mehr zu einem bloßen Geschäft der Regierung machte und dem Interesse des Volkes noch mehr entfremdete. Der Kriegsplan eines Staates bestand in dieser Zeit, wenn er der Angreifende war, meistens darin, sich einer oder der andern feindlichen Provinz zu bemächtigen; wenn er der Vertheidigende war, dies zu verhindern; der einzelne Feldzugsplan: die eine oder die andere feindliche Festung zu erobern, oder die Eroberung einer eigenen zu verhin- dern; nur wenn dazu eine Schlacht unvermeidlich war, wurde sie gesucht und geliefert. Wer ohne diese Unver- meidlichkeit eine Schlacht aus bloßem innern Siegesdrange suchte, galt für einen kecken Feldherrn. Gewöhnlich ver- strich der Feldzug über einer Belagerung, oder wenn es hoch kam, über zwei, und die Winterquartiere, die wie eine neutrale Nothwendigkeit betrachtet wurden, in welchen die schlechte Verfassung des Einen niemals ein Vortheil des Andern werden konnte, in welchen die gegenseitigen Beziehungen Beider fast gänzlich aufhörten, ich sage die Winterquartiere bildeten eine bestimmte Abgränzung der Thätigkeit, welche in einem Feldzuge statthaben sollte.
Waren die Kräfte zu sehr im Gleichgewicht oder war der Unternehmende von Beiden entschieden der Schwächere, so kam es auch nicht zur Schlacht und Belagerung, und dann drehte sich die ganze Thätigkeit eines Feldzuges um Erhaltung gewisser Stellungen und Magazine und die regelmäßige Auszehrung gewisser Gegenden.
So lange der Krieg allgemein so geführt wurde und die natürlichen Beschränkungen seiner Gewalt immer so nahe und sichtbar waren, fand Niemand darin etwas Widersprechendes, sondern Alles in der schönsten Ordnung, und die Kritik, welche im achtzehnten Jahrhundert anfing das Feld der Kriegskunst zu besuchen, richtete sich auf das
8*
mehr zu einem bloßen Geſchaͤft der Regierung machte und dem Intereſſe des Volkes noch mehr entfremdete. Der Kriegsplan eines Staates beſtand in dieſer Zeit, wenn er der Angreifende war, meiſtens darin, ſich einer oder der andern feindlichen Provinz zu bemaͤchtigen; wenn er der Vertheidigende war, dies zu verhindern; der einzelne Feldzugsplan: die eine oder die andere feindliche Feſtung zu erobern, oder die Eroberung einer eigenen zu verhin- dern; nur wenn dazu eine Schlacht unvermeidlich war, wurde ſie geſucht und geliefert. Wer ohne dieſe Unver- meidlichkeit eine Schlacht aus bloßem innern Siegesdrange ſuchte, galt fuͤr einen kecken Feldherrn. Gewoͤhnlich ver- ſtrich der Feldzug uͤber einer Belagerung, oder wenn es hoch kam, uͤber zwei, und die Winterquartiere, die wie eine neutrale Nothwendigkeit betrachtet wurden, in welchen die ſchlechte Verfaſſung des Einen niemals ein Vortheil des Andern werden konnte, in welchen die gegenſeitigen Beziehungen Beider faſt gaͤnzlich aufhoͤrten, ich ſage die Winterquartiere bildeten eine beſtimmte Abgraͤnzung der Thaͤtigkeit, welche in einem Feldzuge ſtatthaben ſollte.
Waren die Kraͤfte zu ſehr im Gleichgewicht oder war der Unternehmende von Beiden entſchieden der Schwaͤchere, ſo kam es auch nicht zur Schlacht und Belagerung, und dann drehte ſich die ganze Thaͤtigkeit eines Feldzuges um Erhaltung gewiſſer Stellungen und Magazine und die regelmaͤßige Auszehrung gewiſſer Gegenden.
