Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Achtes Capitel,
kleinen Geschichten muß man schon in der Erzeh-
lung von der innerlichen Beschaffenheit der Ge-
schichte etwas abgehen, daß man Begebenheiten
nach einander erzehlet, die doch zugleich vor-
gegangen (§. 2. C. 6.). Beyn Anschlägen aber,
und deren Ausführung, kommen solche Hindernis-
se vor, die von gantz andern Personen, Orten,
und aus der Frembde herrühren, und also noch ei-
ne gantz andere Erkentniß erfordern: sie sind auch
von sehr weitem Umfange, weil der Gegenanschlag,
woraus das Hinderniß entstehet, eben so wichtig
ist, als der Anschlag selbst. Dahero muß in der
Erzehlung, bald ein Stück des Anschlags und des-
sen angefangene Ausführung vorgetragen, bald
ein Stück des Gegenanschlages eingeschaltet wer-
den: wie bey jeder Erzehlung einer Campagne zu
ersehen ist. Daraus entstehet denn eine Sorge we-
gen der Ordnung der Erzehlung, welches von so
vielen Dingen, die zugleich geschehen, zuerst er-
zehlt werden solle? Jedoch, weil davon die Wahr-
heit
der Geschichte nicht abhanget, auf welche wir
in dieser Abhandlung lediglich sehen, sondern nur
die angenehmere Vorstellung und das Ver-
gnügen der Hörer und Leser, wovor zu sorgen der
Redekunst ihr Werck ist, so sehen wir dieses als
ein Stück der Oratorie an: Zumahl da ein
Ha uptstück der Beredsamkeit darinne bestehet, daß
man eine Geschichte natürlich und lebhafft zu er-
zehlen weiß: Die Wahrheit der Geschichte aber
bleibt unbeschädigt, und unverletzt, wenn sie auch
gleich rauh, und mit einer Einfalt vorgetragen
wird, wodurch zärtliche Ohren bey nahe beleidigt

wer-

Achtes Capitel,
kleinen Geſchichten muß man ſchon in der Erzeh-
lung von der innerlichen Beſchaffenheit der Ge-
ſchichte etwas abgehen, daß man Begebenheiten
nach einander erzehlet, die doch zugleich vor-
gegangen (§. 2. C. 6.). Beyn Anſchlaͤgen aber,
und deren Ausfuͤhrung, kommen ſolche Hinderniſ-
ſe vor, die von gantz andern Perſonen, Orten,
und aus der Frembde herruͤhren, und alſo noch ei-
ne gantz andere Erkentniß erfordern: ſie ſind auch
von ſehr weitem Umfange, weil der Gegenanſchlag,
woraus das Hinderniß entſtehet, eben ſo wichtig
iſt, als der Anſchlag ſelbſt. Dahero muß in der
Erzehlung, bald ein Stuͤck des Anſchlags und deſ-
ſen angefangene Ausfuͤhrung vorgetragen, bald
ein Stuͤck des Gegenanſchlages eingeſchaltet wer-
den: wie bey jeder Erzehlung einer Campagne zu
erſehen iſt. Daraus entſtehet denn eine Sorge we-
gen der Ordnung der Erzehlung, welches von ſo
vielen Dingen, die zugleich geſchehen, zuerſt er-
zehlt werden ſolle? Jedoch, weil davon die Wahr-
heit
der Geſchichte nicht abhanget, auf welche wir
in dieſer Abhandlung lediglich ſehen, ſondern nur
die angenehmere Vorſtellung und das Ver-
gnuͤgen der Hoͤrer und Leſer, wovor zu ſorgen der
Redekunſt ihr Werck iſt, ſo ſehen wir dieſes als
ein Stuͤck der Oratorie an: Zumahl da ein
Ha uptſtuͤck der Beredſamkeit darinne beſtehet, daß
man eine Geſchichte natuͤrlich und lebhafft zu er-
zehlen weiß: Die Wahrheit der Geſchichte aber
bleibt unbeſchaͤdigt, und unverletzt, wenn ſie auch
gleich rauh, und mit einer Einfalt vorgetragen
wird, wodurch zaͤrtliche Ohren bey nahe beleidigt

