p1c_031.001 als Homer und die Tragiker gedichtet hatten und die Poesie, p1c_031.002 eine Wundererscheinung der innern Geistesnatur, läßt sich p1c_031.003 nicht weissagen, am allerwenigsten läßt sie sich durch Demonstrationen p1c_031.004 erringen. Die Poesie ist ein Werk des Genius,p1c_031.005 und der Genius ist frey von den Fesseln der p1c_031.006 Grundsätze. Man übersetzt oft das französische belles p1c_031.007 lettres im Deutschen durch schöne Wissenschaften,p1c_031.008 eine süßlichte Pedanterie, dergleichen die Sprache mehr p1c_031.009 aufzuweisen hat. Eher wär's zu dulden, wenn man die Poesiep1c_031.010 selbst Wissenschaft des Schönen,Gaya ciencia (sagt p1c_031.011 der Trobador) nennte; denn der schaffende Geist weiß allein, p1c_031.012 wiewohl oft ohne lichtes Bewußtseyn, was er schaffen wird, nicht p1c_031.013 der reflektirende. Dieser kann nur betrachten, was geschaffen p1c_031.014 ist, aber es nicht ganz erklären, eben so wenig, als die p1c_031.015 Philosophie erklären kann das Daseyn der Welt, ohne sich p1c_031.016 mittelst der Religion an den Schöpfer anzuschmiegen. p1c_031.017 Gleichwohl soll Poetik auch mehr als bloße Kunde der p1c_031.018 Gedichte seyn, wenn sie gleich bis jetzt nichts anders p1c_031.019 gewesen ist. Sie ist eine Theorie, eine Betrachtung, p1c_031.020 zusammenhängend nach Vernunftgründen. Der Poetikerp1c_031.021 betrachtet die organischen Produkte des Geistes, nicht blos p1c_031.022 äußerlich, sondern wie der physiologische Botaniker die p1c_031.023 Pflanzen, und sucht in das Jnnere ihrer Organisation einzudringen. p1c_031.024 Die Poetik ist ein Theil der allgemeinen empirischen p1c_031.025 Psychologie, wie die ganze Aesthetik. Sie p1c_031.026 bedarf der Hypothesen zur Entwicklung ihrer Theorieen und p1c_031.027 diese Hypothesen nimmt sie aus der rationalen Psychologie.p1c_031.028 Die rationale Psychologie, oder
p1c_031.001 als Homer und die Tragiker gedichtet hatten und die Poesie, p1c_031.002 eine Wundererscheinung der innern Geistesnatur, läßt sich p1c_031.003 nicht weissagen, am allerwenigsten läßt sie sich durch Demonstrationen p1c_031.004 erringen. Die Poesie ist ein Werk des Genius,p1c_031.005 und der Genius ist frey von den Fesseln der p1c_031.006 Grundsätze. Man übersetzt oft das französische belles p1c_031.007 lettres im Deutschen durch schöne Wissenschaften,p1c_031.008 eine süßlichte Pedanterie, dergleichen die Sprache mehr p1c_031.009 aufzuweisen hat. Eher wär's zu dulden, wenn man die Poesiep1c_031.010 selbst Wissenschaft des Schönen,Gaya ciencia (sagt p1c_031.011 der Trobador) nennte; denn der schaffende Geist weiß allein, p1c_031.012 wiewohl oft ohne lichtes Bewußtseyn, was er schaffen wird, nicht p1c_031.013 der reflektirende. Dieser kann nur betrachten, was geschaffen p1c_031.014 ist, aber es nicht ganz erklären, eben so wenig, als die p1c_031.015 Philosophie erklären kann das Daseyn der Welt, ohne sich p1c_031.016 mittelst der Religion an den Schöpfer anzuschmiegen. p1c_031.017 Gleichwohl soll Poetik auch mehr als bloße Kunde der p1c_031.018 Gedichte seyn, wenn sie gleich bis jetzt nichts anders p1c_031.019 gewesen ist. Sie ist eine Theorie, eine Betrachtung, p1c_031.020 zusammenhängend nach Vernunftgründen. Der Poetikerp1c_031.021 betrachtet die organischen Produkte des Geistes, nicht blos p1c_031.022 äußerlich, sondern wie der physiologische Botaniker die p1c_031.023 Pflanzen, und sucht in das Jnnere ihrer Organisation einzudringen. p1c_031.024 Die Poetik ist ein Theil der allgemeinen empirischen p1c_031.025 Psychologie, wie die ganze Aesthetik. Sie p1c_031.026 bedarf der Hypothesen zur Entwicklung ihrer Theorieen und p1c_031.027 diese Hypothesen nimmt sie aus der rationalen Psychologie.p1c_031.028 Die rationale Psychologie, oder
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/89>, abgerufen am 25.11.2024.
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