Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_416.001
, und dann auch aus dem Grunde, weil die zwey p1c_416.002
Kürzen eine größere Mannichfaltigkeit und Geschwindigkeit p1c_416.003
geben. Hier ist zu merken: a) der heroische Hexameter, p1c_416.004
ein sehr altes Metrum, das bey den Griechen zeitig zu Aufschriften, p1c_416.005
Orakelsprüchen und Sentenzen gebraucht ward. p1c_416.006
Dem Ennius konnte es nicht schwer werden, es in die römische p1c_416.007
Dichtkunst einzuführen, da es auch in dem alten Saturnischen p1c_416.008
Maaße zum Theil schon mit enthalten war. Der p1c_416.009
Daktylus ist hier herrschend. Sein Gang wird fünfmal wiederholt p1c_416.010
und mit einem Spondäen geschlossen. Der jambische p1c_416.011
Takt ist wegen seines schnellen und starken Jctus, wie p1c_416.012
Horaz sagt, natus rebus agendis. Der langsamere Takt p1c_416.013
des Daktylus und Spondäen paßt fürs Heldengedicht, wo p1c_416.014
schon ruhiger erzählt und weniger gehandelt wird. Die p1c_416.015
lange Sylbe, mit welcher der Vers beginnt, giebt ihm eine p1c_416.016
besondere Würde. Die Deutschen, z. B. Kleist in seinem p1c_416.017
Frühling, haben amphibrachische Hexameter eingeführt mit p1c_416.018
einem kurzen Auftakt, z. B. "Empfangt mich heilige Schatten p1c_416.019
ihr hohen belaubten Gewölbe." Allein dann kann leicht p1c_416.020
ein Vers in den andern hinüber gezogen werden, weil bey p1c_416.021
uns wir oft mit Trochäen schließen. Man weiß also oft p1c_416.022
nicht, wenn der Vers angeht. Der Auftakt muß in der p1c_416.023
Fortdauer ermüden, er nimmt dem Hexameter ganz seinen p1c_416.024
majestätischen Gang, und verwandelt ihn in eine amphibrachische p1c_416.025
Versart, welche etwas Schlüpfriges und Weichliches p1c_416.026
hat. Daher möchte dieser Hexameter nur für lyrische p1c_416.027
Gedichte passen, wo er mit kürzern Versen abwechselt,

p1c_416.001
, und dann auch aus dem Grunde, weil die zwey p1c_416.002
Kürzen eine größere Mannichfaltigkeit und Geschwindigkeit p1c_416.003
geben. Hier ist zu merken: a) der heroische Hexameter, p1c_416.004
ein sehr altes Metrum, das bey den Griechen zeitig zu Aufschriften, p1c_416.005
Orakelsprüchen und Sentenzen gebraucht ward. p1c_416.006
Dem Ennius konnte es nicht schwer werden, es in die römische p1c_416.007
Dichtkunst einzuführen, da es auch in dem alten Saturnischen p1c_416.008
Maaße zum Theil schon mit enthalten war. Der p1c_416.009
Daktylus ist hier herrschend. Sein Gang wird fünfmal wiederholt p1c_416.010
und mit einem Spondäen geschlossen. Der jambische p1c_416.011
Takt ist wegen seines schnellen und starken Jctus, wie p1c_416.012
Horaz sagt, natus rebus agendis. Der langsamere Takt p1c_416.013
des Daktylus und Spondäen paßt fürs Heldengedicht, wo p1c_416.014
schon ruhiger erzählt und weniger gehandelt wird. Die p1c_416.015
lange Sylbe, mit welcher der Vers beginnt, giebt ihm eine p1c_416.016
besondere Würde. Die Deutschen, z. B. Kleist in seinem p1c_416.017
Frühling, haben amphibrachische Hexameter eingeführt mit p1c_416.018
einem kurzen Auftakt, z. B. „Ĕmpfangt mich heilige Schatten p1c_416.019
ihr hohen belaubten Gewölbe.“ Allein dann kann leicht p1c_416.020
ein Vers in den andern hinüber gezogen werden, weil bey p1c_416.021
uns wir oft mit Trochäen schließen. Man weiß also oft p1c_416.022
nicht, wenn der Vers angeht. Der Auftakt muß in der p1c_416.023
Fortdauer ermüden, er nimmt dem Hexameter ganz seinen p1c_416.024
majestätischen Gang, und verwandelt ihn in eine amphibrachische p1c_416.025
Versart, welche etwas Schlüpfriges und Weichliches p1c_416.026
hat. Daher möchte dieser Hexameter nur für lyrische p1c_416.027
Gedichte passen, wo er mit kürzern Versen abwechselt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0474" n="416"/><lb n="p1c_416.001"/>
, und dann auch aus dem Grunde, weil die zwey <lb n="p1c_416.002"/>
Kürzen eine größere Mannichfaltigkeit und Geschwindigkeit <lb n="p1c_416.003"/>
geben. Hier ist zu merken: <hi rendition="#aq">a</hi>) der heroische Hexameter, <lb n="p1c_416.004"/>
