p1c_068.001 bewirkt, welches auch kleinmüthige Seelen fühlen, sondern p1c_068.002 tritt erst mit der Erhebung ein, wenn die Auflösung des p1c_068.003 schwierigen Kontrasts geschieht, wenn das Gefühl der Harmonie p1c_068.004 erreicht ist. Das höhere Schöne entlockt uns Thränen,p1c_068.005 aber es sind nicht Thränen des Jammers, der überhaupt p1c_068.006 an sich nie schön ist, weil er den Menschen nicht über p1c_068.007 sein Bedürfniß und Nothdurft erhebt. Es sind Thränen der p1c_068.008 Freude. Man weint im Schauspiel, nicht bey der Verwickelung, p1c_068.009 sondern im Augenblick der Entwickelung, wenn p1c_068.010 das Unmögliche möglich wird, oder wenn der Held sich über p1c_068.011 sein Schicksal erhebt. Wenn ein sterbender Held in der Erzählung p1c_068.012 des Ossians wünscht, daß die Stimme von Cona p1c_068.013 (Ossian, der von ihm fern war) zu seinem Lobe sich erheben p1c_068.014 möge, Ossian nun sich selbst lyrisch in die Erzählung mischt, p1c_068.015 und mit den Worten einfällt: und meine Stimmep1c_068.016 soll dich loben, so weint man über die Harmonie, über das p1c_068.017 herrliche Zusammentreffen der Umstände. Man wird gerührt p1c_068.018 durch den Uebergang in Klopstocks Frühlingsfeyer bey der p1c_068.019 Schilderung des Gewitters: "Und der geschmetterte Wald p1c_068.020 dampft ... Aber nicht unsre Hütte. Unser Vater gebot p1c_068.021 seinem Verderber bey unsrer Hütte vorüberzugehn." Warum? p1c_068.022 weil der niedergeschlagene Geist durch den kindlichen p1c_068.023 Glauben erhoben wird. Oft bey dem Grausenden und p1c_068.024 Wildromantischen scheint das höhere Schöne uns p1c_068.025 mehr niederzuschlagen, als zu erheben, z. B. wenn sich ein p1c_068.026 Mensch, wie in einer gewissen morgenländischen Erzählung, p1c_068.027 fern von den letzten Sternen der Schöpfung in die Urnacht p1c_068.028 verwiesen träumt. Warum hören aber selbst schon Kinder
p1c_068.001 bewirkt, welches auch kleinmüthige Seelen fühlen, sondern p1c_068.002 tritt erst mit der Erhebung ein, wenn die Auflösung des p1c_068.003 schwierigen Kontrasts geschieht, wenn das Gefühl der Harmonie p1c_068.004 erreicht ist. Das höhere Schöne entlockt uns Thränen,p1c_068.005 aber es sind nicht Thränen des Jammers, der überhaupt p1c_068.006 an sich nie schön ist, weil er den Menschen nicht über p1c_068.007 sein Bedürfniß und Nothdurft erhebt. Es sind Thränen der p1c_068.008 Freude. Man weint im Schauspiel, nicht bey der Verwickelung, p1c_068.009 sondern im Augenblick der Entwickelung, wenn p1c_068.010 das Unmögliche möglich wird, oder wenn der Held sich über p1c_068.011 sein Schicksal erhebt. Wenn ein sterbender Held in der Erzählung p1c_068.012 des Ossians wünscht, daß die Stimme von Cona p1c_068.013 (Ossian, der von ihm fern war) zu seinem Lobe sich erheben p1c_068.014 möge, Ossian nun sich selbst lyrisch in die Erzählung mischt, p1c_068.015 und mit den Worten einfällt: und meine Stimmep1c_068.016 soll dich loben, so weint man über die Harmonie, über das p1c_068.017 herrliche Zusammentreffen der Umstände. Man wird gerührt p1c_068.018 durch den Uebergang in Klopstocks Frühlingsfeyer bey der p1c_068.019 Schilderung des Gewitters: „Und der geschmetterte Wald p1c_068.020 dampft ... Aber nicht unsre Hütte. Unser Vater gebot p1c_068.021 seinem Verderber bey unsrer Hütte vorüberzugehn.“ Warum? p1c_068.022 weil der niedergeschlagene Geist durch den kindlichen p1c_068.023 Glauben erhoben wird. Oft bey dem Grausenden und p1c_068.024 Wildromantischen scheint das höhere Schöne uns p1c_068.025 mehr niederzuschlagen, als zu erheben, z. B. wenn sich ein p1c_068.026 Mensch, wie in einer gewissen morgenländischen Erzählung, p1c_068.027 fern von den letzten Sternen der Schöpfung in die Urnacht p1c_068.028 verwiesen träumt. Warum hören aber selbst schon Kinder
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/126>, abgerufen am 23.11.2024.
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