Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

vordere geht in die Schnecke, so daß er wegen seiner Windungen sich desto bequemer in die
Spiralgange derselben verbreiten kann.

239.

Ein Schall gelangt gewöhnlich auf folgende Art zu unserer Empfindung. Die durch
die Bewegungen des schallenden Körpers erschütterte Luft theilt die erhaltenen Eindrücke dem
Trommelfelle mit, dadurch werden die damit in Verbindung stehenden und hebelartig auf ein-
ander würkenden Gehörknöchelchen in Bewegung gesetzt, und diese Bewegung wird vermittelst
der das eyrunde Fenster bedeckenden Grundfläche des Steigbügels dem im Vorhose, in den
halbeirkelförmigen Canälen, und in der Vorhofstreppe der Schnecke befindlichen Wasser mit-
getheilt, und zugleich wird auch die in der Trommelhöle befindliche Luft durch die Bewegungen
des Trommelselles erschüttert, wodurch auch die Membrane, welche das runde Fenster bedeckt
(membrana secundaria tympani), und das hinter derselben in der Trommeltreppe der Schnecke
befindliche Wasser miterschüttert wird. Diese auf doppelte Art (durch das eyrunde und durch
das runde Fenster) dem Wasser des Labyrinths mitgetheilten schnellen Stoßbewegungen werden
von der in demselben befindlichen Substanz des Gehörnerven, welche sich in dem Vorhofe und
den halbeirkelförmigen Canälen in breyiger und häutiger, in der Schnecke aber in faseriger
Gestalt zeigt, als Schall empfunden, und diese Empfindung wird durch den weitern Fortgang
des Gehörnerven endlich dem Gehirne, welches allem Ansehen nach der allgemeine Sitz der
Empfindungen ist, mirgetheilt.

1. Anm. Daß die Nerven die eigentlichen Werkzeuge der Empfindung sind, und daß sie besonders
an den für eine feinere Empfindung bestimmten Theilen des Körpers ihre Scheiden ablegen, und
blos ihre markige Substanz in mehrerer und mannigfaltiger Ausdehnung zeigen, daß auch durch
die Nerven eine jede Empfindung augenblicklich zu dem Gehirne, als dem wahrscheinlichen Sitze
eines allgemeinen Sensorium, (bisweilen auch zu andern entfernten Stellen des Körpers) fortge-
leitet werde, ist bekannt; aber wie die Nerven empfinden, und wie diese Empfindung fertge-
leitet werde, und wie sie endlich zu unserm Bewußtseyn gelange, darüber läßt sich nichts mit einiger
Gewißheit sagen. Selbst der innere Bau der Nerven ist noch nicht einmahl mit hinlänglicher
Genauigkeit bekannt, und die feinen microscopischen Beobachtungen von della Torre, Monro,
Fontana
und Andern treffen nicht ganz mit einander überein. Eine gewöhnliche Meynung war
sonst, daß die Nerven durch Schwingungen die Empfindungen fortleiteten; dieses wird
aber schon durch die ersten akustischen Begriffe widerlegt. Ein Körper, der schnelle Schwingungen
machen soll, muß hinlänglich elastisch seyn, dahingegen ein Nerve als ein weicher und nicht ge-
spannter Körper keine solche Elasticität zeigt. Ferner können dergleichen Schwingungen auch des-
wegen nicht Statt finden, weil die Nerven sich ganz zwischen andern weichen Theilen befinden, die

vordere geht in die Schnecke, ſo daß er wegen ſeiner Windungen ſich deſto bequemer in die
Spiralgange derſelben verbreiten kann.

239.