ein sehr altes Metrum, das bey den Griechen zeitig zu Aufschriften, <lb n="p1c_416.005"/>
Orakelsprüchen und Sentenzen gebraucht ward. <lb n="p1c_416.006"/>
Dem Ennius konnte es nicht schwer werden, es in die römische <lb n="p1c_416.007"/>
Dichtkunst einzuführen, da es auch in dem alten Saturnischen <lb n="p1c_416.008"/>
Maaße zum Theil schon mit enthalten war. Der <lb n="p1c_416.009"/>
Daktylus ist hier herrschend. Sein Gang wird fünfmal wiederholt <lb n="p1c_416.010"/>
und mit einem Spondäen geschlossen. Der jambische <lb n="p1c_416.011"/>
Takt ist wegen seines schnellen und starken Jctus, wie <lb n="p1c_416.012"/>
Horaz sagt, <hi rendition="#aq">natus rebus agendis</hi>. Der langsamere Takt <lb n="p1c_416.013"/>
des Daktylus und Spondäen paßt fürs Heldengedicht, wo <lb n="p1c_416.014"/>
schon ruhiger erzählt und weniger gehandelt wird. Die <lb n="p1c_416.015"/>
lange Sylbe, mit welcher der Vers beginnt, giebt ihm eine <lb n="p1c_416.016"/>
besondere Würde. Die Deutschen, z. B. Kleist in seinem <lb n="p1c_416.017"/>
Frühling, haben amphibrachische Hexameter eingeführt mit <lb n="p1c_416.018"/>
einem kurzen Auftakt, z. B. &#x201E;&#x0114;mpfangt mich heilige Schatten <lb n="p1c_416.019"/>
ihr hohen belaubten Gewölbe.&#x201C; Allein dann kann leicht <lb n="p1c_416.020"/>
ein Vers in den andern hinüber gezogen werden, weil bey <lb n="p1c_416.021"/>
uns wir oft mit Trochäen schließen. Man weiß also oft <lb n="p1c_416.022"/>
nicht, wenn der Vers angeht. Der Auftakt muß in der <lb n="p1c_416.023"/>
Fortdauer ermüden, er nimmt dem Hexameter ganz seinen <lb n="p1c_416.024"/>
majestätischen Gang, und verwandelt ihn in eine amphibrachische <lb n="p1c_416.025"/>
Versart, welche etwas Schlüpfriges und Weichliches <lb n="p1c_416.026"/>
hat. Daher möchte dieser Hexameter nur für <hi rendition="#g">lyrische</hi> <lb n="p1c_416.027"/>
Gedichte passen, wo er mit kürzern Versen abwechselt,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[416/0474] p1c_416.001 , und dann auch aus dem Grunde, weil die zwey p1c_416.002 Kürzen eine größere Mannichfaltigkeit und Geschwindigkeit p1c_416.003 geben. Hier ist zu merken: a) der heroische Hexameter, p1c_416.004 ein sehr altes Metrum, das bey den Griechen zeitig zu Aufschriften, p1c_416.005 Orakelsprüchen und Sentenzen gebraucht ward. p1c_416.006 Dem Ennius konnte es nicht schwer werden, es in die römische p1c_416.007 Dichtkunst einzuführen, da es auch in dem alten Saturnischen p1c_416.008 Maaße zum Theil schon mit enthalten war. Der p1c_416.009 Daktylus ist hier herrschend. Sein Gang wird fünfmal wiederholt p1c_416.010 und mit einem Spondäen geschlossen. Der jambische p1c_416.011 Takt ist wegen seines schnellen und starken Jctus, wie p1c_416.012 Horaz sagt, natus rebus agendis. Der langsamere Takt p1c_416.013 des Daktylus und Spondäen paßt fürs Heldengedicht, wo p1c_416.014 schon ruhiger erzählt und weniger gehandelt wird. Die p1c_416.015 lange Sylbe, mit welcher der Vers beginnt, giebt ihm eine p1c_416.016 besondere Würde. Die Deutschen, z. B. Kleist in seinem p1c_416.017 Frühling, haben amphibrachische Hexameter eingeführt mit p1c_416.018 einem kurzen Auftakt, z. B. „Ĕmpfangt mich heilige Schatten p1c_416.019 ihr hohen belaubten Gewölbe.“ Allein dann kann leicht p1c_416.020 ein Vers in den andern hinüber gezogen werden, weil bey p1c_416.021 uns wir oft mit Trochäen schließen. Man weiß also oft p1c_416.022 nicht, wenn der Vers angeht. Der Auftakt muß in der p1c_416.023 Fortdauer ermüden, er nimmt dem Hexameter ganz seinen p1c_416.024 majestätischen Gang, und verwandelt ihn in eine amphibrachische p1c_416.025 Versart, welche etwas Schlüpfriges und Weichliches p1c_416.026 hat. Daher möchte dieser Hexameter nur für lyrische p1c_416.027 Gedichte passen, wo er mit kürzern Versen abwechselt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/474
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/474>, abgerufen am 07.06.2024.