Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.Zehendes Capitel, haben sollte: so nennet man im Gegentheil eine Er-zehlung unwahrscheinlich, wenn sich die erzehl- ten Begebenheiten zu dem, was wir von der Sa- che und von denen Personen schon wissen, nicht schickt, sondern denselben widerspricht. Wäre es nun an dem, daß die Erzehlung denen uns bekann- ten und wahren Beschaffenheiten der Sache würck- lich widerspräche, so müste dieselbe auch falsch seyn. Aber fast allemahl widerspricht sie nicht so wohl deu wahren Umständen, die uns sonst bekannt sind: sondern 1. entweder sie scheinet uns sich nur zu solchen Umständen nicht zu schicken, weil wir den gantzen Zusammenhang nicht recht wissen; 2. manchmahl schickt sie sich auch würcklich nicht, nach denen moralischen Regeln. Aber dargegen ist zu mercken, daß das ungeschickte so wohl in der Welt von Menschen geschehen kan, als was ge- recht und schicklich ist. Daher ist die Unwahr- scheinlichkeit kein Beweiß, daß die Erzehlung falsch sey. Hingegen aber ist sie wohl ein Hinder- niß des Glaubens und der Gewißheit: denn sie verursacht, daß wir das Gegentheil von dem ge- dencken, was wir doch um der glaubwürdigen Aussagen, und um des Ansehens willen, welches der Aussager hat, glauben würden. Aus der Un- wahrscheinlichkeit also in diesem Verstande flüsset weiter nichts, als daß der Autor einer solchen Erzehlung 1. entweder den Zweiffel durch sein An- sehen unterdrücke, oder 2. das unwahrscheinliche durch mehrere Aufklärung der Sache völlig aus dem Wege räume. §. 26.
Zehendes Capitel, haben ſollte: ſo nennet man im Gegentheil eine Er-zehlung unwahrſcheinlich, wenn ſich die erzehl- ten Begebenheiten zu dem, was wir von der Sa- che und von denen Perſonen ſchon wiſſen, nicht ſchickt, ſondern denſelben widerſpricht. Waͤre es nun an dem, daß die Erzehlung denen uns bekann- ten und wahren Beſchaffenheiten der Sache wuͤrck- lich widerſpraͤche, ſo muͤſte dieſelbe auch falſch ſeyn. Aber faſt allemahl widerſpricht ſie nicht ſo wohl deu wahren Umſtaͤnden, die uns ſonſt bekannt ſind: ſondern 1. entweder ſie ſcheinet uns ſich nur zu ſolchen Umſtaͤnden nicht zu ſchicken, weil wir den gantzen Zuſammenhang nicht recht wiſſen; 2. manchmahl ſchickt ſie ſich auch wuͤrcklich nicht, nach denen moraliſchen Regeln. Aber dargegen iſt zu mercken, daß das ungeſchickte ſo wohl in der Welt von Menſchen geſchehen kan, als was ge- recht und ſchicklich iſt. Daher iſt die Unwahr- ſcheinlichkeit kein Beweiß, daß die Erzehlung falſch ſey. Hingegen aber iſt ſie wohl ein Hinder- niß des Glaubens und der Gewißheit: denn ſie verurſacht, daß wir das Gegentheil von dem ge- dencken, was wir doch um der glaubwuͤrdigen Ausſagen, und um des Anſehens willen, welches der Ausſager hat, glauben wuͤrden. Aus der Un- wahrſcheinlichkeit alſo in dieſem Verſtande fluͤſſet weiter nichts, als daß der Autor einer ſolchen Erzehlung 1. entweder den Zweiffel durch ſein An- ſehen unterdruͤcke, oder 2. das unwahrſcheinliche durch mehrere Aufklaͤrung der Sache voͤllig aus dem Wege raͤume. §. 26.
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Zehendes Capitel,
haben ſollte: ſo nennet man im Gegentheil eine Er-
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ten Begebenheiten zu dem, was wir von der Sa-
che und von denen Perſonen ſchon wiſſen, nicht
ſchickt, ſondern denſelben widerſpricht. Waͤre es
nun an dem, daß die Erzehlung denen uns bekann-
ten und wahren Beſchaffenheiten der Sache wuͤrck-
lich widerſpraͤche, ſo muͤſte dieſelbe auch falſch ſeyn.
Aber faſt allemahl widerſpricht ſie nicht ſo wohl
deu wahren Umſtaͤnden, die uns ſonſt bekannt
ſind: ſondern 1. entweder ſie ſcheinet uns ſich nur
zu ſolchen Umſtaͤnden nicht zu ſchicken, weil wir den
gantzen Zuſammenhang nicht recht wiſſen; 2.
manchmahl ſchickt ſie ſich auch wuͤrcklich nicht, nach
denen moraliſchen Regeln. Aber dargegen iſt zu
mercken, daß das ungeſchickte ſo wohl in der
Welt von Menſchen geſchehen kan, als was ge-
recht und ſchicklich iſt. Daher iſt die Unwahr-
ſcheinlichkeit kein Beweiß, daß die Erzehlung
falſch ſey. Hingegen aber iſt ſie wohl ein Hinder-
niß des Glaubens und der Gewißheit: denn ſie
verurſacht, daß wir das Gegentheil von dem ge-
dencken, was wir doch um der glaubwuͤrdigen
Ausſagen, und um des Anſehens willen, welches
der Ausſager hat, glauben wuͤrden. Aus der Un-
wahrſcheinlichkeit alſo in dieſem Verſtande
fluͤſſet weiter nichts, als daß der Autor einer ſolchen
Erzehlung 1. entweder den Zweiffel durch ſein An-
ſehen unterdruͤcke, oder 2. das unwahrſcheinliche
durch mehrere Aufklaͤrung der Sache voͤllig aus
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