Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung etc. davon ist eben diese, daß derselben widersprochenwird. Darzu aber kommt die zweyte, wenn die- jenigen, welche die Nachricht weiter bringen und nachsagen sollten, solche aus besondern Bewe- gungsgründen, oder aus grosser Fahrläßigkeit ver- schweigen. Also wird eine lobenswürdige Bege- benheit durch die Feinde meist aufgehalten: Wä- ren sie Freunde oder nur unpartheyisch, so wür- den sie wie andere von der rühmlichen That reden, und sie mithin etwa auch ihres Orts ausbreiten: Aber als Feinde schweigen sie geflissentlich davon, und lassen sie sich nur von andern vorsagen. Die dritte Art des Aufhaltens entstehet daraus, wenn ehe die Geschichte sich noch ausgebreitet, eine grös- sere oder wichtigere Begebenheit sich zuträgt. Denn diese ziehet die Aufmercksamkeit der Men- schen mehr an sich, sie beschäfftigen sich daher mit der grössern mehr, als mit der kleinern: Sie re- den bey vieler Gelegenheit von der grössern Ge- schichte, da sie in deren Ermangelung von der klei- nern und geringern reden würden. Und hier hat Wahrheit und Lügen gleiches Recht. Durch eine wichtige Unwahrheit kan ebenfalls der Lauf einer Erzehlung aufgehalten werden, und ohngeachtet sich die Unwahrheit zu rechter Zeit zu Tage legt, so hat dennoch unterdessen, die wahre Begeben- heit ihre Neuigkeit etwas verlohren; welches den Trieb sie nachzusagen gar sehr vermindert. Eine Geschichte aber, die vollends schon ausgebrochen, gar zu unterdrücken, daß nicht mehr davon gere- det wird, ist eine sehr mißliche Sache, weil die des- wegen gemachte Anstalten meistens Streit und Unruhe N
v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. davon iſt eben dieſe, daß derſelben widerſprochenwird. Darzu aber kommt die zweyte, wenn die- jenigen, welche die Nachricht weiter bringen und nachſagen ſollten, ſolche aus beſondern Bewe- gungsgruͤnden, oder aus groſſer Fahrlaͤßigkeit ver- ſchweigen. Alſo wird eine lobenswuͤrdige Bege- benheit durch die Feinde meiſt aufgehalten: Waͤ- ren ſie Freunde oder nur unpartheyiſch, ſo wuͤr- den ſie wie andere von der ruͤhmlichen That reden, und ſie mithin etwa auch ihres Orts ausbreiten: Aber als Feinde ſchweigen ſie gefliſſentlich davon, und laſſen ſie ſich nur von andern vorſagen. Die dritte Art des Aufhaltens entſtehet daraus, wenn ehe die Geſchichte ſich noch ausgebreitet, eine groͤſ- ſere oder wichtigere Begebenheit ſich zutraͤgt. Denn dieſe ziehet die Aufmerckſamkeit der Men- ſchen mehr an ſich, ſie beſchaͤfftigen ſich daher mit der groͤſſern mehr, als mit der kleinern: Sie re- den bey vieler Gelegenheit von der groͤſſern Ge- ſchichte, da ſie in deren Ermangelung von der klei- nern und geringern reden wuͤrden. Und hier hat Wahrheit und Luͤgen gleiches Recht. Durch eine wichtige Unwahrheit kan ebenfalls der Lauf einer Erzehlung aufgehalten werden, und ohngeachtet ſich die Unwahrheit zu rechter Zeit zu Tage legt, ſo hat dennoch unterdeſſen, die wahre Begeben- heit ihre Neuigkeit etwas verlohren; welches den Trieb ſie nachzuſagen gar ſehr vermindert. Eine Geſchichte aber, die vollends ſchon ausgebrochen, gar zu unterdruͤcken, daß nicht mehr davon gere- det wird, iſt eine ſehr mißliche Sache, weil die des- wegen gemachte Anſtalten meiſtens Streit und Unruhe N
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v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc.
davon iſt eben dieſe, daß derſelben widerſprochen
wird. Darzu aber kommt die zweyte, wenn die-
jenigen, welche die Nachricht weiter bringen und
nachſagen ſollten, ſolche aus beſondern Bewe-
gungsgruͤnden, oder aus groſſer Fahrlaͤßigkeit ver-
ſchweigen. Alſo wird eine lobenswuͤrdige Bege-
benheit durch die Feinde meiſt aufgehalten: Waͤ-
ren ſie Freunde oder nur unpartheyiſch, ſo wuͤr-
den ſie wie andere von der ruͤhmlichen That reden,
und ſie mithin etwa auch ihres Orts ausbreiten:
Aber als Feinde ſchweigen ſie gefliſſentlich davon,
und laſſen ſie ſich nur von andern vorſagen. Die
dritte Art des Aufhaltens entſtehet daraus, wenn
ehe die Geſchichte ſich noch ausgebreitet, eine groͤſ-
ſere oder wichtigere Begebenheit ſich zutraͤgt.
Denn dieſe ziehet die Aufmerckſamkeit der Men-
ſchen mehr an ſich, ſie beſchaͤfftigen ſich daher mit
der groͤſſern mehr, als mit der kleinern: Sie re-
den bey vieler Gelegenheit von der groͤſſern Ge-
ſchichte, da ſie in deren Ermangelung von der klei-
nern und geringern reden wuͤrden. Und hier hat
Wahrheit und Luͤgen gleiches Recht. Durch eine
wichtige Unwahrheit kan ebenfalls der Lauf einer
Erzehlung aufgehalten werden, und ohngeachtet
ſich die Unwahrheit zu rechter Zeit zu Tage legt,
ſo hat dennoch unterdeſſen, die wahre Begeben-
heit ihre Neuigkeit etwas verlohren; welches den
Trieb ſie nachzuſagen gar ſehr vermindert. Eine
Geſchichte aber, die vollends ſchon ausgebrochen,
gar zu unterdruͤcken, daß nicht mehr davon gere-
det wird, iſt eine ſehr mißliche Sache, weil die des-
wegen gemachte Anſtalten meiſtens Streit und
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Zitationshilfe: | Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/229>, abgerufen am 22.07.2024. |