Ein Schall gelangt gewoͤhnlich auf folgende Art zu unſerer Empfindung. Die durch
die Bewegungen des ſchallenden Koͤrpers erſchuͤtterte Luft theilt die erhaltenen Eindruͤcke dem
Trommelfelle mit, dadurch werden die damit in Verbindung ſtehenden und hebelartig auf ein-
ander wuͤrkenden Gehoͤrknoͤchelchen in Bewegung geſetzt, und dieſe Bewegung wird vermittelſt
der das eyrunde Fenſter bedeckenden Grundflaͤche des Steigbuͤgels dem im Vorhoſe, in den
halbeirkelfoͤrmigen Canaͤlen, und in der Vorhofstreppe der Schnecke befindlichen Waſſer mit-
getheilt, und zugleich wird auch die in der Trommelhoͤle befindliche Luft durch die Bewegungen
des Trommelſelles erſchuͤttert, wodurch auch die Membrane, welche das runde Fenſter bedeckt
(membrana secundaria tympani), und das hinter derſelben in der Trommeltreppe der Schnecke
befindliche Waſſer miterſchuͤttert wird. Dieſe auf doppelte Art (durch das eyrunde und durch
das runde Fenſter) dem Waſſer des Labyrinths mitgetheilten ſchnellen Stoßbewegungen werden
von der in demſelben befindlichen Subſtanz des Gehoͤrnerven, welche ſich in dem Vorhofe und
den halbeirkelfoͤrmigen Canaͤlen in breyiger und haͤutiger, in der Schnecke aber in faſeriger
Geſtalt zeigt, als Schall empfunden, und dieſe Empfindung wird durch den weitern Fortgang
des Gehoͤrnerven endlich dem Gehirne, welches allem Anſehen nach der allgemeine Sitz der
Empfindungen iſt, mirgetheilt.

