Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804. p2c_593.001 p2c_593.002 p2c_593.015 p2c_593.001 p2c_593.002 p2c_593.015 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0117" n="593"/> <p> <hi rendition="#c"><lb n="p2c_593.001"/> §. 2.</hi> </p> <p><lb n="p2c_593.002"/> Da die dichterische <hi rendition="#g">Handlung</hi> (<hi rendition="#aq">fabula</hi>) <lb n="p2c_593.003"/> eine dargestellte Willensthätigkeit seyn soll, welche <lb n="p2c_593.004"/> idealisirt als ein schönes Objekt erscheine, so muß <lb n="p2c_593.005"/> sie alle vier Eigenschaften haben, die wir oben <lb n="p2c_593.006"/> von einem Jdeale verlangten. Sie muß 1) ohne <lb n="p2c_593.007"/> Zwang vor unsern Augen, wie ein bloßes Spiel des <lb n="p2c_593.008"/> Zufalls entstehn und doch immer mehr eine gesetzliche <lb n="p2c_593.009"/> Einheit ahnen lassen, nach der sie sich organisire, 2) <lb n="p2c_593.010"/> sie muß anschaulich, mannichfaltig, lebhaft seyn, 3) sie <lb n="p2c_593.011"/> muß am Ende eine vollkommene, begreifliche Totalität <lb n="p2c_593.012"/> darstellen, 4) sie muß das Gefühl einer Weltordnung <lb n="p2c_593.013"/> in uns erwecken, die sich nach unsern subjektiven Jdeen <lb n="p2c_593.014"/> von Zweckmäßigkeit richte.</p> <p><lb n="p2c_593.015"/><hi rendition="#g">Anmerk.</hi> Wenn also 1) scheinbar zufällige Begebenheiten <lb n="p2c_593.016"/> zu einer <hi rendition="#g">Handlung</hi> sich organisiren müssen, <lb n="p2c_593.017"/> wenn eine <hi rendition="#g">gesetzliche</hi> Einheit geahnt werden soll, so <lb n="p2c_593.018"/> kann diese in nichts anders bestehn, als in einem <hi rendition="#g">gewissen <lb n="p2c_593.019"/> Hauptzweck,</hi> auf den sich die Willensthätigkeit bezieht, <lb n="p2c_593.020"/> auf dessen Erreichung unsre Aufmerksamkeit gespannt <lb n="p2c_593.021"/> wird. Der <hi rendition="#g">Zweck</hi> mag an sich gut oder böse seyn, wenn er <lb n="p2c_593.022"/> nur <hi rendition="#g">wichtig</hi> ist, nur das höhere oder niedere Begehrungsvermögen <lb n="p2c_593.023"/> zu interessiren vermag. Derjenige, für dessen Hauptzweck <lb n="p2c_593.024"/> und Charakter wir uns interessiren, heißt der <hi rendition="#g">Held</hi> <lb n="p2c_593.025"/> der Geschichte. Damit aber die Handlung, die poetisch dargestellt </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [593/0117]
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§. 2.
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Da die dichterische Handlung (fabula) p2c_593.003
eine dargestellte Willensthätigkeit seyn soll, welche p2c_593.004
idealisirt als ein schönes Objekt erscheine, so muß p2c_593.005
sie alle vier Eigenschaften haben, die wir oben p2c_593.006
von einem Jdeale verlangten. Sie muß 1) ohne p2c_593.007
Zwang vor unsern Augen, wie ein bloßes Spiel des p2c_593.008
Zufalls entstehn und doch immer mehr eine gesetzliche p2c_593.009
Einheit ahnen lassen, nach der sie sich organisire, 2) p2c_593.010
sie muß anschaulich, mannichfaltig, lebhaft seyn, 3) sie p2c_593.011
muß am Ende eine vollkommene, begreifliche Totalität p2c_593.012
darstellen, 4) sie muß das Gefühl einer Weltordnung p2c_593.013
in uns erwecken, die sich nach unsern subjektiven Jdeen p2c_593.014
von Zweckmäßigkeit richte.
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Anmerk. Wenn also 1) scheinbar zufällige Begebenheiten p2c_593.016
zu einer Handlung sich organisiren müssen, p2c_593.017
wenn eine gesetzliche Einheit geahnt werden soll, so p2c_593.018
kann diese in nichts anders bestehn, als in einem gewissen p2c_593.019
Hauptzweck, auf den sich die Willensthätigkeit bezieht, p2c_593.020
auf dessen Erreichung unsre Aufmerksamkeit gespannt p2c_593.021
wird. Der Zweck mag an sich gut oder böse seyn, wenn er p2c_593.022
nur wichtig ist, nur das höhere oder niedere Begehrungsvermögen p2c_593.023
zu interessiren vermag. Derjenige, für dessen Hauptzweck p2c_593.024
und Charakter wir uns interessiren, heißt der Held p2c_593.025
der Geschichte. Damit aber die Handlung, die poetisch dargestellt
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