Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_691.001 p2c_691.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0215" n="691"/><lb n="p2c_691.001"/> weil auch die Schönheit der menschlichen Sitten lebendig dargestellt <lb n="p2c_691.002"/> wird, die <hi rendition="#g">Grazie.</hi> Alle andern Gefühle müssen sich <lb n="p2c_691.003"/> hiernach modifiziren. Das eigentlich lächerliche und satyrische, <lb n="p2c_691.004"/> was eine heftige bittere Empfindung giebt, muß als <lb n="p2c_691.005"/> Contrast, vermieden werden. Vossens Jdyllen, in denen <lb n="p2c_691.006"/> zuweilen das unterdrückte Leben des Bauernstandes dargestellt <lb n="p2c_691.007"/> wird, geben dann eine bittere Gemüthsstimmung, welche <lb n="p2c_691.008"/> dem Wesen der Jdylle zuwider ist. Das <hi rendition="#g">Leben</hi> des <lb n="p2c_691.009"/> Menschen soll nicht in der Unterdrückung, es soll in seiner vollen <lb n="p2c_691.010"/> freyen schönen Thätigkeit aufgefaßt werden. ─ Das <lb n="p2c_691.011"/> <hi rendition="#g">Naive</hi> die herrschende Tonart ist das Bewußtseyn des instinktmäßigen <lb n="p2c_691.012"/> Daseyns von seiner Gesetzlichkeit. Es ist also <lb n="p2c_691.013"/> auch eine <hi rendition="#g">bürgerliche Naivität</hi> möglich, z. B. wenn <lb n="p2c_691.014"/> der Bürger bey seinem Erwerb, Handel und Wandel sich <lb n="p2c_691.015"/> einer gewissen Würde bewußt wird. Von dieser Seite schildert <lb n="p2c_691.016"/> <hi rendition="#g">Göthe</hi> zuweilen sehr glücklich den Bürgerstand <hi rendition="#g">idyllisch.</hi> <lb n="p2c_691.017"/> ─ <hi rendition="#g">Tragische</hi> Empfindungen, Klagen über den <lb n="p2c_691.018"/> Tod eines geliebten Menschen, z. B. des Adonis, des Dafnis, <lb n="p2c_691.019"/> können auch in der <hi rendition="#g">Jdylle</hi> statt finden. Nur muß <lb n="p2c_691.020"/> auch hier der Schmerz mehr von der sichtbaren lebendigen, <lb n="p2c_691.021"/> naiven Seite gezeigt werden. Der Mensch muß dem Unglück <lb n="p2c_691.022"/> nicht unterliegen, sondern es muß sich das Leben im <lb n="p2c_691.023"/> Selbstbewußseyn seiner Schönheit mit unschuldigem Muth, <lb n="p2c_691.024"/> mit einer gewissen Besonnenheit über die traurige Lage erheben. <lb n="p2c_691.025"/> Auch hiervon giebt Hermann und Dorothea das beste <lb n="p2c_691.026"/> Beyspiel. ─ Die 23. Jdylle des Theokrit, wo sich ein <lb n="p2c_691.027"/> unglücklicher Liebhaber erhenkt, die von Lafontaine und andern <lb n="p2c_691.028"/> unter dem Nahmen Alcimadure nachgeahmt worden ist, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [691/0215]
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weil auch die Schönheit der menschlichen Sitten lebendig dargestellt p2c_691.002
wird, die Grazie. Alle andern Gefühle müssen sich p2c_691.003
hiernach modifiziren. Das eigentlich lächerliche und satyrische, p2c_691.004
was eine heftige bittere Empfindung giebt, muß als p2c_691.005
Contrast, vermieden werden. Vossens Jdyllen, in denen p2c_691.006
zuweilen das unterdrückte Leben des Bauernstandes dargestellt p2c_691.007
wird, geben dann eine bittere Gemüthsstimmung, welche p2c_691.008
dem Wesen der Jdylle zuwider ist. Das Leben des p2c_691.009
Menschen soll nicht in der Unterdrückung, es soll in seiner vollen p2c_691.010
freyen schönen Thätigkeit aufgefaßt werden. ─ Das p2c_691.011
Naive die herrschende Tonart ist das Bewußtseyn des instinktmäßigen p2c_691.012
Daseyns von seiner Gesetzlichkeit. Es ist also p2c_691.013
auch eine bürgerliche Naivität möglich, z. B. wenn p2c_691.014
der Bürger bey seinem Erwerb, Handel und Wandel sich p2c_691.015
einer gewissen Würde bewußt wird. Von dieser Seite schildert p2c_691.016
Göthe zuweilen sehr glücklich den Bürgerstand idyllisch. p2c_691.017
─ Tragische Empfindungen, Klagen über den p2c_691.018
Tod eines geliebten Menschen, z. B. des Adonis, des Dafnis, p2c_691.019
können auch in der Jdylle statt finden. Nur muß p2c_691.020
auch hier der Schmerz mehr von der sichtbaren lebendigen, p2c_691.021
naiven Seite gezeigt werden. Der Mensch muß dem Unglück p2c_691.022
nicht unterliegen, sondern es muß sich das Leben im p2c_691.023
Selbstbewußseyn seiner Schönheit mit unschuldigem Muth, p2c_691.024
mit einer gewissen Besonnenheit über die traurige Lage erheben. p2c_691.025
Auch hiervon giebt Hermann und Dorothea das beste p2c_691.026
Beyspiel. ─ Die 23. Jdylle des Theokrit, wo sich ein p2c_691.027
unglücklicher Liebhaber erhenkt, die von Lafontaine und andern p2c_691.028
unter dem Nahmen Alcimadure nachgeahmt worden ist,
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