Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_579.001 p2c_579.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0103" n="579"/><lb n="p2c_579.001"/> ist, und eine Gemüthsstimmung ausdrückt. Die <lb n="p2c_579.002"/> Epistolarform findet sich zwar auch bey <hi rendition="#g">Lehrgedichten,</hi> <lb n="p2c_579.003"/> z. B. <hi rendition="#aq">Horat. de Arte poetic</hi>. Pope Versuch über den <lb n="p2c_579.004"/> Menschen. Allein eigentlich sind dies keine poetische Episteln, <lb n="p2c_579.005"/> denn der <hi rendition="#g">Hauptzweck</hi> ist die Darstellung eines <lb n="p2c_579.006"/> Systems, welches seiner zufälligen Form nach jemanden <lb n="p2c_579.007"/> dedicirt ist. Die <hi rendition="#g">Natur</hi> einer <hi rendition="#g">poetischen</hi> Epistel verlangt <lb n="p2c_579.008"/> eine freye vertrauliche Unterhaltung, ohne bestimmten <lb n="p2c_579.009"/> darstellenden Jnnhalt; hohen lyrischen Ton darf man also <lb n="p2c_579.010"/> hier nicht suchen. Vielmehr ist er dem Briefstyl zuwider. <lb n="p2c_579.011"/> Ja es scheint zu der poetischen Epistel im engen Sinn des <lb n="p2c_579.012"/> Worts, der <hi rendition="#g">Scherz</hi> nothwendig zu gehören. Denn es <lb n="p2c_579.013"/> ist schon eine Art Scherz darinnen, in vertrauten Situationen <lb n="p2c_579.014"/> des Lebens den poetischen Ton anzunehmen. Ovids <lb n="p2c_579.015"/> <hi rendition="#aq">Epistolae ex Ponto</hi> sind für wahre Elegieen nicht lyrisch <lb n="p2c_579.016"/> genug, und für poetische Briefe zu ernsthaft. Man kann <lb n="p2c_579.017"/> nicht begreifen, warum der Dichter gewöhnliche Klagen in <lb n="p2c_579.018"/> Gedichte bringe. Es fällt einem dabey die Geschichte aus <lb n="p2c_579.019"/> des Dichters Jugend ein, wie er bey den Schlägen seines <lb n="p2c_579.020"/> Vaters, der ihm die poetischen Grillen austreiben wollte, <lb n="p2c_579.021"/> unwillkührlich in einen Hexameter ausbrach. Eben so sind <lb n="p2c_579.022"/> Gottscheds und anderer pindarische Lobepisteln eine traurige <lb n="p2c_579.023"/> Jdee. Also muß der Dichter, der poetische Episteln <lb n="p2c_579.024"/> schreibt, mit einer Art Jronie über sich selbst seinen Einfall <lb n="p2c_579.025"/> durchführen. Wollte er auch den schwärmerischen Ton annehmen, <lb n="p2c_579.026"/> so muß doch eine gewisse Nüchternheit durchblicken, <lb n="p2c_579.027"/> mit der er sich selbst beurtheilt. Das <hi rendition="#g">Scherzhafte</hi> ist <lb n="p2c_579.028"/> in dieser Dichtungsart sonach als herrschender ästhetischer </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [579/0103]
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ist, und eine Gemüthsstimmung ausdrückt. Die p2c_579.002
Epistolarform findet sich zwar auch bey Lehrgedichten, p2c_579.003
z. B. Horat. de Arte poetic. Pope Versuch über den p2c_579.004
Menschen. Allein eigentlich sind dies keine poetische Episteln, p2c_579.005
denn der Hauptzweck ist die Darstellung eines p2c_579.006
Systems, welches seiner zufälligen Form nach jemanden p2c_579.007
dedicirt ist. Die Natur einer poetischen Epistel verlangt p2c_579.008
eine freye vertrauliche Unterhaltung, ohne bestimmten p2c_579.009
darstellenden Jnnhalt; hohen lyrischen Ton darf man also p2c_579.010
hier nicht suchen. Vielmehr ist er dem Briefstyl zuwider. p2c_579.011
Ja es scheint zu der poetischen Epistel im engen Sinn des p2c_579.012
Worts, der Scherz nothwendig zu gehören. Denn es p2c_579.013
ist schon eine Art Scherz darinnen, in vertrauten Situationen p2c_579.014
des Lebens den poetischen Ton anzunehmen. Ovids p2c_579.015
Epistolae ex Ponto sind für wahre Elegieen nicht lyrisch p2c_579.016
genug, und für poetische Briefe zu ernsthaft. Man kann p2c_579.017
nicht begreifen, warum der Dichter gewöhnliche Klagen in p2c_579.018
Gedichte bringe. Es fällt einem dabey die Geschichte aus p2c_579.019
des Dichters Jugend ein, wie er bey den Schlägen seines p2c_579.020
Vaters, der ihm die poetischen Grillen austreiben wollte, p2c_579.021
unwillkührlich in einen Hexameter ausbrach. Eben so sind p2c_579.022
Gottscheds und anderer pindarische Lobepisteln eine traurige p2c_579.023
Jdee. Also muß der Dichter, der poetische Episteln p2c_579.024
schreibt, mit einer Art Jronie über sich selbst seinen Einfall p2c_579.025
durchführen. Wollte er auch den schwärmerischen Ton annehmen, p2c_579.026
so muß doch eine gewisse Nüchternheit durchblicken, p2c_579.027
mit der er sich selbst beurtheilt. Das Scherzhafte ist p2c_579.028
in dieser Dichtungsart sonach als herrschender ästhetischer
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