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Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802.

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selben zukommen, nicht gehörig zu unterscheiden wußte. Alle klingenden Kör-
per kommen nähmlich in gewissen Eigenschaften mit einander überein, die in
§. 45, welcher die ersten Grundbegriffe der ganzen Klanglehre enthält, erwähnt
werden, aber sowohl die Schwingungsarten und die ihnen zukommenden Ton-
verhältnisse, als auch die Gesetze, nach welchen sich bey Verschiedenheit der
Dimensionen u. s. w. die Höhe und Tiefe der Töne richtet, sind bey jeder Art
von klingenden Körpern anders beschaffen. Es ist also auch ganz der Natur
zuwider, wenn man die Theorie der Tonverhältnisse aus gewissen nur einer
Saite oder vielmehr nur dem Grundtone derselben, nicht aber allen Arten von
klingenden Körpern zukommenden Eigenschaften herleiten will. Ob man von
einer Saite mehr Gebrauch macht, als von andern klingenden Körpern, darauf
kommt hier bey Erklärung eines physischen Gegenstandes nicht das mindeste an.

Durch die blos auf Saiten, nicht aber auf andere klingenden Körper
genommene Rücksicht ist auch das bey vielen sehr eingewurzelte Vorurtheil ent-
standen, daß bey einem jeden Tone die mit der natürlichen Zah-
lenfolge 2, 3, 4, 5 u. s. w. übereinkommenden höheren Töne alle-
mahl mitklingen,
und daß eben dadurch ein Klang sich von einem
jeden andern Geräusche unterscheide, daß auch der Grund des
Consonirens und Dissonirens der Tonverhältnisse in einem
Mitklingen oder Nichtmitklingen gewisser Töne zu suchen sey.

Hierüber ist schon in der Anmerkung zu §. 5, in der zweyten Anmerkung zu §. 9.
und im 9ten Abschnitte des zweyten Theils das nöthige gesagt worden, welches
ich hier, um Weitläuftigkeit zu vermeiden, nicht wiederholen mag.

Manche andere Vorurtheile, die weniger Beziehung auf das Ganze der
Akustik haben, erwähne ich hier nicht weiter.

Ein sonderbares Mißverständniß ist bey Gelegenheit meiner Unter-
suchungen der Schwingungen einer Scheibe ohne meine Schuld bey Vielen
entstanden, nähmlich, daß jeder auf einer Scheibe hervorgebrachte
Ton eine gewisse Figur gebe.
Es läßt sich (nach §. 45. und der An-

b 2

ſelben zukommen, nicht gehoͤrig zu unterſcheiden wußte. Alle klingenden Koͤr-
per kommen naͤhmlich in gewiſſen Eigenſchaften mit einander uͤberein, die in
§. 45, welcher die erſten Grundbegriffe der ganzen Klanglehre enthaͤlt, erwaͤhnt
werden, aber ſowohl die Schwingungsarten und die ihnen zukommenden Ton-
verhaͤltniſſe, als auch die Geſetze, nach welchen ſich bey Verſchiedenheit der
Dimenſionen u. ſ. w. die Hoͤhe und Tiefe der Toͤne richtet, ſind bey jeder Art
von klingenden Koͤrpern anders beſchaffen. Es iſt alſo auch ganz der Natur
zuwider, wenn man die Theorie der Tonverhaͤltniſſe aus gewiſſen nur einer
Saite oder vielmehr nur dem Grundtone derſelben, nicht aber allen Arten von
klingenden Koͤrpern zukommenden Eigenſchaften herleiten will. Ob man von
einer Saite mehr Gebrauch macht, als von andern klingenden Koͤrpern, darauf
kommt hier bey Erklaͤrung eines phyſiſchen Gegenſtandes nicht das mindeſte an.