1. Anm. Daß die Nerven die eigentlichen Werkzeuge der Empfindung ſind, und daß ſie beſonders
an den fuͤr eine feinere Empfindung beſtimmten Theilen des Koͤrpers ihre Scheiden ablegen, und
blos ihre markige Subſtanz in mehrerer und mannigfaltiger Ausdehnung zeigen, daß auch durch
die Nerven eine jede Empfindung augenblicklich zu dem Gehirne, als dem wahrſcheinlichen Sitze
eines allgemeinen Senſorium, (bisweilen auch zu andern entfernten Stellen des Koͤrpers) fortge-
leitet werde, iſt bekannt; aber wie die Nerven empfinden, und wie dieſe Empfindung fertge-
leitet werde, und wie ſie endlich zu unſerm Bewußtſeyn gelange, daruͤber laͤßt ſich nichts mit einiger
Gewißheit ſagen. Selbſt der innere Bau der Nerven iſt noch nicht einmahl mit hinlaͤnglicher
Genauigkeit bekannt, und die feinen microſcopiſchen Beobachtungen von della Torre, Monro,
Fontana
und Andern treffen nicht ganz mit einander uͤberein. Eine gewoͤhnliche Meynung war
ſonſt, daß die Nerven durch Schwingungen die Empfindungen fortleiteten; dieſes wird
aber ſchon durch die erſten akuſtiſchen Begriffe widerlegt. Ein Koͤrper, der ſchnelle Schwingungen
machen ſoll, muß hinlaͤnglich elaſtiſch ſeyn, dahingegen ein Nerve als ein weicher und nicht ge-
ſpannter Koͤrper keine ſolche Elaſticitaͤt zeigt. Ferner koͤnnen dergleichen Schwingungen auch des-
wegen nicht Statt finden, weil die Nerven ſich ganz zwiſchen andern weichen Theilen befinden, die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0318" n="284"/><hi rendition="#g">vordere</hi> geht in die Schnecke, &#x017F;o daß er wegen &#x017F;einer Windungen &#x017F;ich de&#x017F;to bequemer in die<lb/>
Spiralgange der&#x017F;elben verbreiten kann.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>239.</head><lb/>
              <p>Ein Schall gelangt gewo&#x0364;hnlich auf folgende Art zu un&#x017F;erer Empfindung. Die durch<lb/>
die Bewegungen des &#x017F;challenden Ko&#x0364;rpers er&#x017F;chu&#x0364;tterte Luft theilt die erhaltenen Eindru&#x0364;cke dem<lb/>
Trommelfelle mit, dadurch werden die damit in Verbindung &#x017F;tehenden und hebelartig auf ein-<lb/>
ander wu&#x0364;rkenden Geho&#x0364;rkno&#x0364;chelchen in Bewegung ge&#x017F;etzt, und die&#x017F;e Bewegung wird vermittel&#x017F;t<lb/>
der das eyrunde Fen&#x017F;ter bedeckenden Grundfla&#x0364;che des Steigbu&#x0364;gels dem im Vorho&#x017F;e, in den<lb/>
halbeirkelfo&#x0364;rmigen Cana&#x0364;len, und in der Vorhofstreppe der Schnecke befindlichen Wa&#x017F;&#x017F;er mit-<lb/>
getheilt, und zugleich wird auch die in der Trommelho&#x0364;le befindliche Luft durch die Bewegungen<lb/>
des Trommel&#x017F;elles er&#x017F;chu&#x0364;ttert, wodurch auch die Membrane, welche das runde Fen&#x017F;ter bedeckt<lb/><hi rendition="#aq">(membrana secundaria tympani),</hi> und das hinter der&#x017F;elben in der Trommeltreppe der Schnecke<lb/>
befindliche Wa&#x017F;&#x017F;er miter&#x017F;chu&#x0364;ttert wird. Die&#x017F;e auf doppelte Art (durch das eyrunde und durch<lb/>
das runde Fen&#x017F;ter) dem Wa&#x017F;&#x017F;er des Labyrinths mitgetheilten &#x017F;chnellen Stoßbewegungen werden<lb/>
von der in dem&#x017F;elben befindlichen Sub&#x017F;tanz des Geho&#x0364;rnerven, welche &#x017F;ich in dem Vorhofe und<lb/>
den halbeirkelfo&#x0364;rmigen Cana&#x0364;len in breyiger und ha&#x0364;utiger, in der Schnecke aber in fa&#x017F;eriger<lb/>
Ge&#x017F;talt zeigt, als Schall empfunden, und die&#x017F;e Empfindung wird durch den weitern Fortgang<lb/>
des Geho&#x0364;rnerven endlich dem Gehirne, welches allem An&#x017F;ehen nach der allgemeine Sitz der<lb/>
Empfindungen i&#x017F;t, mirgetheilt.</p><lb/>
              <list>
                <item>1. <hi rendition="#g">Anm.</hi> Daß die Nerven die eigentlichen Werkzeuge der Empfindung &#x017F;ind, und daß &#x017F;ie be&#x017F;onders<lb/>
an den fu&#x0364;r eine feinere Empfindung be&#x017F;timmten Theilen des Ko&#x0364;rpers ihre Scheiden ablegen, und<lb/>
blos ihre markige Sub&#x017F;tanz in mehrerer und mannigfaltiger Ausdehnung zeigen, daß auch durch<lb/>
die Nerven eine jede Empfindung augenblicklich zu dem Gehirne, als dem wahr&#x017F;cheinlichen Sitze<lb/>
eines allgemeinen Sen&#x017F;orium, (bisweilen auch zu andern entfernten Stellen des Ko&#x0364;rpers) fortge-<lb/>
leitet werde, i&#x017F;t bekannt; aber <hi rendition="#g">wie</hi> die Nerven empfinden, und <hi rendition="#g">wie</hi> die&#x017F;e Empfindung fertge-<lb/>