wer-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0274" n="238"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Achtes Capitel,</hi></fw><lb/>
kleinen Ge&#x017F;chichten muß man &#x017F;chon in der Erzeh-<lb/>
lung von der innerlichen Be&#x017F;chaffenheit der Ge-<lb/>
&#x017F;chichte etwas abgehen, daß man Begebenheiten<lb/><hi rendition="#fr">nach einander</hi> erzehlet, die doch <hi rendition="#fr">zugleich</hi> vor-<lb/>
gegangen (§. 2. C. 6.). Beyn An&#x017F;chla&#x0364;gen aber,<lb/>
und deren Ausfu&#x0364;hrung, kommen &#x017F;olche Hinderni&#x017F;-<lb/>
&#x017F;e vor, die von gantz andern <hi rendition="#fr">Per&#x017F;onen, Orten,</hi><lb/>
und aus der <hi rendition="#fr">Frembde</hi> herru&#x0364;hren, und al&#x017F;o noch ei-<lb/>
ne gantz andere Erkentniß erfordern: &#x017F;ie &#x017F;ind auch<lb/>
von &#x017F;ehr weitem Umfange, weil der Gegenan&#x017F;chlag,<lb/>
woraus das Hinderniß ent&#x017F;tehet, eben &#x017F;o wichtig<lb/>
i&#x017F;t, als der An&#x017F;chlag &#x017F;elb&#x017F;t. Dahero muß in der<lb/>
Erzehlung, bald ein Stu&#x0364;ck des An&#x017F;chlags und de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en angefangene Ausfu&#x0364;hrung vorgetragen, bald<lb/>
ein Stu&#x0364;ck des Gegenan&#x017F;chlages einge&#x017F;chaltet wer-<lb/>
den: wie bey jeder Erzehlung einer Campagne zu<lb/>
er&#x017F;ehen i&#x017F;t. Daraus ent&#x017F;tehet denn eine Sorge we-<lb/>
gen der Ordnung der <hi rendition="#fr">Erzehlung,</hi> welches von &#x017F;o<lb/>
vielen Dingen, die <hi rendition="#fr">zugleich</hi> ge&#x017F;chehen, zuer&#x017F;t er-<lb/>
zehlt werden &#x017F;olle? Jedoch, weil davon die <hi rendition="#fr">Wahr-<lb/>
heit</hi> der Ge&#x017F;chichte nicht abhanget, auf welche wir<lb/>
in die&#x017F;er Abhandlung lediglich &#x017F;ehen, &#x017F;ondern nur<lb/>
die <hi rendition="#fr">angenehmere Vor&#x017F;tellung</hi> und das Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen der Ho&#x0364;rer und Le&#x017F;er, wovor zu &#x017F;orgen der<lb/>
Redekun&#x017F;t ihr Werck i&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;ehen wir die&#x017F;es als<lb/>
ein Stu&#x0364;ck der <hi rendition="#fr">Oratorie</hi> an: Zumahl da ein<lb/>
Ha upt&#x017F;tu&#x0364;ck der Bered&#x017F;amkeit darinne be&#x017F;tehet, daß<lb/>
man eine Ge&#x017F;chichte natu&#x0364;rlich und lebhafft zu er-<lb/>
zehlen weiß: Die <hi rendition="#fr">Wahrheit</hi> der Ge&#x017F;chichte aber<lb/>
bleibt unbe&#x017F;cha&#x0364;digt, und unverletzt, wenn &#x017F;ie auch<lb/>
gleich <hi rendition="#fr">rauh,</hi> und mit einer <hi rendition="#fr">Einfalt</hi> vorgetragen<lb/>
wird, wodurch za&#x0364;rtliche Ohren bey nahe beleidigt<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wer-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0274] Achtes Capitel, kleinen Geſchichten muß man ſchon in der Erzeh- lung von der innerlichen Beſchaffenheit der Ge- ſchichte etwas abgehen, daß man Begebenheiten nach einander erzehlet, die doch zugleich vor- gegangen (§. 2. C. 6.). Beyn Anſchlaͤgen aber, und deren Ausfuͤhrung, kommen ſolche Hinderniſ- ſe vor, die von gantz andern Perſonen, Orten, und aus der Frembde herruͤhren, und alſo noch ei- ne gantz andere Erkentniß erfordern: ſie ſind auch von ſehr weitem Umfange, weil der Gegenanſchlag, woraus das Hinderniß entſtehet, eben ſo wichtig iſt, als der Anſchlag ſelbſt. Dahero muß in der Erzehlung, bald ein Stuͤck des Anſchlags und deſ- ſen angefangene Ausfuͤhrung vorgetragen, bald ein Stuͤck des Gegenanſchlages eingeſchaltet wer- den: wie bey jeder Erzehlung einer Campagne zu erſehen iſt. Daraus entſtehet denn eine Sorge we- gen der Ordnung der Erzehlung, welches von ſo vielen Dingen, die zugleich geſchehen, zuerſt er- zehlt werden ſolle? Jedoch, weil davon die Wahr- heit der Geſchichte nicht abhanget, auf welche wir in dieſer Abhandlung lediglich ſehen, ſondern nur die angenehmere Vorſtellung und das Ver- gnuͤgen der Hoͤrer und Leſer, wovor zu ſorgen der Redekunſt ihr Werck iſt, ſo ſehen wir dieſes als ein Stuͤck der Oratorie an: Zumahl da ein Ha uptſtuͤck der Beredſamkeit darinne beſtehet, daß man eine Geſchichte natuͤrlich und lebhafft zu er- zehlen weiß: Die Wahrheit der Geſchichte aber bleibt unbeſchaͤdigt, und unverletzt, wenn ſie auch gleich rauh, und mit einer Einfalt vorgetragen wird, wodurch zaͤrtliche Ohren bey nahe beleidigt wer-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/274
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/274>, abgerufen am 25.11.2024.