Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804. p2c_542.001 p2c_542.002 p2c_542.010 p2c_542.001 p2c_542.002 p2c_542.010 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0066" n="542"/> <p> <hi rendition="#c"><lb n="p2c_542.001"/> §. 4.</hi> </p> <p><lb n="p2c_542.002"/> 3) Da die Ode eine höhere Gemüthsstimmung <lb n="p2c_542.003"/> voraussetzt, welche durch keinen äußerlich bestimmten <lb n="p2c_542.004"/> Gegenstand genährt wird, also nicht bleibend seyn kann, <lb n="p2c_542.005"/> so muß sie ihrer Natur nach <hi rendition="#g">kurz</hi> und ihr Styl gedrängt <lb n="p2c_542.006"/> seyn. Keiner Dichtungsart kommt die hohe <lb n="p2c_542.007"/> Sprache zu, welche die Ode hat, weil in ihr der Dichter <lb n="p2c_542.008"/> allein spricht, und seine erhabenen Empfindungen <lb n="p2c_542.009"/> mittheilt.</p> <p><lb n="p2c_542.010"/><hi rendition="#g">Anmerk.</hi> Weder Pindar noch Rousseau machen von <lb n="p2c_542.011"/> dieser Regel der Kürze eine Ausnahme. <hi rendition="#g">Pindars</hi> Oden <lb n="p2c_542.012"/> nähern sich oft mehr der Natur von <hi rendition="#g">Erzählungen</hi> in <lb n="p2c_542.013"/> lyrischer Form unsrer Balladen. Nur in dieser Qualität <lb n="p2c_542.014"/> kann man sie nicht zu lang finden. Der Engländer Prior <lb n="p2c_542.015"/> hat Oden von fünf und dreyßig zehnzeiligen Strophen. <lb n="p2c_542.016"/> Rousseaus Oden pflegte Klopstock <hi rendition="#aq">Dissertations lyriques</hi> <lb n="p2c_542.017"/> zu nennen. Sie sind zuweilen mehr Lehrgedichte in lyrischer <lb n="p2c_542.018"/> Form, als wirkliche Oden. Ueberhaupt kommt es bey <lb n="p2c_542.019"/> Classification der Gedichte auf das an, was die Hauptsache <lb n="p2c_542.020"/> ist. <hi rendition="#aq">A potiori fit denominatio</hi>, wie wir schon bemerkt <lb n="p2c_542.021"/> haben. Es kann ein Dichter erzählen und lehren wollen, <lb n="p2c_542.022"/> und seiner Gedankenreihe dabey eine freyere lyrische Form <lb n="p2c_542.023"/> geben, als wär er an seinen Gegenstand nicht gebunden. <lb n="p2c_542.024"/> Dann ist er kein <hi rendition="#g">lyrischer</hi> Dichter, wenn er auch noch so <lb n="p2c_542.025"/> viel lyrische Stellen einmischt. Wiederum kann ein Dichret <lb n="p2c_542.026"/> nur <hi rendition="#g">erzählen.</hi> Wenn aber seine Erzählung ihrer <lb n="p2c_542.027"/> Natur nach Nebensache, Einkleidung, und nichts als das </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [542/0066]
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§. 4.
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3) Da die Ode eine höhere Gemüthsstimmung p2c_542.003
voraussetzt, welche durch keinen äußerlich bestimmten p2c_542.004
Gegenstand genährt wird, also nicht bleibend seyn kann, p2c_542.005
so muß sie ihrer Natur nach kurz und ihr Styl gedrängt p2c_542.006
seyn. Keiner Dichtungsart kommt die hohe p2c_542.007
Sprache zu, welche die Ode hat, weil in ihr der Dichter p2c_542.008
allein spricht, und seine erhabenen Empfindungen p2c_542.009
mittheilt.
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Anmerk. Weder Pindar noch Rousseau machen von p2c_542.011
dieser Regel der Kürze eine Ausnahme. Pindars Oden p2c_542.012
nähern sich oft mehr der Natur von Erzählungen in p2c_542.013
lyrischer Form unsrer Balladen. Nur in dieser Qualität p2c_542.014
kann man sie nicht zu lang finden. Der Engländer Prior p2c_542.015
hat Oden von fünf und dreyßig zehnzeiligen Strophen. p2c_542.016
Rousseaus Oden pflegte Klopstock Dissertations lyriques p2c_542.017
zu nennen. Sie sind zuweilen mehr Lehrgedichte in lyrischer p2c_542.018
Form, als wirkliche Oden. Ueberhaupt kommt es bey p2c_542.019
Classification der Gedichte auf das an, was die Hauptsache p2c_542.020
ist. A potiori fit denominatio, wie wir schon bemerkt p2c_542.021
haben. Es kann ein Dichter erzählen und lehren wollen, p2c_542.022
und seiner Gedankenreihe dabey eine freyere lyrische Form p2c_542.023
geben, als wär er an seinen Gegenstand nicht gebunden. p2c_542.024
Dann ist er kein lyrischer Dichter, wenn er auch noch so p2c_542.025
viel lyrische Stellen einmischt. Wiederum kann ein Dichret p2c_542.026
nur erzählen. Wenn aber seine Erzählung ihrer p2c_542.027
Natur nach Nebensache, Einkleidung, und nichts als das
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