So lange der Krieg allgemein ſo gefuͤhrt wurde und die natuͤrlichen Beſchraͤnkungen ſeiner Gewalt immer ſo nahe und ſichtbar waren, fand Niemand darin etwas Widerſprechendes, ſondern Alles in der ſchoͤnſten Ordnung, und die Kritik, welche im achtzehnten Jahrhundert anfing das Feld der Kriegskunſt zu beſuchen, richtete ſich auf das
8*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0129"n="115"/>
mehr zu einem bloßen Geſchaͤft der Regierung machte<lb/>
und dem Intereſſe des Volkes noch mehr entfremdete.<lb/>
Der Kriegsplan eines Staates beſtand in dieſer Zeit, wenn<lb/>
er der Angreifende war, meiſtens darin, ſich einer oder der<lb/>
andern feindlichen Provinz zu bemaͤchtigen; wenn er der<lb/>
Vertheidigende war, dies zu verhindern; der einzelne<lb/>
Feldzugsplan: die eine oder die andere feindliche Feſtung<lb/>
zu erobern, oder die Eroberung einer eigenen zu verhin-<lb/>
dern; nur wenn dazu eine Schlacht unvermeidlich war,<lb/>
wurde ſie geſucht und geliefert. Wer ohne dieſe Unver-<lb/>
meidlichkeit eine Schlacht aus bloßem innern Siegesdrange<lb/>ſuchte, galt fuͤr einen kecken Feldherrn. Gewoͤhnlich ver-<lb/>ſtrich der Feldzug uͤber einer Belagerung, oder wenn es<lb/>
hoch kam, uͤber zwei, und die Winterquartiere, die wie<lb/>
eine neutrale Nothwendigkeit betrachtet wurden, in welchen<lb/>
die ſchlechte Verfaſſung des Einen niemals ein Vortheil<lb/>
des Andern werden konnte, in welchen die gegenſeitigen<lb/>
Beziehungen Beider faſt gaͤnzlich aufhoͤrten, ich ſage die<lb/>
Winterquartiere bildeten eine beſtimmte Abgraͤnzung der<lb/>
Thaͤtigkeit, welche in einem Feldzuge ſtatthaben ſollte.</p><lb/><p>Waren die Kraͤfte zu ſehr im Gleichgewicht oder war<lb/>
der Unternehmende von Beiden entſchieden der Schwaͤchere,<lb/>ſo kam es auch nicht zur Schlacht und Belagerung, und<lb/>
dann drehte ſich die ganze Thaͤtigkeit eines Feldzuges um<lb/>
Erhaltung gewiſſer Stellungen und Magazine und die<lb/>
regelmaͤßige Auszehrung gewiſſer Gegenden.</p><lb/><p>So lange der Krieg allgemein ſo gefuͤhrt wurde und<lb/>
die natuͤrlichen Beſchraͤnkungen ſeiner Gewalt immer ſo<lb/>
nahe und ſichtbar waren, fand Niemand darin etwas<lb/>
Widerſprechendes, ſondern Alles in der ſchoͤnſten Ordnung,<lb/>
und die Kritik, welche im achtzehnten Jahrhundert anfing<lb/>
das Feld der Kriegskunſt zu beſuchen, richtete ſich auf das<lb/><fwplace="bottom"type="sig">8*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[115/0129]
mehr zu einem bloßen Geſchaͤft der Regierung machte
und dem Intereſſe des Volkes noch mehr entfremdete.
Der Kriegsplan eines Staates beſtand in dieſer Zeit, wenn
er der Angreifende war, meiſtens darin, ſich einer oder der
andern feindlichen Provinz zu bemaͤchtigen; wenn er der
Vertheidigende war, dies zu verhindern; der einzelne
Feldzugsplan: die eine oder die andere feindliche Feſtung
zu erobern, oder die Eroberung einer eigenen zu verhin-
dern; nur wenn dazu eine Schlacht unvermeidlich war,
wurde ſie geſucht und geliefert. Wer ohne dieſe Unver-
meidlichkeit eine Schlacht aus bloßem innern Siegesdrange
ſuchte, galt fuͤr einen kecken Feldherrn. Gewoͤhnlich ver-
ſtrich der Feldzug uͤber einer Belagerung, oder wenn es
hoch kam, uͤber zwei, und die Winterquartiere, die wie
eine neutrale Nothwendigkeit betrachtet wurden, in welchen
die ſchlechte Verfaſſung des Einen niemals ein Vortheil
des Andern werden konnte, in welchen die gegenſeitigen
Beziehungen Beider faſt gaͤnzlich aufhoͤrten, ich ſage die
Winterquartiere bildeten eine beſtimmte Abgraͤnzung der
Thaͤtigkeit, welche in einem Feldzuge ſtatthaben ſollte.
Waren die Kraͤfte zu ſehr im Gleichgewicht oder war
der Unternehmende von Beiden entſchieden der Schwaͤchere,
ſo kam es auch nicht zur Schlacht und Belagerung, und
dann drehte ſich die ganze Thaͤtigkeit eines Feldzuges um
Erhaltung gewiſſer Stellungen und Magazine und die
regelmaͤßige Auszehrung gewiſſer Gegenden.
So lange der Krieg allgemein ſo gefuͤhrt wurde und
die natuͤrlichen Beſchraͤnkungen ſeiner Gewalt immer ſo
nahe und ſichtbar waren, fand Niemand darin etwas
Widerſprechendes, ſondern Alles in der ſchoͤnſten Ordnung,
und die Kritik, welche im achtzehnten Jahrhundert anfing
das Feld der Kriegskunſt zu beſuchen, richtete ſich auf das
8*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten des Autors nicht als selbstständige Publikation. Es wurde posthum, zwischen 1832 und 1834, als Bde. 1-3 der "Hinterlassenen Werke des Generals Carl von Clausewitz" von dessen Witwe Marie von Clausewitz herausgegeben.
Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/129>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.