hervorgeht aus augenblicklich vorhergehenden Ideen, Ge- fühlen und Verhältnissen, ja wir müssen, wenn wir ganz wahr sein wollen, einräumen, daß dies selbst der Fall ge- wesen ist wo er seine absolute Gestalt angenommen hat, nämlich unter Bonaparte.
Müssen wir das, müssen wir zugeben daß der Krieg entspringt und seine Gestalt erhält nicht aus einer end- lichen Abgleichung aller unzähligen Verhältnisse die er berührt, sondern aus einzelnen unter ihnen, die gerade vorherrschen: so folgt von selbst, daß er auf einem Spiel von Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, Glück und Unglück beruht, in dem sich die strenge logische Folgerung oft ganz verliert und wobei sie überhaupt ein sehr unbehülf- liches, unbequemes Instrument des Kopfes ist; auch folgt dann, daß der Krieg ein Ding sein kann, was bald mehr bald weniger Krieg ist.
Dies Alles muß die Theorie zugeben, aber es ist ihre Pflicht, die absolute Gestalt des Krieges obenan zu stellen und sie als einen allgemeinen Richtpunkt zu brauchen; damit Derjenige, der aus der Theorie Etwas lernen will, sich gewöhne, sie nie aus den Augen zu verlieren, sie als das ursprüngliche Maaß aller seiner Hoffnungen und Be- fürchtungen zu betrachten, um sich ihr zu nähern wo er es kann oder wo er es muß.
Daß eine Hauptvorstellung, welche unserem Denken und Handeln zum Grunde liegt, ihm auch da, wo die nächsten Entscheidungsgründe aus ganz andern Regionen kommen, einen gewissen Ton und Charakter giebt, ist eben so gewiß, als daß der Maler seinem Bilde durch die Farben, womit er es untermalt, diesen oder jenen Ton geben kann.
Daß die Theorie dies jetzt mit Wirksamkeit thun kann, verdankt sie den letzten Kriegen. Ohne diese warnenden
Bei-
hervorgeht aus augenblicklich vorhergehenden Ideen, Ge- fuͤhlen und Verhaͤltniſſen, ja wir muͤſſen, wenn wir ganz wahr ſein wollen, einraͤumen, daß dies ſelbſt der Fall ge- weſen iſt wo er ſeine abſolute Geſtalt angenommen hat, naͤmlich unter Bonaparte.
Muͤſſen wir das, muͤſſen wir zugeben daß der Krieg entſpringt und ſeine Geſtalt erhaͤlt nicht aus einer end- lichen Abgleichung aller unzaͤhligen Verhaͤltniſſe die er beruͤhrt, ſondern aus einzelnen unter ihnen, die gerade vorherrſchen: ſo folgt von ſelbſt, daß er auf einem Spiel von Moͤglichkeiten, Wahrſcheinlichkeiten, Gluͤck und Ungluͤck beruht, in dem ſich die ſtrenge logiſche Folgerung oft ganz verliert und wobei ſie uͤberhaupt ein ſehr unbehuͤlf- liches, unbequemes Inſtrument des Kopfes iſt; auch folgt dann, daß der Krieg ein Ding ſein kann, was bald mehr bald weniger Krieg iſt.
Dies Alles muß die Theorie zugeben, aber es iſt ihre Pflicht, die abſolute Geſtalt des Krieges obenan zu ſtellen und ſie als einen allgemeinen Richtpunkt zu brauchen; damit Derjenige, der aus der Theorie Etwas lernen will, ſich gewoͤhne, ſie nie aus den Augen zu verlieren, ſie als das urſpruͤngliche Maaß aller ſeiner Hoffnungen und Be- fuͤrchtungen zu betrachten, um ſich ihr zu naͤhern wo er es kann oder wo er es muß.
Daß eine Hauptvorſtellung, welche unſerem Denken und Handeln zum Grunde liegt, ihm auch da, wo die naͤchſten Entſcheidungsgruͤnde aus ganz andern Regionen kommen, einen gewiſſen Ton und Charakter giebt, iſt eben ſo gewiß, als daß der Maler ſeinem Bilde durch die Farben, womit er es untermalt, dieſen oder jenen Ton geben kann.
Daß die Theorie dies jetzt mit Wirkſamkeit thun kann, verdankt ſie den letzten Kriegen. Ohne dieſe warnenden
Bei-
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hervorgeht aus augenblicklich vorhergehenden Ideen, Ge-
fuͤhlen und Verhaͤltniſſen, ja wir muͤſſen, wenn wir ganz
wahr ſein wollen, einraͤumen, daß dies ſelbſt der Fall ge-
weſen iſt wo er ſeine abſolute Geſtalt angenommen hat,
naͤmlich unter Bonaparte.
Muͤſſen wir das, muͤſſen wir zugeben daß der Krieg
entſpringt und ſeine Geſtalt erhaͤlt nicht aus einer end-
lichen Abgleichung aller unzaͤhligen Verhaͤltniſſe die er
beruͤhrt, ſondern aus einzelnen unter ihnen, die gerade
vorherrſchen: ſo folgt von ſelbſt, daß er auf einem Spiel von
Moͤglichkeiten, Wahrſcheinlichkeiten, Gluͤck und Ungluͤck
beruht, in dem ſich die ſtrenge logiſche Folgerung oft
ganz verliert und wobei ſie uͤberhaupt ein ſehr unbehuͤlf-
liches, unbequemes Inſtrument des Kopfes iſt; auch folgt
dann, daß der Krieg ein Ding ſein kann, was bald mehr
bald weniger Krieg iſt.
Dies Alles muß die Theorie zugeben, aber es iſt ihre
Pflicht, die abſolute Geſtalt des Krieges obenan zu ſtellen
und ſie als einen allgemeinen Richtpunkt zu brauchen;
damit Derjenige, der aus der Theorie Etwas lernen will,
ſich gewoͤhne, ſie nie aus den Augen zu verlieren, ſie als
das urſpruͤngliche Maaß aller ſeiner Hoffnungen und Be-
fuͤrchtungen zu betrachten, um ſich ihr zu naͤhern wo er
es kann oder wo er es muß.
Daß eine Hauptvorſtellung, welche unſerem Denken
und Handeln zum Grunde liegt, ihm auch da, wo die
naͤchſten Entſcheidungsgruͤnde aus ganz andern Regionen
kommen, einen gewiſſen Ton und Charakter giebt, iſt eben ſo
gewiß, als daß der Maler ſeinem Bilde durch die Farben,
womit er es untermalt, dieſen oder jenen Ton geben kann.
Daß die Theorie dies jetzt mit Wirkſamkeit thun
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten des Autors nicht als selbstständige Publikation. Es wurde posthum, zwischen 1832 und 1834, als Bde. 1-3 der "Hinterlassenen Werke des Generals Carl von Clausewitz" von dessen Witwe Marie von Clausewitz herausgegeben.
Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/110>, abgerufen am 24.11.2024.
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