtmäßiger Arbeit das Menschengeschlecht im
rechten Gange. Jst der einzige Lebenszweck der ökonomisch
unabhängigen Frau der Genuß, so fehlt jedes sittliche Band,
das sie an das Leben knüpft, und damit verliert das Leben
den Sinn. Es wird zur Oede, zur Last. Das mühseligste
Gemeinschaftsleben ist leichter zu ertragen als diese einsame
Selbstzersetzung … Damit die überschüssigen Kräfte Ver-
wendung finden, muß der erste Schritt sein, daß auch in der
Mädchenerziehung der Satz beherzigt wird: Nur das Leben
ist ein sittliches, welches auf pflichtmäßiger Arbeit ruht, und
daß die Eltern dementsprechend von vornherein einen Beruf
für ihre Töchter ins Auge fassen.“ *)
Das Ergebniß unserer höheren Töchterschule wird von
einer der berufensten Autoritäten auf diesem Gebiete kurz also
geschildert: „Bei keinem Menschen ist die Fähigkeit, nicht zu
sehen, was wirklich vorgeht, nicht zu hören, wenn ein Noth-
schrei durch das Land schallt, nicht zu empfinden, wenn das
Elend ihnen nahe tritt, in Träumerei zu versinken, wenn das
Leben wache Menschen verlangt, größer, als bei der Mehrzahl
unserer Mädchen der sogenannten besseren Stände“ **)
*) Bericht über die Verhandlungen u. s. w. S. 86 f.
**) Helene Lange, Roth. Ein Vortrag. 1892. S. 4.
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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/137>, abgerufen am 17.07.2024.
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