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Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Will man uns erlauben einen Hülfsbegriff aus der
Natur herbeizurufen, so werden wir uns kürzer fassen
können.

Es ist die Zeit welche in der Körperwelt jede Kraft
braucht um sich wirksam zu zeigen. Eine Kraft, die
hinreichend wäre einen bewegten Körper aufzuhalten, wenn sie
langsam und nach und nach angewendet wird, wird von ihm
überwältigt werden wenn es an Zeit fehlt. Dieses Gesetz
der Körperwelt ist ein treffendes Bild für manche Erscheinung
unseres inneren Lebens. Sind wir einmal zu einer ge-
wissen Richtung des Gedankenzuges angeregt, so ist nicht
jeder an sich hinreichende Grund im Stande eine Verän-
derung oder ein Innehalten hervorzubringen. Es ist Zeit,
Ruhe, nachhaltiger Eindruck des Bewußtseins erforderlich.
So ist es auch im Kriege. Hat die Seele einmal eine be-
stimmte Richtung fort zum Ziele oder zurückgewendet nach
einem Rettungshafen, so geschieht es leicht, daß die Gründe,
welche den Einen zum Innehalten nöthigen, den Anderen
zum Unternehmen berechtigen, nicht leicht in ihrer ganzen
Stärke gefühlt werden, und da die Handlung indeß fort-
schreitet, so kommt man im Strom der Bewegung über
die Grenze des Gleichgewichts, über die Kulminationslinie
hinaus ohne es gewahr zu werden; ja es kann geschehen
daß dem Angreifenden, unterstützt von den moralischen
Kräften, die vorzugsweise im Angriff liegen, das Weiter-
schreiten trotz der erschöpften Kraft weniger beschwerlich
wird als das Innehalten, so wie Pferden welche eine Last
den Berg hinauf ziehen. Hiermit glauben wir nun ohne
inneren Widerspruch gezeigt zu haben, wie der Angreifende
über denjenigen Punkt hinaus kommen kann, der ihm im
Augenblick des Innehaltens und der Vertheidigung noch

Will man uns erlauben einen Huͤlfsbegriff aus der
Natur herbeizurufen, ſo werden wir uns kuͤrzer faſſen
koͤnnen.

Es iſt die Zeit welche in der Koͤrperwelt jede Kraft
braucht um ſich wirkſam zu zeigen. Eine Kraft, die
hinreichend waͤre einen bewegten Koͤrper aufzuhalten, wenn ſie
langſam und nach und nach angewendet wird, wird von ihm
uͤberwaͤltigt werden wenn es an Zeit fehlt. Dieſes Geſetz
der Koͤrperwelt iſt ein treffendes Bild fuͤr manche Erſcheinung
unſeres inneren Lebens. Sind wir einmal zu einer ge-
wiſſen Richtung des Gedankenzuges angeregt, ſo iſt nicht
jeder an ſich hinreichende Grund im Stande eine Veraͤn-
derung oder ein Innehalten hervorzubringen. Es iſt Zeit,
Ruhe, nachhaltiger Eindruck des Bewußtſeins erforderlich.
So iſt es auch im Kriege. Hat die Seele einmal eine be-
ſtimmte Richtung fort zum Ziele oder zuruͤckgewendet nach
einem Rettungshafen, ſo geſchieht es leicht, daß die Gruͤnde,
welche den Einen zum Innehalten noͤthigen, den Anderen
zum Unternehmen berechtigen, nicht leicht in ihrer ganzen
Staͤrke gefuͤhlt werden, und da die Handlung indeß fort-
ſchreitet, ſo kommt man im Strom der Bewegung uͤber
die Grenze des Gleichgewichts, uͤber die Kulminationslinie
hinaus ohne es gewahr zu werden; ja es kann geſchehen
daß dem Angreifenden, unterſtuͤtzt von den moraliſchen
Kraͤften, die vorzugsweiſe im Angriff liegen, das Weiter-
ſchreiten trotz der erſchoͤpften Kraft weniger beſchwerlich
wird als das Innehalten, ſo wie Pferden welche eine Laſt
den Berg hinauf ziehen. Hiermit glauben wir nun ohne
inneren Widerſpruch gezeigt zu haben, wie der Angreifende
uͤber denjenigen Punkt hinaus kommen kann, der ihm im
Augenblick des Innehaltens und der Vertheidigung noch

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[84/0098] Will man uns erlauben einen Huͤlfsbegriff aus der Natur herbeizurufen, ſo werden wir uns kuͤrzer faſſen koͤnnen. Es iſt die Zeit welche in der Koͤrperwelt jede Kraft braucht um ſich wirkſam zu zeigen. Eine Kraft, die hinreichend waͤre einen bewegten Koͤrper aufzuhalten, wenn ſie langſam und nach und nach angewendet wird, wird von ihm uͤberwaͤltigt werden wenn es an Zeit fehlt. Dieſes Geſetz der Koͤrperwelt iſt ein treffendes Bild fuͤr manche Erſcheinung unſeres inneren Lebens. Sind wir einmal zu einer ge- wiſſen Richtung des Gedankenzuges angeregt, ſo iſt nicht jeder an ſich hinreichende Grund im Stande eine Veraͤn- derung oder ein Innehalten hervorzubringen. Es iſt Zeit, Ruhe, nachhaltiger Eindruck des Bewußtſeins erforderlich. So iſt es auch im Kriege. Hat die Seele einmal eine be- ſtimmte Richtung fort zum Ziele oder zuruͤckgewendet nach einem Rettungshafen, ſo geſchieht es leicht, daß die Gruͤnde, welche den Einen zum Innehalten noͤthigen, den Anderen zum Unternehmen berechtigen, nicht leicht in ihrer ganzen Staͤrke gefuͤhlt werden, und da die Handlung indeß fort- ſchreitet, ſo kommt man im Strom der Bewegung uͤber die Grenze des Gleichgewichts, uͤber die Kulminationslinie hinaus ohne es gewahr zu werden; ja es kann geſchehen daß dem Angreifenden, unterſtuͤtzt von den moraliſchen Kraͤften, die vorzugsweiſe im Angriff liegen, das Weiter- ſchreiten trotz der erſchoͤpften Kraft weniger beſchwerlich wird als das Innehalten, ſo wie Pferden welche eine Laſt den Berg hinauf ziehen. Hiermit glauben wir nun ohne inneren Widerſpruch gezeigt zu haben, wie der Angreifende uͤber denjenigen Punkt hinaus kommen kann, der ihm im Augenblick des Innehaltens und der Vertheidigung noch

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Zitationshilfe: Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/98>, abgerufen am 24.11.2024.