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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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ladet durch den Hain." Dies geht bey lyrischen Gedichten. p1c_412.002
Bey längern erzählenden Versen würde es eben so monoton p1c_412.003
seyn. Einige haben andre Cäsuren vorgeschlagen. Voltaire p1c_412.004
soll seine Alexandriner nach mehrern Ruhepunkten ungefähr p1c_412.005
so scandirt haben: Mais lorsqu' enfin les eaux p1c_412.006
de la Seine captive - Cesserent d'apporter dans p1c_412.007
ce vaste sejour - l'ordinaire tribut des moissons p1c_412.008
d'alentour - ´Alors on entendit des hurlemens affreux p1c_412.009
- ce superbe Paris fut plein de malheureux
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u. s. w. Man sieht hieraus, daß er den Alexandriner nicht p1c_412.011
als eine jambische Versart, sondern als mehrere freye metrische p1c_412.012
Reihen angesehen und sie rhythmisch getheilt hat. p1c_412.013
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. Durch die Stellung des Accents in p1c_412.015
Cesserent d'apporter und Paris wird die Hauptcäsur p1c_412.016
weiblich. Auch ist es für den Sinn natürlicher so zu accentuiren, p1c_412.017
als apporter. Sollte über dem Alexandriner ein p1c_412.018
Endurtheil gefällt werden, so würden wohl folgendes die p1c_412.019
Hauptmomente seyn, auf die man Rücksicht zu nehmen p1c_412.020
hätte. Der Reim, den er bey sich führt, und welcher, p1c_412.021
wie wir bewiesen haben, kleine lyrische Verse ausgenommen, p1c_412.022
sich schlechterdings nicht mit dem genauen Metrum, sondern p1c_412.023
mit einem freyern Rhythmus verträgt, macht es unmöglich, p1c_412.024
daß man diese Versart, wie Ramler im Batteux und andere, p1c_412.025
durchaus als einen Senarius ansehe. Der Alexandriner p1c_412.026
ist nach keiner Quantität zu messen, sondern es ist p1c_412.027
ein Vers von einer gewissen Zahl Sylben ohne alle Quantität

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ladet durch den Hain.“ Dies geht bey lyrischen Gedichten. p1c_412.002
Bey längern erzählenden Versen würde es eben so monoton p1c_412.003
seyn. Einige haben andre Cäsuren vorgeschlagen. Voltaire p1c_412.004
soll seine Alexandriner nach mehrern Ruhepunkten ungefähr p1c_412.005
so scandirt haben: Maís lorsqu' enfin les eáux p1c_412.006
de la Seíne cáptive ─ Césserent d'appórter dans p1c_412.007
ce váste sejoúr ─ l'ordinaíre tribút des moissóns p1c_412.008
d'alentoúr ─ ´Alors on enténdit des hurleméns affreúx p1c_412.009
─ ce supérbe Páris fut pleín de malheureux
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u. s. w. Man sieht hieraus, daß er den Alexandriner nicht p1c_412.011
als eine jambische Versart, sondern als mehrere freye metrische p1c_412.012
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Es kommen Anapästen vor, z. B. dĕ lă Sēine – vastĕ p1c_412.014
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. Durch die Stellung des Accents in p1c_412.015
Cesserent d'appórter und Paris wird die Hauptcäsur p1c_412.016
weiblich. Auch ist es für den Sinn natürlicher so zu accentuiren, p1c_412.017
als apportér. Sollte über dem Alexandriner ein p1c_412.018
Endurtheil gefällt werden, so würden wohl folgendes die p1c_412.019
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durchaus als einen Senarius ansehe. Der Alexandriner p1c_412.026
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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/470>, abgerufen am 07.06.2024.