leitet werde, und wie &#x017F;ie endlich zu un&#x017F;erm Bewußt&#x017F;eyn gelange, daru&#x0364;ber la&#x0364;ßt &#x017F;ich nichts mit einiger<lb/>
Gewißheit &#x017F;agen. Selb&#x017F;t der innere Bau der Nerven i&#x017F;t noch nicht einmahl mit hinla&#x0364;nglicher<lb/>
Genauigkeit bekannt, und die feinen micro&#x017F;copi&#x017F;chen Beobachtungen von <hi rendition="#g">della Torre, Monro,<lb/>
Fontana</hi> und Andern treffen nicht ganz mit einander u&#x0364;berein. Eine gewo&#x0364;hnliche Meynung war<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t, daß die Nerven <hi rendition="#g">durch Schwingungen</hi> die Empfindungen fortleiteten; die&#x017F;es wird<lb/>
aber &#x017F;chon durch die er&#x017F;ten aku&#x017F;ti&#x017F;chen Begriffe widerlegt. Ein Ko&#x0364;rper, der &#x017F;chnelle Schwingungen<lb/>
machen &#x017F;oll, muß hinla&#x0364;nglich ela&#x017F;ti&#x017F;ch &#x017F;eyn, dahingegen ein Nerve als ein weicher und nicht ge-<lb/>
&#x017F;pannter Ko&#x0364;rper keine &#x017F;olche Ela&#x017F;ticita&#x0364;t zeigt. Ferner ko&#x0364;nnen dergleichen Schwingungen auch des-<lb/>
wegen nicht Statt finden, weil die Nerven &#x017F;ich ganz zwi&#x017F;chen andern weichen Theilen befinden, die<lb/></item>
              </list>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0318] vordere geht in die Schnecke, ſo daß er wegen ſeiner Windungen ſich deſto bequemer in die Spiralgange derſelben verbreiten kann. 239. Ein Schall gelangt gewoͤhnlich auf folgende Art zu unſerer Empfindung. Die durch die Bewegungen des ſchallenden Koͤrpers erſchuͤtterte Luft theilt die erhaltenen Eindruͤcke dem Trommelfelle mit, dadurch werden die damit in Verbindung ſtehenden und hebelartig auf ein- ander wuͤrkenden Gehoͤrknoͤchelchen in Bewegung geſetzt, und dieſe Bewegung wird vermittelſt der das eyrunde Fenſter bedeckenden Grundflaͤche des Steigbuͤgels dem im Vorhoſe, in den halbeirkelfoͤrmigen Canaͤlen, und in der Vorhofstreppe der Schnecke befindlichen Waſſer mit- getheilt, und zugleich wird auch die in der Trommelhoͤle befindliche Luft durch die Bewegungen des Trommelſelles erſchuͤttert, wodurch auch die Membrane, welche das runde Fenſter bedeckt (membrana secundaria tympani), und das hinter derſelben in der Trommeltreppe der Schnecke befindliche Waſſer miterſchuͤttert wird. Dieſe auf doppelte Art (durch das eyrunde und durch das runde Fenſter) dem Waſſer des Labyrinths mitgetheilten ſchnellen Stoßbewegungen werden von der in demſelben befindlichen Subſtanz des Gehoͤrnerven, welche ſich in dem Vorhofe und den halbeirkelfoͤrmigen Canaͤlen in breyiger und haͤutiger, in der Schnecke aber in faſeriger Geſtalt zeigt, als Schall empfunden, und dieſe Empfindung wird durch den weitern Fortgang des Gehoͤrnerven endlich dem Gehirne, welches allem Anſehen nach der allgemeine Sitz der Empfindungen iſt, mirgetheilt. 1. Anm. Daß die Nerven die eigentlichen Werkzeuge der Empfindung ſind, und daß ſie beſonders an den fuͤr eine feinere Empfindung beſtimmten Theilen des Koͤrpers ihre Scheiden ablegen, und blos ihre markige Subſtanz in mehrerer und mannigfaltiger Ausdehnung zeigen, daß auch durch die Nerven eine jede Empfindung augenblicklich zu dem Gehirne, als dem wahrſcheinlichen Sitze eines allgemeinen Senſorium, (bisweilen auch zu andern entfernten Stellen des Koͤrpers) fortge- leitet werde, iſt bekannt; aber wie die Nerven empfinden, und wie dieſe Empfindung fertge- leitet werde, und wie ſie endlich zu unſerm Bewußtſeyn gelange, daruͤber laͤßt ſich nichts mit einiger Gewißheit ſagen. Selbſt der innere Bau der Nerven iſt noch nicht einmahl mit hinlaͤnglicher Genauigkeit bekannt, und die feinen microſcopiſchen Beobachtungen von della Torre, Monro, Fontana und Andern treffen nicht ganz mit einander uͤberein. Eine gewoͤhnliche Meynung war ſonſt, daß die Nerven durch Schwingungen die Empfindungen fortleiteten; dieſes wird aber ſchon durch die erſten akuſtiſchen Begriffe widerlegt. Ein Koͤrper, der ſchnelle Schwingungen machen ſoll, muß hinlaͤnglich elaſtiſch ſeyn, dahingegen ein Nerve als ein weicher und nicht ge- ſpannter Koͤrper keine ſolche Elaſticitaͤt zeigt. Ferner koͤnnen dergleichen Schwingungen auch des- wegen nicht Statt finden, weil die Nerven ſich ganz zwiſchen andern weichen Theilen befinden, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802/318
Zitationshilfe: Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802/318>, abgerufen am 11.06.2024.