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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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was der Grammatiker die Tropen nennt. Die Sprache p1c_250.002
des Dichters soll aber nicht gerade von Tropen wimmeln, p1c_250.003
die schon da sind. Denn schon vorhandene Tropen p1c_250.004
sind bereits geschaffen, sind nach und nach ins Eigenthümliche p1c_250.005
übergegangen. Sie soll tropisch seyn. Sie soll eine p1c_250.006
unendliche Ausdehnung der Worte vornehmen, die uns p1c_250.007
an das Jndividuelle erinnert, und zuletzt durch die herrschende p1c_250.008
Hauptidee einen Schein vom Jdealen erregt.

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Anmerk. 2. Die Lehre von den Tropen, in wiefern p1c_250.010
sie schon da sind, gehört, wie Marsais richtig bemerkt, p1c_250.011
in die Grammatik. Allein das Verfahren der Sprache, die p1c_250.012
sich durch Tropen gleichsam wie durch Revolutionen organisirt, p1c_250.013
ist poetisch, und muß also von der Poetik beleuchtet p1c_250.014
werden. Eigentlich gehört das Tropische hierher nur, in p1c_250.015
so fern es der poetischen Sprache Ausdehnung giebt. p1c_250.016
Das Gefühl der Ausdehnung einer Sprache, und in so p1c_250.017
fern auch des menschlichen Geistes wird beym tropischen p1c_250.018
Reden dadurch erreicht, daß das Eigenthümliche p1c_250.019
mit dem Fremden verbunden dargestellt wird. Auf diese p1c_250.020
Art wird sich der menschliche Geist aller der dazwischen liegenden p1c_250.021
Jdeenassociationen bewußt, welche eine solche Verbindung p1c_250.022
rechtfertigen. Gleich wie es nach den oben festgestellten p1c_250.023
Grundsätzen drey Verstandeshandlungen giebt, p1c_250.024
1) ein Anerkennen und Begreifen (Thesis), Vereinigung p1c_250.025
von Anschauungen zu einem Gegenstand, 2) ein Reflektiren, p1c_250.026
Vergleichen, welches in der Zeit nach einander geschieht, p1c_250.027
ein Ordnen mehrerer Gegenstände (Antithesis), 3) ein

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was der Grammatiker die Tropen nennt. Die Sprache p1c_250.002
des Dichters soll aber nicht gerade von Tropen wimmeln, p1c_250.003
die schon da sind. Denn schon vorhandene Tropen p1c_250.004
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übergegangen. Sie soll tropisch seyn. Sie soll eine p1c_250.006
unendliche Ausdehnung der Worte vornehmen, die uns p1c_250.007
an das Jndividuelle erinnert, und zuletzt durch die herrschende p1c_250.008
Hauptidee einen Schein vom Jdealen erregt.

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Anmerk. 2. Die Lehre von den Tropen, in wiefern p1c_250.010
sie schon da sind, gehört, wie Marsais richtig bemerkt, p1c_250.011
in die Grammatik. Allein das Verfahren der Sprache, die p1c_250.012
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ist poetisch, und muß also von der Poetik beleuchtet p1c_250.014
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so fern es der poetischen Sprache Ausdehnung giebt. p1c_250.016
Das Gefühl der Ausdehnung einer Sprache, und in so p1c_250.017
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Reden dadurch erreicht, daß das Eigenthümliche p1c_250.019
mit dem Fremden verbunden dargestellt wird. Auf diese p1c_250.020
Art wird sich der menschliche Geist aller der dazwischen liegenden p1c_250.021
Jdeenassociationen bewußt, welche eine solche Verbindung p1c_250.022
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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/308>, abgerufen am 12.06.2024.