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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

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durch den Schatten des Darius, durch sein Furienchor p2c_786.004
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der des Tasso, Dante und Milton. Die Religion hat p2c_786.007
den Menschen einen Sinn aufgeschlossen, welcher den Alten p2c_786.008
fremd war. Eine wohlthätige Nacht eröffnet das Auge der p2c_786.009
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Schrecknissen des Jenseits vertraut machen. Freylich verliehrt p2c_786.011
durch diese oft unerklärbare Maschienerie das Werk p2c_786.012
der Neuern nicht selten an ästhetischer und logischer p2c_786.013
Vollkommenheit. Aber es gewinnt für die Einbildungskraft p2c_786.014
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einen tiefen Zug oft anziehender ist, als das vollkommenste p2c_786.017
Gesicht. Endlich gewinnt auch die neue historische Poesie p2c_786.018
zuweilen durch gewisse Contraste des komischen und tragischen, p2c_786.019
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Dantes und Homers gegen einander hält, so findet man in p2c_786.024
den erstern Dichtern oft ein lebhaftes hervorstechendes Colorit, p2c_786.025
das dem alten Griechen mangelt. Letzterer hält sich p2c_786.026
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hernimmt, auch sind dies dann nicht immer die glücklichsten

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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 786. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/310>, abgerufen am 19.05.2024.