schauen einer Geschichte von dem Stande abhan- get, also wird das Anschauen einer Geschichte ebenfalls von der Stelle eines jede[n] abhangen.
§. 10. und nach seinem innerlichen Zustande.
Wenn Leute sich nicht allein in einerley Stand, sondern auch bey nahe in einerley Stelle, ja völ- lig in einerley Stelle, (welches geschiehet, wenn einer der Nachfolger des andern ist,) befinden, so betrachten sie doch einerley Sache öffters nicht auf einerley Art; sondern ihre Fähigkeit, Sitten, schon habende Erkentniß, ja ihr gegenwärtiger verdrießlicher oder frölicher Zustand macht, daß sie verschiedene Umstände bemercken und zu Her- tzen nehmen. Und so kan ein eintzelner Mensch zu verschiedener Zeit, wegen des veränderten Zu- standes seiner Seele, die Sache gantz mit andern Augen ansehen. Wie solches die tägliche Er- fahrung lehret, daß man den einen Tag mit der Sache zufrieden ist, die uns den andern Tag höch- stens mißfället, ohne daß sich die Umstände der- selben geändert haben. Der blosse Zustand der Seele, welcher nicht immer einerley ist, bringet diese verschiedenen Vorstellungen hervor.
§. 11. Stand, Stelle und Gemüthsverfassung ma- chen einen Sehepunckt aus.
Bey cörperlichen Begebenheiten bemerckt man den Sehepunckt, nach den drey verschiedenen Be- griffen, die (§. 3.) fest gesetzt worden sind, weil davon die Vorstellung der Sache, mithin die hi-
storische
G 2
vom Zuſchauer und Sehepunckte.
ſchauen einer Geſchichte von dem Stande abhan- get, alſo wird das Anſchauen einer Geſchichte ebenfalls von der Stelle eines jede[n] abhangen.
§. 10. und nach ſeinem innerlichen Zuſtande.
Wenn Leute ſich nicht allein in einerley Stand, ſondern auch bey nahe in einerley Stelle, ja voͤl- lig in einerley Stelle, (welches geſchiehet, wenn einer der Nachfolger des andern iſt,) befinden, ſo betrachten ſie doch einerley Sache oͤffters nicht auf einerley Art; ſondern ihre Faͤhigkeit, Sitten, ſchon habende Erkentniß, ja ihr gegenwaͤrtiger verdrießlicher oder froͤlicher Zuſtand macht, daß ſie verſchiedene Umſtaͤnde bemercken und zu Her- tzen nehmen. Und ſo kan ein eintzelner Menſch zu verſchiedener Zeit, wegen des veraͤnderten Zu- ſtandes ſeiner Seele, die Sache gantz mit andern Augen anſehen. Wie ſolches die taͤgliche Er- fahrung lehret, daß man den einen Tag mit der Sache zufrieden iſt, die uns den andern Tag hoͤch- ſtens mißfaͤllet, ohne daß ſich die Umſtaͤnde der- ſelben geaͤndert haben. Der bloſſe Zuſtand der Seele, welcher nicht immer einerley iſt, bringet dieſe verſchiedenen Vorſtellungen hervor.
§. 11. Stand, Stelle und Gemuͤthsverfaſſung ma- chen einen Sehepunckt aus.
Bey coͤrperlichen Begebenheiten bemerckt man den Sehepunckt, nach den drey verſchiedenen Be- griffen, die (§. 3.) feſt geſetzt worden ſind, weil davon die Vorſtellung der Sache, mithin die hi-
ſtoriſche
G 2
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vom Zuſchauer und Sehepunckte.
ſchauen einer Geſchichte von dem Stande abhan-
get, alſo wird das Anſchauen einer Geſchichte
ebenfalls von der Stelle eines jeden abhangen.
§. 10.
und nach ſeinem innerlichen Zuſtande.
Wenn Leute ſich nicht allein in einerley Stand,
ſondern auch bey nahe in einerley Stelle, ja voͤl-
lig in einerley Stelle, (welches geſchiehet, wenn
einer der Nachfolger des andern iſt,) befinden, ſo
betrachten ſie doch einerley Sache oͤffters nicht auf
einerley Art; ſondern ihre Faͤhigkeit, Sitten,
ſchon habende Erkentniß, ja ihr gegenwaͤrtiger
verdrießlicher oder froͤlicher Zuſtand macht, daß
ſie verſchiedene Umſtaͤnde bemercken und zu Her-
tzen nehmen. Und ſo kan ein eintzelner Menſch
zu verſchiedener Zeit, wegen des veraͤnderten Zu-
ſtandes ſeiner Seele, die Sache gantz mit andern
Augen anſehen. Wie ſolches die taͤgliche Er-
fahrung lehret, daß man den einen Tag mit der
Sache zufrieden iſt, die uns den andern Tag hoͤch-
ſtens mißfaͤllet, ohne daß ſich die Umſtaͤnde der-
ſelben geaͤndert haben. Der bloſſe Zuſtand der
Seele, welcher nicht immer einerley iſt, bringet
dieſe verſchiedenen Vorſtellungen hervor.
§. 11.
Stand, Stelle und Gemuͤthsverfaſſung ma-
chen einen Sehepunckt aus.
Bey coͤrperlichen Begebenheiten bemerckt man
den Sehepunckt, nach den drey verſchiedenen Be-
griffen, die (§. 3.) feſt geſetzt worden ſind, weil
davon die Vorſtellung der Sache, mithin die hi-
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/135>, abgerufen am 27.11.2024.
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