Durch die blos auf Saiten, nicht aber auf andere klingenden Koͤrper
genommene Ruͤckſicht iſt auch das bey vielen ſehr eingewurzelte Vorurtheil ent-
ſtanden, daß bey einem jeden Tone die mit der natuͤrlichen Zah-
lenfolge 2, 3, 4, 5 u. ſ. w. uͤbereinkommenden hoͤheren Toͤne alle-
mahl mitklingen,
und daß eben dadurch ein Klang ſich von einem
jeden andern Geraͤuſche unterſcheide, daß auch der Grund des
Conſonirens und Diſſonirens der Tonverhaͤltniſſe in einem
Mitklingen oder Nichtmitklingen gewiſſer Toͤne zu ſuchen ſey.

Hieruͤber iſt ſchon in der Anmerkung zu §. 5, in der zweyten Anmerkung zu §. 9.
und im 9ten Abſchnitte des zweyten Theils das noͤthige geſagt worden, welches
ich hier, um Weitlaͤuftigkeit zu vermeiden, nicht wiederholen mag.

Manche andere Vorurtheile, die weniger Beziehung auf das Ganze der
Akuſtik haben, erwaͤhne ich hier nicht weiter.

Ein ſonderbares Mißverſtaͤndniß iſt bey Gelegenheit meiner Unter-
ſuchungen der Schwingungen einer Scheibe ohne meine Schuld bey Vielen
entſtanden, naͤhmlich, daß jeder auf einer Scheibe hervorgebrachte
Ton eine gewiſſe Figur gebe.
Es laͤßt ſich (nach §. 45. und der An-

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[XI/0013] ſelben zukommen, nicht gehoͤrig zu unterſcheiden wußte. Alle klingenden Koͤr- per kommen naͤhmlich in gewiſſen Eigenſchaften mit einander uͤberein, die in §. 45, welcher die erſten Grundbegriffe der ganzen Klanglehre enthaͤlt, erwaͤhnt werden, aber ſowohl die Schwingungsarten und die ihnen zukommenden Ton- verhaͤltniſſe, als auch die Geſetze, nach welchen ſich bey Verſchiedenheit der Dimenſionen u. ſ. w. die Hoͤhe und Tiefe der Toͤne richtet, ſind bey jeder Art von klingenden Koͤrpern anders beſchaffen. Es iſt alſo auch ganz der Natur zuwider, wenn man die Theorie der Tonverhaͤltniſſe aus gewiſſen nur einer Saite oder vielmehr nur dem Grundtone derſelben, nicht aber allen Arten von klingenden Koͤrpern zukommenden Eigenſchaften herleiten will. Ob man von einer Saite mehr Gebrauch macht, als von andern klingenden Koͤrpern, darauf kommt hier bey Erklaͤrung eines phyſiſchen Gegenſtandes nicht das mindeſte an. Durch die blos auf Saiten, nicht aber auf andere klingenden Koͤrper genommene Ruͤckſicht iſt auch das bey vielen ſehr eingewurzelte Vorurtheil ent- ſtanden, daß bey einem jeden Tone die mit der natuͤrlichen Zah- lenfolge 2, 3, 4, 5 u. ſ. w. uͤbereinkommenden hoͤheren Toͤne alle- mahl mitklingen, und daß eben dadurch ein Klang ſich von einem jeden andern Geraͤuſche unterſcheide, daß auch der Grund des Conſonirens und Diſſonirens der Tonverhaͤltniſſe in einem Mitklingen oder Nichtmitklingen gewiſſer Toͤne zu ſuchen ſey. Hieruͤber iſt ſchon in der Anmerkung zu §. 5, in der zweyten Anmerkung zu §. 9. und im 9ten Abſchnitte des zweyten Theils das noͤthige geſagt worden, welches ich hier, um Weitlaͤuftigkeit zu vermeiden, nicht wiederholen mag. Manche andere Vorurtheile, die weniger Beziehung auf das Ganze der Akuſtik haben, erwaͤhne ich hier nicht weiter. Ein ſonderbares Mißverſtaͤndniß iſt bey Gelegenheit meiner Unter- ſuchungen der Schwingungen einer Scheibe ohne meine Schuld bey Vielen entſtanden, naͤhmlich, daß jeder auf einer Scheibe hervorgebrachte Ton eine gewiſſe Figur gebe. Es laͤßt ſich (nach §. 45. und der An- b 2

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Zitationshilfe: Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802/13>, abgerufen am 02.05.2024.